Mannheim. Von der Vesperdose bis zur Vespa gibt es hier nahezu alles in Blau und Schwarz. Aber am Donnerstagmorgen sticht im 5. Stock bei Galeria am Mannheimer Paradeplatz ein gelber Stand ins Auge. An dem bekommt jeder, der möchte, drei Tickets fürs nächste Waldhof-Heimspiel am 27. April gegen Stuttgart II (19.30 Uhr) geschenkt. Dazu gibt es drei gelbe Filz-Schlüsselanhänger in Herzform. Darauf steht: „Danke für 22 Millionen Mitglieder! ADAC.“
Laut Corinna Müller-Kraus vom ADAC Nordbaden ist es das erste Mal, dass die Münchner Zentrale des Automobilclubs in großem Stil Freikarten für ein Fußballspiel verschenkt. Die Aktion entspringe der engen Partnerschaft mit Waldhof-Hauptsponsor Galeria. Das sei jetzt auch ein Werbe-Experiment.
7000 von 10.000 „Ehrenkarten“ für den SV Waldhof bereits am ersten Tag weg
Interessant, dass man sich dafür ausgerechnet das Abstiegsduell in der Dritten Liga ausgesucht hat. Auch das Timing könnte besser sein. Die Nachfrage nach den 10.000 „Ehrenkarten“ (so die Aufschrift) ist zwar enorm, schon am ersten Tag gingen 7000 weg. Aber man merke schon, dass die Stimmung unter den Fans etwas gedrückt sei, so ein ADAC-Mitarbeiter am Stand.
Das liegt zum einen an den bitteren Heimniederlagen gegen Schlusslicht Unterhaching (0:2) und 1860 München (0:3), zum anderen am überraschenden Rauswurf des enorm beliebten Trainers Bernhard Trares und der Installation einer komplett neuen sportlichen Führung. Das sei „ganz großer Quatsch“, schimpft Noa Löscher bei Galeria. Sein Kumpel Joel Sollinak meint, grundsätzlich sei es eine gute Idee, sich mal neu aufzustellen. Doch dann müsse man das in der Sommerpause machen, nicht wenige Spieltage vor Saisonende in akuter Abstiegsgefahr. Das findet auch Rainer Fischer unverständlich. Der neue Trainer Dominik Glawogger wirke zwar kompetent und sympathisch, sei mit seinen 35 Jahren aber in der jetzigen Lage überfordert.
Roland Manet sieht die Situation mit gemischten Gefühlen. Auch wenn sicher nicht alles optimal gelaufen sei, wolle er ins „Bashing“ gegen Bernd Beetz und dessen Sohn Christian – das in sozialen Medien sehr heftig ist – nicht einstimmen. Schließlich habe der Mäzen viel für den Verein getan. Er hoffe sehr, dass der Klassenerhalt gelinge. Zumal mit dem noch schlechter platzierten SV Sandhausen in der Regionalliga auch ein großer Konkurrent um den Wiederaufstieg da wäre. Dessen Präsident Jürgen Machmeier steckt stets noch mehr Geld in Spieler.
Amir Mehmedovski denkt schon ans Heimspiel gegen Dresden am 10. Mai. Er hoffe sehr, dass der Tabellenführer dann als Aufsteiger feststehe und sich schone. Andernfalls wäre er mit Dresdner Herkunft auch hin- und hergerissen. Seine Freundin Jule Schunck ist das als Mannheimerin nicht. Fußball begeistert sie nur bedingt. „Ohne Freikarte würde ich nicht mitkommen.“
Eine Aktion mit 10.000 Gratis-Tickets gab es schon vor drei Wochen beim 0:0 gegen Dortmund II. Da kamen fast 20.000 Menschen ins Carl-Benz-Stadion. Der Schnitt liegt in dieser Saison bei rund 12.000. Gegen die wenig attraktiven Zweitvertretungen ohne Gäste-Fans sind es normalerweise deutlich weniger.
Bei der jüngsten Partie gegen München zeigte sich der Fan-Frust indes nicht nur auf Transparenten. Als die Mannschaft nach dem Schlusspfiff wie üblich zur Osttribüne wollte, wurde sie mit wütenden Gesten und Pfiffen weggejagt.
Martin Willig will den Vorfall nicht überbewerten. Der langjährige Fanbetreuer meint, der Protest habe sich allein gegen den neuen Trainer gerichtet. Der müsse sich den Respekt der Kurve erst verdienen, bevor er nach dem Spiel zu ihr kommen könne. Auch den massiven Unmut über die Führung findet er nicht ungewöhnlich. „Das hat es phasenweise immer gegeben.“ Dennoch handele es sich nach all den Rochaden um eine komplexe Situation.
Einige Fans flüchten sich unterdessen in Galgenhumor. So Ralph Adameit: „Der Trainerwechsel und die Umstände rund um das Austauschen der sportlichen Führung haben immerhin dafür gesorgt, dass wir uns endlich mal wieder mit einem Titel schmücken dürfen – dem eines Chaosvereins.“ Nun müssten wegen des „brutalen“ Restprogramms unbedingt die nächsten beiden Spiele gewonnen werden.
Spielt „Dschungelkönigin“ Lilly Becker beim Personal eine Rolle?
Zunächst geht es an diesem Sonntag zu Hannover II (16.30 Uhr). Laut SVW-Sprecher Yannik Barwig haben sich rund 500 Fans mit Auswärtstickets eingedeckt. Vor fünf Wochen nach Aue – rund 150 Kilometer weiter, aber Anstoß zur gleichen Zeit – seien nur 280 mitgekommen.
Nach Hannover fährt auch Marcel Fenske. Aus Wolfenbüttel hat er es nicht weit. Wegen der jüngsten Pleiten und der „eklatanten“ Defizite an der SVW-Spitze sei seine Vorfreude auch schon mal größer gewesen, mailt er. „Aber ich würde mich gerne positiv überraschen lassen.“
Was indes einige zusätzlich in Rage versetzt, ist ein in sozialen Medien kursierender Name: Bernd Beetz habe versucht, Lilly Becker als Werbegesicht für seine Galeria-Kaufhäuser zu gewinnen. Und über die Kontakte des Modells zu einer Spielerberatungsfirma sei die neue sportliche Führung gekommen. Sollte das stimmen: Quasi von einer „Dschungelkönigin“ zurück ins Amateurlager geschossen zu werden, das wäre wohl selbst für die leidgeprüften SVW-Fans zu heftig. Aber soweit ist es zum Glück noch nicht.
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