Mannheim. Die fleißigen Helfer in den Katakomben der SAP Arena rollten die Ladung mit den bestellten Pizza-Kartons Richtung Kabine der Rhein-Neckar Löwen, doch der schon lange zuvor geplante Mannschaftsabend zum Jahresabschluss dürfte in ziemlich bescheidener Stimmung über die Bühne gegangen sein. „Das haben wir uns alle anders vorgestellt“, war auch Trainer Klaus Gärtner der Spaß sichtlich vergangen, bevor er seine Profis noch am Montagabend in den Urlaub verabschiedete. „Da ist in der Kabine gerade viel Ruhe und Leere“, bestätigte Co-Trainer Sascha Zollinger.
Weil sich vor allem die Nationalspieler der Löwen mit Blick auf die anstehende Europameisterschaft (13. bis 30. Januar) erst zu den entsprechenden Lehrgängen und dann zur EM verabschieden, sollte das Kabinenfest den Schlusspunkt setzen. Nach der bedenklichen 26:31 (15:16)-Schlappe gegen die TSV Hannover-Burgdorf wird es bei den Löwen allerdings weiter Gesprächsbedarf geben. „So können wir nicht auftreten. Das funktioniert so nicht“, hatte Gärtner schon unmittelbar nach dem Abpfiff festgestellt. „Das war ein absolutes Katastrophenjahr. Wir wussten, dass es schwierig wird - zumindest ich. Aber wir haben nicht geahnt, dass es so schwierig wird. Wir sind nicht da, wo wir sein wollen“, musste der Coach erst gar nicht auf die Tabelle schauen, wo die Löwen als Elfter der roten Zone mittlerweile deutlich näher sind als den von einigen naiven Funktionären angepeilten Sphären im vorderen Drittel.
Auch sich selbst nahm der 46-Jährige nicht von der Kritik aus, das Trainer-Team müsse ebenfalls vieles besser machen, betonte Gärtner und hatte bereits seine To-Do-Liste im Kopf, wenn es Mitte Januar mit einem kleinen Stamm wieder weitergehen soll. Die Mithilfe einer Sportpsychologin hat bislang nicht den gewünschten Effekt erbracht, die Expertin soll aber wohl weiter mit Rat und Tat zur Seite stehen. Zusätzlich soll an den grundlegenden Dingen wie etwa der Bewegung im Angriff oder der Abwehrarbeit nachgeschärft werden. Allerdings wollte Gärtner nicht die ganzen Versäumnisse auf seine Kappe nehmen.
Bedrückende Gemengelage
„Ich bin der Letzte, der keine Verantwortung übernimmt. Aber ich kann beispielsweise nichts dafür, dass wir so viel zwischen Angriff und Abwehr wechseln müssen“, verwies der Coach indirekt auf die unrunde Kader-Zusammenstellung. Auch ein gleichwertigerer Offensiv-Backup für den verletzten Jannik Kohlbacher hätte den Löwen gegen Hannover gut zu Gesicht gestanden. Und dann wäre da noch die Torhüter-Problematik. Da man mit Andreas Palicka nicht mehr auf einen Nenner kam, sollen es Nikolas Katsigiannis und der 18-jährige Mats Grupe richten, während Palicka am Wochenende bei seinem ersten Einsatz für seinen Heimatclub in Göteborg fast jeden zweiten Ball hielt. Nun muss auf die Schnelle eine Lösung her, die auch über den Sommer 2022 hinaus weiterhelfen kann, da für den optimalen Heilungsprozess bei David Späth (Kreuzbandriss) und Mikael Appelgren (Knorpelschaden) niemand garantieren kann.
Es sind vor allem diese sich vielschichtig überlagernden Einzel-Problematiken, die sich aktuell zu einem Gesamtbild der Misere zusammenfügen. Einzelne Formtiefs von eigentlich gestandenen Spielern wie etwa Albin Lagergren, der trotz eines bis 2023 gültigen Vertrags ebenfalls Abwanderungsgedanken hegt, oder die Disbalance zwischen Alt und Jung, die den Youngstern momentan einfach zu viel Verantwortung aufbürdet, während Routiniers abtauchen oder die Verantwortung weitergeschoben wird. Ähnlich sieht es Regisseur Andy Schmid, dem gegen Hannover ebenfalls nicht viel gelang, der sich aber hinterher stellte. „Das Problem ist: Es ist nicht nur ein Problem“, sagte der Schweizer und holte gleich zu einer umfassenderen Analyse aus. „Die Ansprüche sind zu hoch an diese Mannschaft, aber Spiele wie zuletzt gegen Erlangen und Hannover sind dennoch nicht unserer Qualität entsprechend. Wenn man zuhause gegen Hannover in der zweiten Halbzeit chancenlos ist, stimmt etwas nicht. Das ist den Rhein-Neckar Löwen nicht würdig“, monierte der Routinier und hofft auf eine ehrliche, schnelle Selbsteinschätzung, um mittelfristig wieder in die Spur zu kommen, anstatt Dinge auszusitzen.
„Jetzt muss ein Eingeständnis her“
„Es geht ums Generelle im ganzen Verein, dass man sich mal hinstellt und sagt: Wir haben vielleicht ein zwei Fehler zu viel gemacht und uns im Erfolg ausgeruht. Jetzt muss ein Eingeständnis her“, hofft Schmid darauf, dass das Jahr nicht einfach zu den Akten gelegt wird. Der 38-Jährige wollte seine Forderung allerdings nicht als Schuldzuweisung an Einzelne verstanden wissen.
„Ich auf dem Feld habe Verantwortung, Klaus hat als Trainer Verantwortung, die Geschäftsführung hat Verantwortung - es haben alle Verantwortung, die im Club arbeiten, Ambitionen und ein Löwenherz haben. Da müssen wir uns auch mal hinstellen, wenn’s beschissen läuft“, sagte Schmid und machte sich auf den Weg zu seiner Pizza, die wohl nicht nur ihm schwer im Magen gelegen haben dürfte.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Das große Scheitern der Rhein-Neckar Löwen