Mannheim. Auch im Moment der Niederlage bewiesen die Waldhof-Anhänger ein feines Gespür. Die Fans honorierten nach 120 intensiven wie spannenden Minuten mit aufmunterndem Applaus und lauten Sprechchören die furiose Leistung ihres Teams, das beim 1:3 (1:1, 1:1) nach Verlängerung in der zweiten DFB-Pokalrunde den Bundesliga-Fünften 1. FC Union Berlin an seine Grenzen gebracht hatte.
„Kompliment an dich und deine Mannschaft“, sagte Union-Trainer Urs Fischer nach dem Abpfiff in Richtung seines Kollegen Patrick Glöckner. „Ihr habt uns das Leben so schwer gemacht, wie wir das auch vermutet hatten.“ Zur nächsten Sensation nach dem 2:0 in der ersten Runde gegen Eintracht Frankfurt reichte es zwar nicht, aber die Fans feierten das Team des Drittligisten nach dem Abpfiff dennoch wie den moralischen Sieger.
„Die Jungs haben gekämpft wie die Löwen“, sagte SVW-Coach Glöckner. „Hut ab vor der Mannschaft.“ Nach Alexander Rossipals frühem 1:0 (4.) und dem schnellen Ausgleich für Union durch Kevin Behrens (18.) war sehr lange kein Zweiklassen-Unterschied zwischen Mannheim und Berlin erkennbar. Bis beim coronageplagten Waldhof ungefähr ab der 70. Minute die Kräfte schwanden, Spieler wie der dann auch ausgewechselte Kapitän Marcel Seegert, der mit Krämpfen kämpfende Adrien Lebeau oder auch Routinier Marc Schnatterer erkennbar kaum noch Energie im Akku hatten.
„Natürlich war es auch eine Kraftfrage. Um einen Bundesligisten zu schlagen, brauchst du die maximale Frische. Wir hatten wenig Möglichkeiten, von der Bank nachzulegen. Bei Berlin kamen sechs frische Hochkaliber rein“, sagte Glöckner. Gegen den immer mehr abbauenden SVW brachten Tore von Taiwo Awoniyi (94.) und wieder Behrens (118.) den Hauptstadt-Club ein wenig glücklich ins Pokal-Achtelfinale.
Ohne den schweren Corona-Ausbruch in den vergangenen Wochen wäre der nächste Coup gegen einen großen Namen im Bereich des Möglichen gewesen. Coach Glöckner trauerte einer starken Waldhof-Phase zu Beginn des zweiten Abschnitts hinterher, „als wir es verpasst haben, das zweite Tor nachzulegen“.
Der sowohl spielerisch als auch kämpferisch herausragende Vortrag der Mannheimer auf der großen Pokal-Bühne hinterließ Eindruck, aber auch die prickelnde Atmosphäre im mit knapp 15 000 Zuschauern ausverkauften Carl-Benz-Stadion war Werbung für den lange in der Versenkung verschwundenen Traditionsverein. „Das hat Bundesliga-Niveau“, sagte Ex-Trainer Kenan Kocak als Halbzeit-Gast bei Sky. Und Union-Verteidiger Timo Baumgartl staunte: „Die Fans waren wirklich unglaublich.“ Das Fußballportal „Wumms“ adelte die mitreißende Atmosphäre im CBS mit dem prägnanten Fazit: „Spielklasse: 3. Liga, Stimmung: Champions League.“
Kientz-Beurlaubung hallt nach
Überschattet wurde der Fußball-Festtag in Mannheim allerdings vom Rauswurf von Sportchef Jochen Kientz, der am Nachmittag vor dem Anpfiff offiziell gemacht wurde. Trainer Glöckner zeigte sich überrascht von der Beurlaubung seines Freundes, der ihn im Sommer 2020 aus Chemnitz zum SVW gelotst hatte.
„Das war nicht absehbar. Ich habe die Info selbst erst am Mittag bekommen. Ich habe mich nur aufs Spiel fokussiert und konnte das noch gar nicht sacken lassen. Ich weiß noch nicht, wie ich das bewerten soll. Wenn ich eine Aussage treffe, möchte ich die gezielt und richtig treffen. Dafür brauche ich noch Informationen“, sagte Glöckner.
Präsident Bernd Beetz hatte am Mittwoch im Sky-Interview einen mit der Corona-Krise zusammenhängenden „Vorfall“ als Grund für die in Fankreisen heftig kritisierte Trennung vom erfolgreichen Manager genannt – und damit die Spekulationen erst recht angeheizt. Ob die offizielle Begründung für die Demission noch ans Licht kommt, ist fraglich. Da Kientz nur beurlaubt ist und noch bis Saisonende unter Vertrag steht, greift eine beidseitige Verschwiegenheitsklausel. Der Ex-Profi hatte aber noch in der vergangenen Woche betont, dass er sich im Rahmen des Corona-Ausbruchs nichts zuschulden habe kommen lassen. „Ich habe in meinem Zuständigkeitsbereich alle Regeln eingehalten und meine Aufgaben pflichtbewusst erfüllt“, hatte der 49-Jährige dieser Redaktion gesagt.
Mit diesen unschönen Nebengeräuschen kann sich Trainer Glöckner in den nächsten Tagen nicht beschäftigen. Für ihn und die Mannschaft steht schon am Samstag (14 Uhr) gegen den 1. FC Saarbrücken das nächste Match an. Nach dem Kraftakt gegen Union und den Nachwehen des Corona-Ausbruchs gehen die Mannheimer angeschlagen in dieses Topspiel der 3. Liga. Wer ist überhaupt wieder bereit für 90 Minuten? Glöckner weiß es nicht. „Am Freitag müssen wir schauen, was das Ersatzteillager noch her gibt“, sagte er am Mittwochabend.
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