Handball - Andy Schmid im Interview

Löwen-Legende Schmid: "Es war 1000 Mal besser als erwartet"

Vor der Partie gegen den THW Kiel am Mittwoch (19.05 Uhr) spricht Andy Schmid über einen bedeutenden Satz seiner Mutter, Schlüsselerlebnisse mit den Rhein-Neckar Löwen sowie die Zukunft des Vereins und der Handball-Bundesliga. Außerdem verrät er, warum bei seinen Toren der „Baywatch“-Titelsong gespielt wird.

Von 
Marc Stevermüer
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Das Ende des Vize-Fluchs: Andy Schmid (v.l.) hält 2016 neben Mikael Appelgren und Patrick Groetzki die Meisterschale in die Höhe. © AS Sportfoto/ Binder

Mannheim. Nach zwölf Jahren verlässt Handballer Andy Schmid die Rhein-Neckar Löwen. Im exklusiven Interview blickt der zurück und voraus.

Andy, kurz vor Ihrem letzten Löwen-Heimspiel. Was spüren Sie? Nervosität, Freude, Wehmut?

Andy Schmid: Nervös bin ich nicht. Aber Freude und Wehmut, das trifft es.

Inwiefern?

Schmid: Es war mir eine Ehre, bei den Löwen zu spielen. Die Zeit bleibt unvergessen, ich trage diesen Verein im Herzen. Aber es ist richtig, jetzt nach Hause zu gehen. Meine Frau, unsere Kinder und ich waren all die Jahre ein wenig isoliert vom Leben unserer Familie in der Schweiz, nun geht es zurück in die Heimat. Das fühlt sich gut an.

Gingen in zwölf Jahren Handball-Bundesliga (HBL) alle Wünsche in Erfüllung?

Schmid: Es war 1000 Mal besser. So, wie alles gekommen ist - das hätte ich nie, nie im Leben erwartet. Noch nicht einmal geträumt. Ich habe in meiner Karriere zu keiner Zeit in riesigen Schritten gedacht, für mich gab es immer nur das Ziel Bundesliga. Das hatte ich 2010 erreicht.

Und dann?

Schmid: Wollte ich mich etablieren. Mit ein wenig Verzögerung hat das geklappt. Und so ging es immer weiter. Einen Schritt nach dem nächsten. Als ich Stammspieler bei den Löwen war, wollte ich einen Titel gewinnen. Irgendeinen. 2013 folgte der Sieg im Europapokal.

Plötzlich blieb nur noch die Meisterschaft als Ziel.

Schmid: Ja. Für mich war das eigentlich nicht vorstellbar, als ich in die Bundesliga kam. Der THW Kiel hat damals die Bundesliga dominiert, das war ein anderes Niveau. Ach, was sage ich da: Gefühlt war das eine andere Sportart, die der THW da betrieb. Es schien mir unmöglich, auf dieses Level zu kommen oder gar vor Kiel zu stehen. Diese Mannschaft schien unerreichbar.

Was sie für die Löwen aber doch nicht war. Gab es ein Schlüsselerlebnis?

Schmid: Als wir 2014 haarscharf die Meisterschaft verpassten (), kam das Gefühl in mir auf, dass wir es vielleicht doch schaffen können.

Im Augenblick des Frusts?

Schmid: Nein, nein. Unmittelbar nach dem verspielten Titel dachte ich mir: Diese Meisterschaft bleibt unerreichbar. Uns wurde etwas aus der Hand gerissen, was uns gehört. Das tat extrem weh. Aber mit der Zeit wurde das Streben nach diesem Titel größer und intensiver als jemals zuvor. Deswegen ist meine Reise mit den Löwen auch so besonders. Wir mussten - auf gut Deutsch - erst durch die Scheiße gehen, um etwas Großes zu schaffen.

Haben die zwei Meisterschaften die Erinnerungen an den verspielten Titel 2014 in Gummersbach ausgelöscht?

Schmid: Nein. Wenn ich zwei Mannschaften irgendwo punktgleich in irgendeiner Tabelle sehe, schaue ich immer gleich aufs Torverhältnis. Darauf kam es schließlich damals auch bei Kiel und uns an. Das ist ein Reflex. Ansonsten frisst mich das nicht innerlich auf, wenn ich an Gummersbach 2014 denke, weil ich weiß, dass daraus etwas Großes entstanden ist, dass wir daraus etwas Gutes gemacht haben. Ohnehin möchte ich die negativen Sachen in meiner Karriere nicht vergessen. Die verspielte Meisterschaft und dass ich ein Jahr lang richtig gekämpft habe, um hier anzukommen, diese Momente gehören genauso zu meiner Karriere wie die Titelgewinne. Vielleicht sind die Erfolge auch nur deswegen gekommen, weil wir vorher diese negativen Erlebnisse hatten.

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Sie kommen aus der Schweiz, die jetzt nicht gerade als große Handball-Nation gilt. Wenn also in jungen Jahren alle Wintersportler werden wollen, wie ernst wird man dann mit dem Ziel Handball-Bundesliga genommen?

Schmid: (lacht): So vielen Leuten habe ich das gar nicht gesagt, ich bin eher unter dem Radar gelaufen und war nie das allergrößte Talent.

Wirklich nicht?

Schmid: Nein. Ich war ein ganz lustiger Spieler, der sicherlich ein paar Dinge drauf hatte, die andere nicht konnten oder sich nicht getraut haben. Aber ich bin auch oft auf die Schnauze geflogen, musste mir viel Kritik anhören und habe wahrscheinlich unzählige Spiele für meine Mannschaft verloren, weil ich irgendeinen Firlefanz im Kopf hatte, der nicht funktionierte.

Sie wurden fünfmal zum MVP, also zum besten Spieler der Bundesliga, gewählt. Was bedeutet Ihnen das?

Schmid: Persönliche Auszeichnungen sind etwas Schönes, weil sie die eigene Leistung anerkennen. Sie haben mich auch angespornt, das Gezeigte immer wieder zu bestätigen. Aber ich habe vor vielen, vielen Jahren als kleiner Junge angefangen, Handball zu spielen, weil ich mit einer Mannschaft Titel gewinnen will. Jeder einzelne Erfolg mit den Löwen steht deshalb auch über einer MVP-Ehrung. Zumal ich ganz genau weiß, dass ich ohne meine Teamkollegen niemals MVP geworden wäre. Schon gar nicht fünfmal. Spieler wie Gedeón Guardiola und Hendrik Pekeler werden leider zu oft vergessen, weil sie fast nur oder sehr viel in der Abwehr spielen. Aber ohne diese beiden Jungs hätten wir keine Meisterschaften geholt. Ohne sie wäre es auch für mich schwerer gewesen, so unbeschwert im Angriff zu spielen.

Man hätte sich auch vorstellen können, dass Sie mal für einen ganz großen Club wie den FC Barcelona oder Paris Saint-Germain spielen. Warum kam es dazu nie?

Schmid: Meine Mama hat immer gesagt: "Wenn etwas gut passt, sollte man es nicht ändern." Danach lebe ich, das habe ich mir zu Herzen genommen. Gerade auch mit Blick auf die Löwen. Es gab keinen Grund, diesen Verein zu verlassen, erst recht nicht nach den Erfolgen. Harmonie und Ruhe sind mir außerdem wichtig, meiner Familie gefiel es immer in der Rhein-Neckar-Region. Die Löwen und ich - das passte einfach. Deswegen wollte ich auch nicht das Risiko eingehen und etwas Gutes hinter mir lassen, nur um zu sagen, dass ich etwas Neues probieren will.

Ebenfalls nicht neu ist die Musik, die nach Ihren Toren in der SAP Arena gespielt wird: der Titelsong der Rettungsschimmer-Serie "Baywatch" aus den 90er Jahren. Retter in der Not waren Sie ja für die Löwen häufiger. War dieser Song also eine bewusste Wahl?

Schmid: (lacht). Ich weiß noch nicht einmal mehr, wie es überhaupt dazu kam. Als ich meinen ersten Vertrag bei den Löwen unterschrieben habe, wurden mir unzählige Fragen gestellt. Wo willst du wohnen? Welche Rückennummer möchtest du? Welcher Spind soll es sein? Das hat mich überfordert. Ich kannte es bis dahin nur, meine Sachen selbst zu tragen und zu packen. Und plötzlich möchte ein Verein von mir wissen, welches Lied ich hören will, wenn ich ein Tor erziele. Das war echt zu viel für mich. Ich glaube, ich habe bei der Musik einfach dem erstbesten Vorschlag zugestimmt.

Löwen-Kapitän Andy Schmid mit dem DHB-Pokal. © Klahn

Als Sie in die Rhein-Neckar-Region kamen, waren Sie mit Ihrer Frau Therese noch nicht verheiratet und hatten keine Kinder. Hat die Geburt Ihrer Söhne den Blick auf den Profi-Handball verändert?

Schmid: Kinder sind das wahre Glück und meine Familie zeigt mir, worauf es ankommt. Meine Frau Therese und meine beiden Söhne helfen mir, schlechte Momente einfacher zu verarbeiten. Früher war ich nach Niederlagen nicht unbedingt ein angenehmer Zeitgenosse für meine Mitmenschen. Aber das muss ich auch ganz klar sagen: Ich bin durch die Geburt meiner Kinder nicht weniger ehrgeizig oder irgendwie ruhiger geworden. Der Sport ist mir genauso wichtig wie vorher, und es kotzt mich nach wie vor jedes Mal an, wenn wir verlieren. Die Löwen zu verlassen und niemals diese Meisterschaft gewonnen zu haben, das hätte sich unvollendet angefühlt. Es wäre für mich ganz einfach schwer zu akzeptieren gewesen.

Nach dem Pokalsieg 2018 ging es bergab mit den Löwen. Was ist passiert?

Schmid: Die vergangenen drei Jahre waren ernüchternd und den Löwen nicht würdig. Wir sind im Schnellzugtempo abgerutscht von ganz oben ins Tabellenmittelfeld. Das war lehrreich, sehr lehrreich sogar. Für mich persönlich und sicherlich auch für den Verein. Wir haben gemerkt, wie schwer es ist, an der Spitze zu bleiben. Und wir haben erlebt, dass selbst ein kleines Ausruhen auf Erfolg gleichbedeutend mit dem ersten Rückschritt ist. Wir, also alle im Verein, haben es verpasst, alles dafür zu tun, die Erfolge zu bestätigen. Das muss man so ehrlich sagen. Es ist einfach nicht mehr gelungen, die Abgänge zu kompensieren.

Welche Zukunft haben die Löwen?

Schmid: Die nächsten drei Jahre werden für den Weg dieses Vereins entscheidend sein. Wenn die Löwen wieder oben mitspielen wollen, müssen von nun an in jedem Sommer ein, zwei Spieler geholt werden, die diese Mannschaft wirklich besser machen. Die Löwen brauchen schlichtweg gute Transfers und Kontinuität. Nur dann kann es gelingen, 2025 oder 2026 wieder um die Champions-League-Plätze zu spielen. Denn es ist ja nicht nur so, dass diese Mannschaft zuletzt zu viel Qualität verloren hat. Flensburg, Kiel, Magdeburg und Berlin haben es gleichzeitig deutlich besser gemacht und sind stärker geworden.

Immer mehr Topspieler verlassen die HBL wegen der immensen Belastung. Welche Zukunft hat die Liga?

Schmid: Die Bundesliga ist in der Außendarstellung und in der Wahrnehmung die geilste Liga der Welt. Das ist unbestritten und das wird immer so bleiben. Die Hallen sind voll, alle Spiele werden im Fernsehen übertragen, das öffentliche Interesse ist groß. Aber ich verstehe immer mehr, warum Topspieler Deutschland verlassen. Diese Liga ist mit ihren 34?Spieltagen ein krasses Hamsterrad, weil man wirklich in jeder Partie an seine Grenzen gehen muss. Dazu die europäischen Vereinswettbewerbe, die jährlichen Nationalmannschaftturniere im Januar - das ist ein brutales Pensum, das zu extrem an die Substanz geht.

Wie lässt sich das ändern?

Schmid: Die Bundesliga wird einige Dinge überdenken und vielleicht sogar die Anzahl der Mannschaften reduzieren müssen, wenn sie weiterhin der unumstrittene Anziehungspunkt für die Topspieler sein will. Denn gutes Geld verdient man mittlerweile auch in anderen Ländern, wo die Strapazen kleiner sind. Deswegen sollte die Bundesliga besser nicht die Augen verschließen und auf das Prinzip Hoffnung setzen, sondern handeln. Wenn alles so bleibt, werden die größten Spieler künftig nicht mehr in dieser großen Anzahl bei deutschen Vereinen unter Vertrag stehen. Da bin ich mir relativ sicher.

Redaktion Handball-Reporter, Rhein-Neckar Löwen und Nationalmannschaft

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