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Doha. Eine sanfte Brise wehte durch die Hochhausschluchten von Doha. Die bunten Fahnen der WM-Teilnehmer flatterten sanft im Wind, als Bundesinnenministerin Nancy Faeser und DFB-Präsident Bernd Neuendorf die mobile Fanbotschaft vor dem Einkaufszentrum „The Gate Mall“ besuchten.
Von Angesicht zu Angesicht bekam Neuendorf zu hören, welcher Orkan der Entrüstung seinem Verband entgegenschlägt. Der verlorene Machtkampf mit der FIFA um das Tragen der „One Love“-Binde erschüttert den DFB in seinen Grundfesten – und stellt den früheren Politiker vor die schwierigste Aufgabe seiner Amtszeit. Der 61-Jährige erfuhr aus erster Hand, wie die gerne von seiner Institution proklamierten Werte bei dieser WM im Einzelfall mit Füßen getreten werden.
Bengt Kunkel, ein selbstbewusster Sportjournalismus-Student aus Münster mit schwarz-rot-goldener Schminke im Gesicht, erzählte, was ihm beim Besuch des WM-Spiels Niederlande gegen Senegal widerfahren war. Anfangs sei er nach Diskussionen noch mit einem Schweißband und einer Binde in Regenbogenfarben ins Stadion gelangt, berichtete der 23-Jährige. Doch „Mitte der zweiten Halbzeit wurde ich von vier Polizisten von meinem Platz eskortiert, stand in einem Pulk von 15 Polizisten, die mich aufgefordert haben, die Binde abzugeben. Sonst müssten sie mich mitnehmen“.
Deutliche Worte deutscher Fans
Alles habe er „komplett so erwartet: „Sei es, dass Deutschland von der ‚One-Love‘-Binde einen Rückzieher macht, sobald es von der FIFA Gegenwind gibt, sei es, dass mir solche Sachen abgenommen werden“, sagte Kunkel. Seine Binde sei von den Polizisten in den Müll geschmissen worden. „Mir hat man nach dem Spiel gesagt, ich könnte jeden Mülleimer durchsuchen. Das habe ich aber gelassen.“ Nichts zeigt deutlicher, welche Überzeugungen auf dem Abfallhaufen landen.
„Das ist für uns definitiv kein Zeichen des Willkommens, wenn man wegen solcher Zeichen aus dem Stadion geführt wird“, konstatierte Neuendorf mit leiser Stimme. Das klang nicht deutlich genug: Aus dem Hintergrund meldete sich Olaf Sommerfeld – Notar, Fan und Funktionär aus Niederbayern. Wenn sich der DFB nicht ändere, rief der 46-Jährige in Richtung Neuendorf, „dann werde ich gegen Sie kandidieren!“ Seine Meinung zu WM, FIFA und DFB: „Es kotzt mich nur noch an!“
Faeser sagte kurz darauf, sie sei wegen der Fans betroffen. „Das enttäuscht mich doch sehr“, so die für den Sport zuständige SPD-Politikerin, die das rigorose Eingreifen der FIFA in dem Streit um das Stückchen Stoff als „großen Fehler“ geißelte. Auch wenn sie sich gewünscht hätte, dass die Verbände nicht nachgeben, so stehe doch der Weltverband am Pranger, der den DFB unter Druck gesetzt habe. Für sie sei „völlig unverständlich“, dass die FIFA nicht wolle, dass offen für Toleranz und gegen Diskriminierung eingetreten werde: „Das passt nicht mehr in unsere Zeit.“
Kleinlaut musste die Ministerin gegenüber den Anhängern einräumen, dass die von ihrem katarischen Kollegen Khalid bin Khalifa Al-Thani erst Anfang des Monats gegebenen Sicherheitsgarantien offenbar nicht viel Wert sind. „Ich kann Ihnen keine Garantie geben. Ich bin nicht für die Sicherheit hier zuständig.“
Was ist noch zu tun? Neuendorf berichtete aus einer Schaltkonferenz mit den betroffenen Nationalverbänden. Von der FIFA hatte der DFB zuvor eine schriftliche Antwort auf die Anfrage erhalten, was beim Anlegen der ominösen Binde hätte passieren können. Eine Verwarnung durch den Schiedsrichter wäre nur eine Sanktion gewesen. „Zudem behält sich die FIFA vor, die Disziplinarkommission anzurufen, die dann gegebenenfalls weitere Strafen verhängen könnte.“
Der DFB prüfe nun eine Klage, doch ob diese wirklich aufgesetzt wird, ist offen. Eine Bewerbung um die Frauen-WM 2027 mit den Niederlanden und Belgien braucht Deutschland wohl gar nicht mehr einreichen, wenn ein juristischer Clinch mit der FIFA angezettelt wird. Aber es geht um mehr – um Werte, Ansehen und auch um viel Geld.
Wenn Sponsoren wie der Lebensmittelkonzern Rewe öffentlichkeitswirksam vor dem ersten WM-Spiel ihre Unterstützung für den DFB einstellen, ist allergrößte Gefahr im Verzuge. Der Verband scheint aktuell kaum noch etwas richtig machen zu können.
Faeser betonte auch, dass sie sich am Rande ihres Besuchs mit katarischen Organisatoren über die Lage des Frauenfußballs und von Frauenrechten ausgetauscht habe. Sie wolle auf jeden Fall weiter an kritischen Gesprächen mit einem Land festhalten, in dem der deutsche Fußball schon vor der WM-Auftaktpleite gegen Japan eine Niederlage von ungeheurem Ausmaß kassiert hat.
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