Handball

Bundesliga-Rückkehr und Titeltipp? Das sagt Löwen-Legende Schmid

Zwölf Jahre prägte der Schweizer Andy Schmid die Handball-Bundesliga. Vor dem Saisonstart spricht die Löwen-Legende im Interview über seinen Ex-Club, seine Titelfavoriten und eine mögliche Rückkehr nach Deutschland

Von 
Marc Stevermüer
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2016 gewann Andy Schmid (im Bild mit Schale) zum ersten Mal mit den Rhein-Neckar Löwen die deutsche Meisterschaft. © Sörli Binder

Andy, Stefan Kretzschmar hat zuletzt verkündet, dass Sie nach der EM im Januar vielleicht für ein Bundesliga-Comeback bei den Füchsen Berlin zur Verfügung stehen. Hat der Füchse-Sportdirektor aus dem Nähkästchen geplaudert oder etwas falsch verstanden?

Andy Schmid (lacht): Da lassen wir mal Raum für Spekulationen. Ich habe das eher flapsig daher gesagt, aber Kretzsche hat es offensichtlich als Angebot empfunden.

Sie können es jetzt öffentlich zurückziehen.

Schmid: Ich habe immer gesagt, dass ich niemals etwas ausschließen werde. Aber um es klarzustellen: Es gibt momentan wirklich keine konkreten Pläne, noch einmal in der Bundesliga zu spielen.

Vermissen Sie die Bundesliga?

Schmid: Ich werde am 30. August 40 Jahre alt - und deswegen ist es komplett in Ordnung, wie es gerade ist. Ich muss ehrlich sagen: Wenn ich meinen Körper von oben bis unten durchscanne, schmerzt es an mehreren Stellen. Und deswegen ist es richtig, nicht mehr in der Bundesliga zu spielen, auch wenn es Sachen gibt, die ich vermisse. Aber ich spüre eben auch, dass Körper und Kopf nicht mehr dasselbe wollen.

Welche „Sachen“ vermissen Sie denn?

Schmid: Nur die Highlights, also eine ausverkaufte Mannheimer SAP Arena, Auswärtsspiele in Kiel, Flensburg und Magdeburg. Aber den Trainingsalltag, die Reisen und die Auswärtsspiele unter der Woche, die man gegen einen vermeintlich schwächeren Gegner gewinnen, aber dafür trotzdem an seine Grenzen gehen muss - all das brauche ich nicht mehr. Auch weil mir bewusst ist, dass ich es nicht mehr auf dem Niveau hinbekommen würde, das ich mir wünsche. Diese Gewissheit macht es mir einfach, zu akzeptieren, dass es für diese Dauerbelastung nicht mehr reicht.

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Was trauen Sie den Löwen in der neuen Saison zu?

Schmid: Die Löwen spüren wieder Boden unter den Füßen, die Demut ist zurückgekehrt. Die neue Saison wird trotzdem eine Herausforderung, weil die Erwartungshaltung nach Platz fünf in der Liga und dem Pokalsieg gestiegen ist. In der vergangenen Saison ist es gelungen, alles in die richtige Richtung zu drehen. Das ging schneller als erwartet, schürt aber auch Hoffnung. Ein sechster oder siebter Platz wäre kein Erfolg mehr. Die Löwen müssen bestätigen, was sie in der vergangenen Saison erreicht haben.

Gelingt das?

Schmid: Mit Albin Lagergren ist ein wichtiger Spieler gegangen, er hat den Löwen in den zurückliegenden Monaten mehrere Spiele gewonnen. Seinen Weggang sollte niemand unterschätzen. Dann hat man mit Lukas Nilsson einen Spieler verloren, der die Bundesliga kennt. Er hat zwar nicht konstant Mega-Leistungen gezeigt, aber er wusste in jeder Halle, was ihn erwartet. Es ist viel Erfahrung verloren gegangen, aber ich gehe nicht davon aus, dass die Löwen Probleme bekommen. Der Kader ist breiter, durch die fehlende Bundesliga-Erfahrung bei den meisten Zugängen aber auch ein wenig unberechenbar.

Landen der THW Kiel, der SC Magdeburg, die Füchse Berlin und die SG Flensburg-Handewitt also wieder vor den Löwen?

Schmid: Davon kann man erst einmal ausgehen. Aber sicher ist das nicht. Wenn es gut läuft, können die Löwen auch an Kiel oder Berlin vorbeiziehen.

An Meister Kiel? Woran machen Sie das fest?

Schmid: An einzelnen Personen. Der THW hat mit Torwart Niklas Landin einen seiner wichtigsten Spieler verloren. Ich bin gespannt, ob die Kieler diese Lücke mit Vincent Gérard und Tomas Mrkva zumindest halbwegs schließen können. Das Niveau von Niklas werden sie aber nicht erreichen und entsprechend werden die Kieler in dieser Saison ein paar Punkte weniger holen, die ihnen sonst Niklas gesichert hat. Mit Sander Sagosen ist ein weiterer Leistungsträger gegangen und Patrick Wiencek - ich will ihm nicht zu nahe treten - wird auch nicht jünger. Hendrik Pekeler kommt nach Problemen an der Achillessehne zurück und bei Steffen Weinhold weiß man noch nicht genau wie, in welcher Verfassung er sich nach seiner Verletzung präsentiert. Das sind viele Fragezeichen.

Mit Kiel muss man aber immer rechnen.

Schmid: Das stimmt. Und die Vergangenheit hat das auch gezeigt. Aber ich glaube trotzdem, dass es für Kiel eine schwere Saison wird.

Andy Schmid – eine imposante Karriere

 

  • Andy Schmid wurde am 30. August 1983 in Horgen/Schweiz geboren.
  • Der Weltklasse-Mittelmann spielte von 2010 bis 2022 für die Rhein-Neckar Löwen in der Handball-Bundesliga und wechselte danach in seine Heimat zum HC Kriens-Luzern.
  • In den Jahren 2014 bis 2018 wurde Schmid von den Trainern und Managern der Bundesliga zum besten Spieler der Saison gewählt.
  • Der Schweizer hat mit den Löwen zweimal die Meisterschaft (2016, 2017), je einmal den EHF-Pokal (2013) und den DHB-Pokal (2018) sowie dreimal den Supercup (2016, 2017, 2018) gewonnen.
  • Mit dem HC Kriens-Luzern holte er in diesem Jahr den Pokalsieg in der Schweiz, im nächsten Sommer beendet der dann 40-Jährige seine aktive Karriere und wird Schweizer Handball-Nationaltrainer.
  • Zur neuen Bundesliga-Saison wird er außerdem TV-Experte bei Dyn.

Und worauf beruht Ihre Skepsis bei den Berlinern?

Schmid: Jacob Holm ist zu Paris Saint-Germain gewechselt und nun fehlt ein wichtiges Puzzleteil. Er hat viele Tore aus dem Nichts gemacht. Deswegen sage ich: Wenn die Berliner für Holm keinen 40-jährigen Schweizer als Ersatz finden, dann werden sie es schwer haben, ganz vorne anzugreifen (lacht).

Ihrer Argumentation folgend machen also Magdeburg und Flensburg den Titel unter sich aus. Wie kommen Sie darauf?

Schmid: Wir müssen uns nur die Flensburger Transferaktivitäten ansehen: Lukas Jørgensen, Kay Smits und Simon Pytlick sind internationale Topspieler. Nominell hat die SG die beste Rückraum-Reihe aller Erstligisten. Aber mit Nicolej Krickau gibt es einen neuen Trainer, der die Liga nicht kennt. Dazu wurde der Kader auf links gedreht. Ich bin gespannt, ob da sofort alle Räder ineinandergreifen und wie vor allem die Flensburger mit der Favoritenrolle umgehen, die ihnen nun von vielen zugeschrieben wird.

Höre ich da heraus, dass Sie Magdeburg noch einen Tick vor Flensburg sehen?

Schmid: Ich kann mich nicht entscheiden. Magdeburg ist seit vielen Jahren oben dabei, hat kaum Veränderungen im Kader und mit Felix Claar einen der begehrtesten Spieler Europas verpflichtet. Der verletzungsbedingte Ausfall von Gísli Kristjánsson schmerzt sicherlich, aber die Magdeburger haben Ruhe im Verein und in den vergangenen Jahren die European League, die Club-WM, die Meisterschaft und die Champions League gewonnen. Die müssen niemandem mehr etwas beweisen - und mit diesem Selbstverständnis treten sie auch auf. Sie wissen genau, dass sie alles gewinnen können.

Schafft es die MT Melsungen diesmal, dass finanzieller Aufwand und sportlicher Ertrag in einem vernünftigen Verhältnis zueinanderstehen?

Schmid: Wenn nicht jetzt, wann dann? Das habe ich zwar schon vor einem Jahr gesagt…

…und das Ergebnis war mit Rang neun erneut enttäuschend.

Schmid: Trotzdem sage ich es noch einmal: Wenn nicht jetzt, wann? Aber wirklich. Wenn die Melsunger es mit dieser Mannschaft wieder nicht schaffen, die ersten fünf Plätze ernsthaft anzugreifen, dann müssen sie vielleicht die Halle wechseln, in eine andere Stadt umziehen oder ihr Logo ändern. Es muss jetzt in die richtige Richtung gehen. Ganz ehrlich: Wenn ich Fan der MT wäre, hätte ich hohe Erwartungen an diesen Kader. Und wenn diese Erwartungen jetzt wieder nicht erfüllt werden, dann würde ich mir überlegen, ob ich in Zukunft nicht lieber zum Eishockeyspiel der Kassel Huskies gehe.

Abstiegskandidat TVB Stuttgart hat sich kurzfristig mit Kai Häfner extrem verstärkt. Ist der Kampf um den Klassenerhalt damit schon gegen die Aufsteiger HBW Balingen-Weilstetten und ThSV Eisenach entschieden?

Schmid: Stuttgart hat mit Kai einen riesigen Qualitätssprung gemacht und deswegen wird es in der Tat schwer für Eisenach und Balingen. Es ist unangenehm, in deren Hallen zu spielen, weil es da Druck von den Rängen gibt. Aber man braucht auch Qualität auf dem Feld, um Punkte zu sammeln.

Auf welchen Spieler sollte man in der kommenden Saison achten?

Schmid: Es wäre langweilig, wenn ich Simon Pytlick sage. Der hat schon bei der WM gezeigt, was er kann. Ich freute mich auf Elias Ellefsen á Skipagøtu vom THW Kiel. Mit seinen 21 Jahren bringt er schon eine extreme Qualität mit, auch wenn ich nicht glaube, dass er jetzt sofort durchstartet. Aber das Drumherum ist spannend. Da kommt einer von den Färöer Inseln in die Bundesliga und geht gleich zum besten Verein der Welt. Das ist schon eine coole Geschichte.

Der THW holt spätestens 2025 den spanischen Weltklassetorwart Gonzalo Pérez de Vargas, Pytlick ist gerade nach Flensburg und Mathias Gidsel vor einem Jahr nach Berlin gegangen. Ist die Bundesliga allen Unkenrufen zum Trotz doch wieder der Sehnsuchtsort für alle Stars?

Schmid: Jein. Es wechseln immer noch Spieler von Barcelona zu Telekom Veszprém und machen einen Bogen um die Bundesliga. Die Skandinavier kommen nach Deutschland, das war schon immer so. Und dass es jetzt plötzlich diese finanziellen Schwierigkeiten in Kolstad gab, war auch ein Schuss vor den Bug für dieses norwegische Projekt. Diese Geschichte wird der Bundesliga helfen, denn es werden sich Spieler sehr genau überlegen, ob sie Projekten wie in Kolstad Glauben schenken. Die Bundesliga ist finanziell stabil - und darauf kann man sich verlassen.

Schauen wir noch kurz auf die Europameisterschaft im Januar in Deutschland. Welche Erwartungen haben Sie ganz grundsätzlich an dieses Turnier?

Schmid: Diese EM wird den größten Wert für die Sportart Handball seit der Weltmeisterschaft 2007 in Deutschland haben. Damals wurden Maßstäbe gesetzt und die werden jetzt um ein Vielfaches nach oben geschoben. Denn mit den sozialen Medien ist es wesentlich einfacher geworden, die Menschen zu erreichen. Deswegen bin ich davon überzeugt, dass diese EM alles in den Schatten stellen wird, was es jemals zuvor im Handball gegeben hat.

Was trauen Sie der deutschen Mannschaft zu, wenn man mal von der Auftaktniederlage im Eröffnungsspiel gegen die Schweiz absieht…

Schmid (lacht einfach nur)

Okay, also einfach nur: Was trauen Sie den Deutschen zu?

Schmid: Alles und nichts, ganz ehrlich. Die Deutschen im eigenen Land - da kann solch eine Dynamik entstehen, dass sie auf einer Euphoriewelle zum Titel reiten. Davon bin ich wirklich überzeugt, auch wenn es auf dem Papier vier, fünf oder sechs Nationen gibt, die besser besetzt sind. Aber vor 19 000 Zuschauern in Köln ist alles anders. Da kann Deutschland gegen jeden gewinnen.

Ich warte auf das „Aber“, denn Sie trauen der Mannschaft „alles und nichts“ zu.

Schmid: Es hängt alles an zwei, drei Spielern, die wirklich ihr absolutes Leistungsmaximum erreichen müssen. Sonst wird das nichts. Wenn Torwart Andi Wolff sich nicht in extrem guter Verfassung befindet oder Juri Knorr nicht die Form der vergangenen WM erreicht, dann wird es schwierig. Diese zwei Säulen brauchen die Deutschen, darüber hinaus müssen noch ein, zwei Spieler über sich hinauswachsen. Und wenn wir ehrlich sind, wäre es ganz gut, wenn Bundestrainer Alfred Gislason noch einmal in Kiel vorbeifährt und bei Hendrik Pekeler klingelt, um ihn für die EM zu gewinnen.

Sie haben Juri Knorr angesprochen, auf dessen Schultern sehr viel Verantwortung lastet. Wie erklären Sie sich seine rasante Entwicklung?

Schmid: Juri geht trotz seiner erst 23 Jahre in seine fünfte Bundesligasaison. Er kennt also viele Gegner und ihm kommt auch zugute, dass das Spiel bei den Löwen - so wie damals bei mir - auf ihn zugeschnitten ist. Juri spürt, dass er der wichtigste Mann im Angriff bei einem Topverein ist und entsprechend fällt es ihm leichter, das auch auf die Nationalmannschaft zu übertragen. Er übernimmt bei den Löwen ohnehin 300 Tage im Jahr die Verantwortung. Dann kann er das in der Nationalmannschaft auch, wo er noch dazu ähnliche Gegebenheiten wie im Verein vorfindet. Denn auch dieses Team befindet sich im Aufbau.

Für diese zwei Mannschaften gilt, dass er besser nicht für längere Zeit ausfällt.

Schmid: Beide Teams brauchen ihn, das ist richtig. Aber es wird auch für Juri mal Momente oder Spiele geben, in denen er Fehler macht. Wenn er in diesen Phasen allerdings so bodenständig bleibt, wie er es jetzt im Erfolgsfall ist - und davon bin ich überzeugt, dass ihm das gelingt -, dann muss man sich um ihn keine Sorgen machen. Mir als Schweizer reicht es schon, wenn er im EM-Eröffnungsspiel nicht zu seiner Form findet. Danach darf Juri gerne auftrumpfen (lacht).

Redaktion Handball-Reporter, Rhein-Neckar Löwen und Nationalmannschaft

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