Mannheim. Herr Hinze, sind Sie ein disziplinierter Mensch?
Sebastian Hinze: Ja, das würde ich schon sagen. Vor allem, wenn es um meine Arbeit geht.
Und außerhalb des Jobs?
Hinze: Na ja.
Ich habe hier Weingummi für Sie.
Hinze (lacht): Oh, vielen Dank. Süßigkeiten sind in der Tat ein Thema, bei dem es schwieriger wird mit der Disziplin. Haribo und Schokolade gibt es bei uns zu Hause nicht. Und wenn doch, ist beides schnell weg.
Als Ausgleich fahren Sie dafür von Schwetzingen aus mit dem Fahrrad zum Training nach Kronau.
Hinze: Das ist eine super Sache. Auf dem Rad bekomme ich den Kopf frei und kann auf dem Rückweg immer noch den Trainingstag sortieren.
Als Sie Trainer beim Bergischen HC waren, sind Sie laufen gegangen. Haben Sie das gegen das Radfahren eingetauscht?
Hinze: Nein, die Laufeinheiten gibt es nach wie vor. Und sie machen mir immer noch keinen Spaß. Ich spüre jedoch, dass mir diese Läufe guttun.
Stichwort Spaß: Die Saison- vorbereitung macht den Spielern oft wenig Freude. Wie geht es dem Trainer damit?
Hinze: Ich denke, dass die Strapazen auch den Spielern Spaß machen. Denn sie wissen, wofür sie das tun. Alle ziehen voll mit – und das bereitet mir Freude. Ich finde diese Zeit vor einer Saison generell schön, weil man mit weniger Druck Dinge entwickeln kann. Deswegen genieße ich diese sieben Wochen immer.
Sebastian Hinze
- Sebastian Hinze wurde am 26. April 1979 in Wuppertal geboren. Er lebt mit seiner Ehefrau Patrycja in Schwetzingen.
- Zu seiner aktiven Laufbahn spielte Hinze auf der Kreisläufer-Position.
- Vereine als Spieler: TG Cronenberg, LTV Wuppertal, SG Solingen (bis 2006), Bergischer HC (2006-2011)
- Vereine als Trainer: Bergischer HC (2012-2022), Rhein-Neckar Löwen (seit Juli 2022).
Sind Sie zuletzt auch mal mit der Mannschaft gelaufen?
Hinze: Ja.
Und?
Hinze: Ich wurde Letzter (lacht).
Das muss daran liegen, dass Sie als Trainer viel um die Ohren haben. Können Sie gut entspannen?
Hinze: Erst wenn die Arbeit erledigt ist. Ich kann nicht irgendetwas anderes machen, wenn ich im Hinterkopf habe, dass da noch zwei Spiele analysiert werden müssen. Das spukt mir im Kopf herum.
Haben Sie manchmal spontane Ideen, die Ihre Arbeit betreffen?
Hinze: Die hat jeder Trainer. Bei mir sind diese spontanen Eingebungen bislang allerdings noch nicht nachts gekommen. Es kann aber hin und wieder sein, dass wir bei Freunden zum Grillen sitzen und ich kurz geistig abwesend bin, weil mir gerade etwas eingefallen ist. Ich habe für solche Fälle immer ein Notizbuch dabei.
Als Trainer beim Bergischen HC bekam Hinze von seinen Spielern vor einigen Jahren eine magnetische Angel geschenkt, weil er auf der Taktiktafel ab und zu die Steine zu schnell bewegte und diese dann auf den Boden fielen. Noch heute kann der Trainer darüber herzlich lachen.
Hat es die Angel mit nach Kronau geschafft?
Hinze: Nein.
Liegt sie irgendwo im Keller oder wurde sie ganz aussortiert?
Hinze: Ehrlich gesagt war das Ding nicht so richtig zu gebrauchen. Außerdem bin ich deutlich versierter im Umgang mit der Magnettafel geworden (lacht).
Dass eine Mannschaft solch einen Spaß mit Ihnen machen kann, spricht für Ihren Humor. Sind sie als Trainer ein Kumpeltyp?
Hinze: Das glaube ich nicht. Vermutlich können die Spieler das aber besser beantworten. Ich denke, dass man mit mir ganz gut auskommen kann. Aber wenn wir in der Halle stehen, gibt es klare Ansagen. Ich weiß, was ich will, und möchte eine hohe Intensität im Training sehen.
Ist es für Sie ein Traumjob, in der Bundesliga zu arbeiten?
Hinze: Mein persönliches Glück ist nicht vom Job als Bundesliga-Trainer abhängig. Diese Arbeit macht mir zweifelsohne unglaublich viel Spaß. Aber für meine Erfüllung muss ich nicht zwingend Profitrainer sein. Wichtig ist mir die Aufgabe. Ob das dann in der Bundesliga oder im Jugendbereich oder als Lehrer ist, spielt für mich keine riesige Rolle.
Zum Leben des Profitrainers gehört die Begleiterscheinung, im Erfolgsfall der Held und in der Krise der Sündenbock zu sein. Wie gehen Sie mit diesen Extremen um?
Hinze: Ich habe damit beim Bergischen HC meine Erfahrungen gemacht. Aber mir ist es gelungen, zwischen dem Menschen und dem Trainer Sebastian Hinze zu unterscheiden. Ich bin davon überzeugt, dass in solchen Momenten nicht der Mensch angegriffen wird.
Und wie geht der Trainer Hinze damit um?
Hinze: Der passt auf, dass seine Spieler nicht zur Zielscheibe werden.
Unabhängig von den Löwen: Was muss Ihrer Meinung nach ein Verein immer haben?
Hinze: Eine Vision und das Wissen, mit welchen Spielern die angestrebten Ziele erreicht werden können. Die entscheidenden Fragen lauten: Wo wollen wir hin? Wie wollen wir spielen? Was passt in die Region? Welcher Trainer ist der richtige Mann, um diese Philosophie umzusetzen? Es geht darum, dass der Verein einen Wiedererkennungswert hat und eine Idee verfolgt, bei welcher der Trainer nicht das Wichtigste ist, sondern das System und die Philosophie größer als der Trainer sind. Der Club steht über einzelnen Personen und darf im Idealfall nicht von diesen abhängig sein.
Und was braucht eine Mannschaft?
Hinze: Führung. Auch innerhalb des Teams, nicht nur durch den Trainer. Und eine Mannschaft benötigt eine gewisse Kultur und Regeln, die sie selbst mitbestimmt, an die sie sich aber hält.
Wofür steht ein Team, das von Ihnen trainiert wird?
Hinze: Meine Mannschaft soll unangenehm sein, nicht durchschaut werden und ihre Spielidee durchziehen. Mir ist es wichtig, dass der Gegner keine Ruhe hat. Es geht um Fokussierung und Einsatzbereitschaft.
In seinen zehn Jahren beim Bergischen HC hatte Hinze einige Anfragen von anderen Vereinen. Doch er blieb immer beim BHC. Auch weil der Coach nicht verstand, warum die interessierten Clubs ausgerechnet ihn haben wollten, welche Idee dahinterstand. Bei den Löwen war das allerdings anders. Recht schnell fand er Gefallen an dem Job.
Warum haben Sie die Löwen-Idee mit Ihnen verstanden?
Hinze: Weil es ein Verein im Umbruch ist und ich ein Trainer bin, der gerne entwickelt. Ich habe schnell gespürt, dass ich hier helfen kann.
Die Löwen sagen, Sie hätten in den Gesprächen unangenehme Wahrheiten ausgesprochen und damit gepunktet. Was haben Sie gesagt?
Hinze: Nichts Schlimmes. Bei solchen Gesprächen gibt es immer ein bisschen Rumgeplänkel. Erst danach geht es in die Tiefe. Ich wollte relativ schnell dieses Blabla weglassen und wissen, ob man zusammenarbeiten kann oder eben nicht. Es gab von beiden Seiten harte Fragen und ehrliche Antworten. Ich habe meine Einschätzung abgegeben, wie ich die Löwen sehe im Vergleich zu anderen Spitzenteams. Und da müssen wir nicht darüber reden, dass Magdeburg, Kiel, Flensburg und Berlin erst einmal enteilt sind und wir hier etwas aufbauen müssen, um da wieder hinzukommen. Doch das wird einige Zeit dauern.
Haben diese schmerzhafte Wahrheit alle verstanden?
Hinze: Ja. Wir waren uns einig.
Hat es Sie besonders gereizt, einen abgestürzten Spitzenverein wieder nach oben führen zu sollen?
Hinze: Das würde ich so nicht sagen. Es ist eher die Tatsache, dass hier gewisse Dinge schneller umzusetzen sind, weil die Löwen andere Möglichkeiten haben. Mal abgesehen davon: Als ich vor eineinhalb Jahren zugesagt habe, waren die Löwen gar nicht so weit weg von der Spitze. Zumindest gefühlt.
Sind Sie froh über Ihre gute Startvoraussetzung? Schlechter als Platz zehn in der Vorsaison geht es kaum.
Hinze: So ticke ich nicht. Es wäre für mich völlig in Ordnung gewesen, wenn die Löwen letzte Saison mit einem gefeierten Übergangstrainer Meister geworden wären. Dann hätte man für mich halt eine Lösung finden müssen (lacht). Aber die hätte es sicherlich gegeben. Wenn die vergangene Saison aber etwas Gutes hatte, dann die daraus folgende realistische Selbsteinschätzung und die Bereitschaft zur Demut. Platz zehn hat allen klar gemacht, wo dieser Verein steht und wie weit weg die Spitze ist. Auch wenn ich mir Platz zehn keinesfalls gewünscht habe.
Die Löwen reden gerne davon, mittelfristig wieder die jetzigenTop-Vier angreifen zu können. Was bedeutet mittelfristig?
Hinze: Wir werden drei bis fünf Jahre brauchen. Das ist meine Definition. Daran können Sie mich jetzt messen (lacht). Bis dahin will ich aber auch nicht dreimal Zehnter werden.
Sondern?
Hinze: Wie gesagt. Wir sind nicht Top-Vier, was nicht heißt, dass wir da nicht landen können. Aber dann wäre das ein Ausrutscher nach oben. Klar ist: Wir wollen näher an die Topclubs heranrücken. Aber ich weiß, dass Sie etwas Konkretes von mir hören wollen, auf das Sie mich im Nachhinein festnageln können. So sind doch die Medien (lacht).
Ich bin ganz Ohr.
Hinze: Ich bin ein Freund kleiner Ziele.
Wenn sie denn konkret sind...
Hinze: Es kann nicht sein, dass ein Verein wie die Löwen in der Hin- und Rückrunde der vergangenen Saison ein negatives Punktekonto hat. Das wollen wir verbessern. Und das ist auch möglich. Ich habe mit der Qualität dieses Kaders einen anderen Anspruch als das Ergebnis der vergangenen Saison.
Was dann zu welcher Platzierung führen soll?
Hinze: Das kann ich nicht beeinflussen. Realistisch gehören wir zu den Clubs auf den Plätzen zwischen fünf und zehn. Ich möchte nicht, dass wir träumen. Aber ich will, dass wir eine Vision verfolgen. Dazu gehören Rückschläge, die es zu akzeptieren gilt und nicht die Wirkung einer Vollbremsung haben sollten.
Hinze ist ein Musikliebhaber. Er hört gerne die Rockband Pearl Jam oder auch Country-Musik. Wenn es geht, auf einer Schallplatte. In den Urlaub fährt der Trainer meistens mit dem VW-Bus, den der gebürtige Wuppertaler selbst ausgebaut hat. „Meine Frau ist Lehrerin. Wir hatten in den vergangenen Jahren ein einziges Mal zusammen Urlaub.“ Also nimmt sich Hinze schon mal den Bus und die Hunde gleich mit. „Da muss man nicht viel planen.“ Außerdem fährt der 43-Jährige eine Vespa und besitzt einen Oldtimer. Genauer gesagt einen BMW 02 Baur, Cabrio, Baujahr 1972. „Leider habe ich zu wenig Zeit, um mit diesem Wagen zu fahren“, sagt Hinze, der noch ein anderes Problem hat. Momentan fehlt ihm in seiner neuen Heimat eine Garage.
Muss der Kabinen-DJ der Löwen seine Technik erweitern?
Hinze (lacht): Nein, die Musik, die ich gerne höre, ist nicht nur auf Schallplatten verfügbar. So alt bin ich auch noch nicht. Ich mag aber den Ton einer Schallplatte sehr gerne. Dieses Knistern ist geil. Meine Frau spricht zwar immer vom Rentner-Style, wenn ich da im Ohrensessel sitze und meine Musik höre. Aber ich finde ganz einfach, dass diese Musik auch gut zur Schallplatte passt.
Schallplatte, Vespa, Oldtimer, VW-Bus. Das klingt allerdings wirklich nach Retro.
Hinze: Ich nenne es nachhaltig (lacht).
Eineinhalb Stunden nach dem Ende des Interviews läuft Hinze durch die Lobby des Mannschaftshotels in Altensteig, wo die Löwen am Wochenende ein Turnier spielten. Er greift in ein Glas mit Süßigkeiten, dreht sich um und sagt grinsend: „Disziplin.“
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