Mannheim. Horst Seyfferle hat zum Treffen einen blauen Schnellhefter mitgebracht. Acht Seiten, auf denen das Konzept zusammengefasst ist, mit dem der SV Waldhof irgendwann mal wieder einen Hakan Çalhanoglu hervorbringen will. Der türkische Nationalspieler aus Mannheim, der am Alsenweg ausgebildet wurde und wohl im Finale am 10. Juni mit Inter Mailand um den Titel in der Champions League spielt.
Vielleicht auch ein neuer Jürgen Kohler, Christian Wörns, Hanno Balitsch oder Maurizio Gaudino. Alles spätere Bundesliga-Stars, die in der einst bundesweit anerkannten Mannheimer Talentschmiede fußballerisch groß geworden sind.
Kader der U-Mannschaften steht weitgehend
„Am 28. November wurde gesagt: Die Waldhof-Jugend ist toter als tot“, erinnert Vizepräsident Seyfferle an die hitzige Mitgliederversammlung im Herbst 2022, als in der Debatte um den notwendigen Neuaufbau der Jugendabteilung in Eigenregie nach dem Ausstieg des langjährigen Kooperationspartners „Anpfiff ins Leben“ (AiL) die Wellen hochschlugen. Rund 400 000 Euro jährlich, die der Hopp-Verein seit 2008 beisteuerte, fehlten plötzlich im Etat des Hauptvereins. Die Zukunft der SVW-Jugend: komplett ungewiss.
Fünfeinhalb Monate später haben Seyfferle und der neue Jugendleiter Matthias Findeisen den Nachwuchsbereich der Blau-Schwarzen mit viel Ehrgeiz, Engagement und Arbeit auf neue Füße gestellt. Fast alle Trainerposten der U-Mannschaften sind besetzt, die Kader der U-Mannschaften stehen weitgehend, Sponsorengelder in Höhe von fast 300 000 Euro wurden eingeworben, eine Flucht der besten Talente konnte verhindert werden.
Prekäre Ausgangslage
Am Alsenweg löst sanfte Aufbruchsstimmung die Untergangsszenarien aus dem vergangenen Jahr ab. „Was wir jetzt geschafft haben, hätte uns niemand zugetraut“, sagt Seyfferle. Man mag ihm nicht widersprechen. „Ich bin positiv überrascht“, erklärt auch ein Spielervater, der nah dran an den Vorgängen in der SVW-Jugend ist. „Seyfferle und Findeisen haben das wirklich tatkräftig umgesetzt.“
Die Ausgangslage, die das neue Gespann in der Jugendabteilung vorfand, war schwierig. Und das ist noch zurückhaltend formuliert. Der Aufsichtsrat des e.V. hatte zum Jahreswechsel 2021/2022 ein niedrig verzinstes Kreditangebot von Präsident Bernd Beetz, das die drohende Lücke im Jugendbereich schließen sollte, abgelehnt. Aus Sorge um eine langfristige bilanzielle Überschuldung des Hauptvereins.
„Anpfiff ins Leben“ war am Standort Mannheim ausgestiegen, nachdem der DFB den Waldhof-Antrag zur Installierung eines professionellen Nachwuchsleistungszentrums unter Verweis auf die Verbindung von AiL mit Hoffenheims Geldgeber Dietmar Hopp abgelehnt hatte.
Kleinsponsoren decken Etat
Auf der besagten Hauptversammlung im November 2022 griffen wegen der akuten Krise bei der Jugend einige Mitglieder den Präsidenten an. Der Vorwurf: Beetz lege in seiner Doppelfunktion als Präsident und Investor seinen Fokus zu sehr auf die Spielbetriebs-GmbH, unter deren Dach das Waldhöfer Drittliga-Team ausgegliedert ist, und vernachlässige die Belange des e.V. mitsamt der Jugendabteilung. Beetz reagierte pikiert auf diese Kritik.
Als wir Bernd Beetz unser Konzept vorgestellt haben, hat er gesagt: ,Großartig gemacht!
Mittlerweile haben sich die Wogen halbwegs geglättet. „Als wir Bernd Beetz unser Konzept vorgestellt haben, hat er gesagt: ,Großartig gemacht!’“, berichtet Seyfferle. Die Familie Beetz hat in der Zwischenzeit insgesamt drei Sponsorenpakete gekauft, mit denen Seyfferle die finanzielle Basis für den Neustart schuf. Für Beträge zwischen 10 000 und 20 000 Euro konnte man die Patenschaft für einzelne U-Teams übernehmen oder als Namensgeber einer der Plätze im Jugendzentrum am Alsenweg in Erscheinung treten.
Das Erstaunliche: Seyfferle brachte über diese Schiene trotz eines traditionell schwierigen Sponsorenumfelds bisher die beträchtliche Summe von 286 000 Euro zusammen. Inklusive der Bereitstellung zweier neuer Kleinbusse für die Auswärtsfahrten der SVW-Talente über das Frankenthaler Autohaus Bukur. Mit den Mitgliedsbeiträgen und den Zuschüssen von der Spielbetriebs-GmbH kommt der Hauptverein damit in der nächsten Saison auf einen Gesamtetat von knapp 600 000 Euro. Das deckt fürs Erste die Kosten.
Die "Buwe Fabrik"
- „Buwe Fabrik“ nennt sich das jetzt in Eigenregie betriebene Jugendförderzentrum des SV Waldhof ab sofort. Als Symbol für die Arbeiterstadt Mannheim sieht man drei Fabrik-Schornsteine auf dem Logo.
- An der Spitze des Organigramms der „Buwe Fabrik“ stehen der organisatorische Leiter Horst Seyfferle und Jugendleiter Matthias Findeisen, der zusammen mit Ex-Trainer Reiner Hollich auch als Koordinator Sport fungiert. Auch Jürgen Heußer und Michael Weber sind in verantwortlicher sportlicher Funktion eingeplant. Timo Herr übernimmt das Scouting, Profi-Mannschaftsarzt Konstantinos Cafaltzis steht als Physio zur Verfügung.
- Die Trainer der einzelnen U-Mannschaften im Überblick.
- U21: Marco Göbel
- U19: Serkan Secerli/Gökhan Özkara
- U17: Andreas Müller/Michael Graf
- U16: Christian Hainke/Panagiotis Mastrantonis
- U15: Manuel Bucher/Maurice Weiß
- U14: Fabian Scheid/Lukas Frey
- U13: Nico Bechtold/Oliver Frank
- U12: noch offen
- U11: Eren Acer
- U10: noch offen
- Ballschule: Holger Hofrichter
- Torwart-Trainer: Levent Cimrin, Patrick Hedfeld, Carsten Dörr, Hannes Vogel
- Athletiktrainer: Luis Schwabe
- Auch den Bereich Hausaufgabenbetreuung/Schule/Beruf kann der SVW dank der Zuwendungen zweier Stiftungen fortführen. Verantwortlich sind hier die Präsidiumsmitglieder Birgit Löwer-Hirsch und Tobias Schmidt.
- Geplant ist zudem die Erneuerung eines Kunstrasenplatzes und die Installation einer Solaranlage.
Während sich Seyfferle vor allem um die wirtschaftliche und infrastrukturelle Seite des Neustarts kümmerte, trieb Findeisen gemeinsam mit alten Waldhof-Haudegen wie Sport-Koordinator Reiner Hollich und Berater Mike Schüssler die sportlichen Planungen voran. Zentral dabei: Der Umbau der in der Verbandsliga spielenden zweiten Mannschaft. Aus der U23 wird künftig eine U21, die ausschließlich als Sprungbrett für die besten Talente in den Herrenbereich dienen soll.
Durchlässigkeit lautet das Zauberwort. Die Kostenstruktur wird radikal heruntergefahren. Nur wenige Spieler wie Jermain Schranz oder Kennedy Okpala, die schon einmal ins Profiteam hineinschnuppern duften, bekommen überschaubare fixe Aufwandsentschädigungen. Ansonsten gibt es nur noch kleine Punktprämien.
Auch hier könnte das Konzept der Konsolidierung und Neuausrichtung aufgehen. Vizepräsident Seyfferle geht davon aus, dass der Kader des neuen Trainers Marco Göbel in seiner künftigen Zusammensetzung stark genug für Platz sieben bis 13 in der Verbandsliga sein müsste.
„Zusammenhalt ist Wahnsinn“
Gemeinsam können wir es schaffen, dieser Spirit macht sich offensichtlich in der Jugendabteilung, die jetzt unter dem Label „Buwe Fabrik“ firmiert, breit. „Man sieht die Leute am Alsenweg wieder lächeln. Der Zusammenhalt ist Wahnsinn. Wir wollen ein Team sein“, sagt Seyfferle. Dazu gehört auch ein neues Selbstbewusstsein, wenn regionale Konkurrenten ohne Absprache um Waldhof-Talente buhlen, wie es vor allem in der unsicheren Umbruchphase im Winter häufiger als sonst vorkam. „Dem haben wir einen Riegel vorgeschoben“, sagt Seyfferle. Nun sei man selbst wieder in einer Position, interessante Talente von anderen Vereinen anzusprechen.
Beim SV Waldhof haben sie aus der Not eine Tugend gemacht. Auch wenn der Neustart noch ganz am Anfang steht, Rückschläge einkalkuliert werden müssen. „Wir wissen auch: Wenn wir die Nachwuchsarbeit weiter professionalisieren wollen, müssen wir nachlegen“, sagt Jugendleiter Findeisen.
Das Fernziel bleibt der nächste Anlauf für ein Nachwuchsleistungszentrum, das bei einem Zweitliga-Aufstieg des Profiteams verpflichtender Bestandteil der Lizenzbedingungen würde. Um den Hakan Çalhanoglus von morgen beim SVW eine perfekte Plattform für ihre Entwicklung zu bieten. Auf dem Inhalt von Horst Seyfferles blauem Schnellhefter lässt sich bei diesem Vorhaben zumindest aufbauen.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar 40 Jahre "Wunder Waldhof" und der aktuelle Umbau im Jugendbereich: Das Erbe von 1983