Der deutsche Handball-Nationaltorwart Joel Birlehm spielt ab sofort für die Rhein-Neckar Löwen. Im exklusiven Interview spricht der 24-Jährige über die Bedeutung der Torhüter, sein Jugendidol Henning Fritz und seinen Ehrgeiz.
Herr Birlehm, die schwedische Torhüterlegende Tomas Svensson sagt, dass im Gegensatz zur landläufigen deutschen Meinung nicht die halblinke Rückraumposition, sondern die Torwartposition die Königsposition ist. Hat er recht?
Joel Birlehm (lacht): Der Handball ist auf jeden Fall so vielseitig geworden, dass es nicht auf eine einzige Position ankommt. Demnach spielt der Halblinke auch nicht auf der Königsposition.
Also doch eher der Schlussmann?
Birlehm: Ein Torwart hat auf jeden Fall Macht. Er kann ein Spiel allein prägen. Wenn wir uns die Spiele in der Weltspitze ansehen, das ist doch der Wahnsinn, was da teilweise passiert. Da gewinnen Torhüter Spiele fast im Alleingang.
Zusammen mit der Abwehr.
Birlehm: Natürlich. Aber wenn wir uns die WM 2019 ansehen: Was Niklas Landin in diesem Turnier für Dänemark an freien Bällen weggenommen hat, das war eine herausragende Einzelleistung über ein gesamtes Turnier. Sein Team wurde nicht rein zufällig Weltmeister.
Der Torhüter ist also der Schlüssel zum Erfolg?
Birlehm: Meistens. Spiele gehen recht selten 42:39 aus. Die Abwehr- und die Torwartleistung sowie das daraus entstehende Tempospiel geben in der Regel den Ausschlag.
Sich Bälle mit 140 Stundenkilometern um die Ohren werfen zu lassen, ist aber kein Traumjob.
Birlehm: Ich finde schon. Ein Torwart ist die letzte Instanz. Er steht immer im Fokus, an ihm kann kein Spiel vorbeigehen. Ein Außenspieler hat manchmal wenige oder gar keine Aktionen, weil er fast keinen Ball bekommt. Als Torwart bist du eigentlich bei jedem gegnerischen Angriff gefordert. Das fasziniert mich. Auch wenn ich natürlich weiß, dass man da auch mal doof dastehen kann, wenn einem ein Ball durchrutscht oder wenn man acht, neun Würfe in Folge nicht hält.
- Joel Birlehm wurde am 25. April 1997 in Herford geboren.
- In der Jugend spielte der Handball-Torwart für die JH Bad Salzuflen und ab 2010 für GWD Minden.
- Stationen als Profi: GWD Minden (2015-2017), TuS N-Lübecke (2017-2019), SC DHfK Leipzig (2019-2022), Rhein-Neckar Löwen (ab Januar 2022).
- Privates: Birlehm wurde am Sonntag erstmals Vater. Seine Verlobte Charlotte brachte Tochter Mathilda zur Welt. Wegen der Geburt reiste er auch nicht als Nachnominierter zur Nationalmannschaft.
Deutschland ist traditionell eine große Torwartnation. Erhöht das Wissen um die prominenten Vorgänger den Druck?
Birlehm: Mir ist diese Historie nicht egal. Es macht mich eher ein bisschen stolz, dass so viele großartige Torhüter schon für Deutschland gespielt haben und ich die Chance bekomme, diese Tradition fortzusetzen. Wenn ich nur an Henning Fritz denke, der ist mein Held. Im Jugendtraining haben wir damals die Partien der WM 2007 nachgespielt. Ich war neun Jahre alt und immer Henning Fritz. Ich bekomme jetzt noch eine Gänsehaut, wenn ich daran denke, wie er im Halbfinale gegen Frankreich den letzten Wurf abwehrt und dann mit dem Ball in der Hand durch die halbe Halle rennt. Diese Bilder werde ich niemals vergessen.
Ein paar Jahre später war Henning Fritz Ihr Torwarttrainer bei der Jugend- und Juniorennationalmannschaft…
Birlehm: …was ich 2007 noch nicht einmal zu träumen gewagt hätte. Als ich das erste Mal mit ihm in der Trainingshalle stand, war das ein sehr großer Moment für mich. Da stand plötzlich eine Legende, mein Kindheitsidol vor mir. Aber meine Aufregung hat sich recht schnell gelegt, weil Henning ein Super-Typ ist.
Wenn Sie im Tor stehen: Wie viel Reaktionsvermögen, Intuition und Vorbereitung gehören dazu, einen Ball zu halten?
Birlehm: Alle drei Dinge gehen Hand in Hand. Videostudium ist ein Riesenthema, reicht allein aber nicht aus. Denn wenn nur das entscheidend wäre, dann könnten Sie sich ja ganz viele Videos anschauen und schon würden Sie die Bälle in der Bundesliga abwehren. Und ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen: Aber das traue ich Ihnen bei allem Respekt dann doch nicht zu (lacht).
Ich mir übrigens auch nicht…
Birlehm: Es wäre ja auch wirklich ein bisschen einfach. Am Ende kommt es immer ein wenig auf den Mix an, wobei das Wissen aus dem Videostudium besonders in der Schlussphase eines Spiels helfen kann.
Warum?
Birlehm: Wenn der Druck steigt und die Müdigkeit zunimmt, dann verfällt jeder Mensch gerne intuitiv in bekannte und bewährte Verhaltensmuster. Ein Handballer entscheidet sich dann also auch bevorzugt für seine Lieblingswürfe. Aber eben nicht immer.
Es heißt, Torhüter seien besonders schräge Typen. Sie kommen mir ganz normal vor.
Birlehm: Ich finde auch nicht, dass ich einen an der Waffel habe. Natürlich ist es speziell, Torwart zu werden. Aber wer bitteschön will denn schon Kreisläufer sein? Das ist ja noch spezieller.
Inwiefern?
Birlehm: Als Torwart weiß ich, wann es warum schmerzt. Aber am Kreis, da wird getreten, geschubst und geschlagen und man kann manchmal gar nicht erahnen, was gleich wieder passiert und wo es herkommt. Plötzlich wird da dem Kreisläufer unvermittelt ein Ellenbogen in den Rücken gerammt. Als Torwart sehe ich wenigstens die Gefahr, die da auf mich zufliegt. Das ist mir echt lieber.
Ist es Ihnen eigentlich wichtig, die klare Nummer eins zu sein?
Birlehm: Ich denke schon, dass solch ein Status Sicherheit verleihen kann. Andererseits: Wo gibt es denn noch eine klare Nummer eins? Johannes Bitter in Hamburg, Niklas Landin in Kiel – die sind absolute Ausnahmekönner und entsprechend sind sie auch jeweils die unumstrittene Nummer eins. Natürlich strebe ich solch einen Status auch an. Ich sitze nicht gerne auf der Bank, sondern will Spiele prägen und immer auf dem Feld stehen. Am liebsten jede Minute. Andererseits wissen die Vereine, wie wichtig die Torwartposition ist. Entsprechend stehen in fast jedem Club zwei Topkeeper unter Vertrag, die sich dann auch als Team verstehen.
Aus dem ersten Corona-Lockdown kamen Sie mit 13 Kilo mehr Muskelmasse zurück. Was hat Sie dazu bewogen?
Birlehm: Ich war sowieso verletzt und habe mir gedacht, dass ich diese Chance auch nutzen kann, um richtig austrainiert zu sein. Ich wusste ja: So viel Zeit, um mich um meinen Körper zu kümmern, werde ich in meiner Laufbahn wohl nie mehr bekommen. Ich bin 1,96 Meter groß und habe vorher 92 Kilo gewogen, da war also noch Luft nach oben.
13 Kilo Muskelmasse aufbauen: Wie geht das? Viel Krafttraining, das ist klar. Was sonst noch?
Birlehm: Wenig laufen, viel essen.
Das bekomme ich auch hin.
Birlehm (lacht): Ein Schuss Olivenöl im Shake – das sind pure Kalorien. Oder ich habe abends vorm Fernseher gesessen und ein ganzes Brot gegessen. Meine Freundin Charlotte meinte aber irgendwann, dass das in diesen Mengen weder schön noch appetitlich sei.
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