Budapest. Es war ein Bild, das mehr als nur Vertrautheit verriet. Zwei Männer unter einem Sonnenschirm. Der eine sitzt dort im Schatten mit einem weißen Poloshirt, der andere steht, trägt weißes Hemd, dunkle Krawatte – und dunkle Maske. Ihre Hände berühren sich, beide lachen. Es sind der französische Fußball-Nationaltrainer Didier Deschamps und Emmanuel Macron, die auf einem über den Twitter-Account des französischen Staatspräsidenten veröffentlichten Foto den Schulterschluss demonstrieren. Der Besuch im Basiscamp der französischen Nationalmannschaft in Clairefontaine ein ganzes Stück weg von Paris erfolgte nicht zufällig.
Wenn Macron bei seiner Stippvisite betont, dass der Sport zu Momenten der nationalen Einheit beitragen kann, dann ist damit der Fußball im Allgemeinen und die Equipe Tricolore im Besonderen gemeint. Unterschiedliche Kulturen, andere Religionen, verschiedene Herkunft: Das darf keine Rolle spielen, wenn der Ball rollt.
Deschamps unbesorgt
- Frankreichs Nationaltrainer Didier Deschamps sorgt sich nach eigener Aussage vor dem EM-Auftakt des Weltmeisters gegen Deutschland nicht wegen des Disputs zwischen seinen Spielern Kylian Mbappé und Olivier Giroud.
- „Ich kann nicht von Spannungen sprechen, denn das sind keine“, sagte Deschamps der Sporttageszeitung „L’Equipe“. Routinier Giroud (34) hatte nach der EM-Generalprobe gegen Bulgarien (3:0) in einem TV-Interview das mangelnde Zusammenspiel im Angriff moniert.
Es gab Turniere, in denen haben verhätschelte Jungstars solche Werte mit Füßen getreten – der negative Höhepunkt ereignete sich bei der WM 2010 mit einem absurden Sitzstreik im Mannschaftsbus im südafrikanischen Knysna. Doch das sind alte Kamellen, mit denen Deschamps nichts zu tun hat.
Seine Inthronisierung 2012 war verknüpft mit dem Leitgedanken, dass alle für ein Ziel einstehen – und nach dem etwas unglücklichen Viertelfinal-Aus bei der WM 2014 gegen Deutschland (0:1) und der noch unglücklicheren Finalniederlage bei der Heim-EM 2016 gegen Portugal (0:1 n.V.) führte der „General“, wie Deschamps in seiner aktiven Zeit gerne genannt wurde, die hochbegabte Auswahl fast generalstabsmäßig ans Ziel: Der WM-Titel 2018, zwei Jahrzehnte nach dem Triumph im eigenen Land, erfolgte im Rückblick mit fast chirurgischer Präzision, weil sich diese Mannschaft einer hohen taktischen Disziplin befleißigte, die nicht einmal bei den Torfestivals im Achtelfinale gegen Argentinien (4:3) oder im Finale gegen Kroatien (4:2) verlassen wurde. Im Grunde hatte der listige Coach sein Grundgerüst schon beim ersten WM-Gruppenspiel gegen Australien (2:1) zusammen.
Wer die Aufstellungen vom 16. Juni 2018 im russischen Kasan mit jener Formation abgleicht, die am Dienstag zum EM-Auftakt gegen Deutschland in München erwartet wird, der stellt Erstaunliches fest: Auf neun Positionen ist die Mannschaft unverändert. Vor Torwart Hugo Lloris stellen sich damals wie heute die Außenverteidiger Benjamin Pavard und Lucas Hernandez auf, die inzwischen beim FC Bayern angestellt sind. Raphael Varane verteidigt zentral, N’golo Kanté, Paul Pogba und Corentin Tolisso bilden das Dreier-Mittelfeld, vorn tummeln sich Superstar Kylian Mbappé und – neuerdings etwas zurückgezogener als Spielmacher – Antoine Griezmann.
Neu ist nur der zweite Innenverteidiger Presnel Kimpembe und ein prominenter Angreifer: Karim Benzema, nach sechs Jahre Denkpause begnadigt. „Mich hat das nicht gefreut“, sagte Toni Kroos, sein Vereinskollege bei Real Madrid: „Von mir aus hätten die Franzosen damit bis zum zweiten Gruppenspiel warten können.“
Kroos weiß eben um die Abschlussqualität des Mittelstürmers, wobei nach Benzemas Auswechslung im letzten Test gegen Bulgarien (3:0) wegen eines Pferdekusses mal schnell sein ein Jahr älterer Vertreter Olivier Giroud einen Doppelpack schnürte. Ansonsten haben Routiniers wenig zu melden: Längst sammelt sich im französischen Fußball so viel unverbrauchte Klasse, dass die Nation zwei Teams in diese paneuropäische EM schicken könnte – und beide hätten Titelchancen. Dass der Trainer aber – ähnlich wie Joachim Löw 2018 – erstmal an den Weltmeistern festhält, ist einerseits nachvollziehbar. Andererseits weiß Deschamps, dass auch er in die „Jogi-Falle“ tappen kann.
„Es immer die gleiche Herausforderung für ein Land, das ganz oben ankommt: Das Schwierigste ist, dort zu bleiben. Das Risiko der Fallhöhe ist immer da. Auch wenn man wachsam ist, kann man einen Rückschlag nicht vermeiden“, sagte der 52-Jährige kürzlich in einem „Kicker“-Interview. Der Besuch von Macron hat ihm übrigens geschmeichelt. Denn der oberste Mann im Staate kürte bei seinem Besuch nicht nur Mbappé und Benzema ausdrücklich zu Vorbildern, sondern sagte über Deschamps vor laufender Kamera: „Er ist ein großartiger Trainer.“ Vermutlich hatte er ihm etwas Ähnliches bereits unter dem Sonnenschirm geflüstert.
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