Mannheim. Herr Wagschal, die Wahl in Niedersachsen war der erste politische Stimmungstest nach der Bundestagswahl. Wie beurteilen Sie die jetzige Position von Kanzlerin Angela Merkel (CDU)? Wird die Luft für sie dünner?
Uwe Wagschal: Wenn wir uns das Ergebnis rein zahlenmäßig anschauen, sehen wir, dass die drei vermeintlichen Jamaika-Partner insgesamt im Vergleich zur vergangenen Landtagswahl zehn Prozentpunkte verloren, also einen deutlichen Verlust erlitten haben. Man kann demnach natürlich nicht von Rückenwind für Jamaika-Verhandlungen sprechen. Jedoch ist es fraglich, ob das Ergebnis der Bundespolitik geschuldet ist. Die Umfragen zeigen, dass landespolitische Themen in Niedersachsen die Entscheidung dominiert haben.
Also kein wirklicher Dämpfer für die CDU?
Wagschal: Natürlich wählt ein Teil der Bürger auch immer mehr strategisch. Das heißt, er neigt dazu, mit der Wahlentscheidung Gegenlager zu bilden und mag es nicht, wenn eine Partei quasi ungehindert regiert.
Im Umkehrschluss heißt das, Martin Schulz und die SPD gehen gestärkt hervor?
Wagschal: Die SPD hat klar mehr Rückenwind bekommen. Bei den vergangenen drei Landtagswahlen und der Bundestagswahl hat die Sozialdemokratie sehr stark verloren. Nimmt man das linke Lager zusammen, haben die Parteien bei den vorigen drei Landtagswahlen dieses Jahres zwischen 15 und 17 Prozentpunkte verloren. In Niedersachsen war nun die erste Wahl, bei der das linke Lager in der Summe gewonnen hat. Das heißt, es ist schon eine gewisse Nachjustierung erkennbar. Wenn bisher ein Schwenk nach rechts zu beobachten war, hat sich das jetzt stabilisiert und es zeigt sich eine leichte Tendenz nach links. Die massiven Verluste, die Anfang des Jahres im Saarland, in NRW und Schleswig-Holstein zu beobachten waren, sind jetzt offensichtlich gestoppt.
Was sagt das Ergebnis über den Zustand der AfD?
Wagschal: Die AfD hat in den letzten drei Wochen - durch die Abspaltung von Frauke Petry und die innerparteilichen Querelen - ein sehr uneinheitliches und zerstrittenes Bild geboten, gerade auch in Niedersachsen. Dadurch hat vermutlich eine gewisse Desillusionierung bei den Wählern stattgefunden. Möglicherweise ist die Luft schon ein wenig raus und ein gewisser Sättigungsgrad bei den Wählern erreicht. Man muss aber auch sagen, dass es durch die Polarisierung der beiden Volksparteien in Niedersachsen wieder mehr Zweikampf gab, was den beiden großen Parteien genutzt hat.
War es demnach richtig seitens der SPD, eine große Koalition im Bund auszuschließen?
Wagschal: Es war ein strategisch richtiger Schritt von Schulz, der massiv dazu beigetragen haben wird, dass die SPD wieder hinzu gewonnen hat, weil die Wähler klare Alternativen hatten. Die SPD hatte in der babylonischen Gefangenschaft von Angela Merkel natürlich wenig Chancen, sich in den letzten Jahren zu profilieren. Jetzt ist man dieses Korsett los und hat die Möglichkeit, stärker zu polarisieren. Es zeigt sich, man kann eine große Koalition machen, aber als Dauerlösung akzeptiert sie der Bürger nicht wirklich.
Woran machen Sie das fest?
Wagschal: Das Stichwort lautet asymmetrische Demobilisierung, das heißt, die Leute beteiligen sich immer weniger. In diese Lücke ist die AfD reingestoßen und deshalb hat die SPD gesagt, wir gehen jetzt in die Opposition und bieten ein klares Profil. Das ist schon nachzuvollziehen. Zumal es ja auch eine Mehrheit jenseits der großen Koalition gibt. Ich habe nicht den Eindruck, dass sich die Grünen wirklich zieren, in die Regierung zu gehen.
Halten Sie es dann auch für richtig, dass sich die FDP in Niedersachsen gegen eine Ampelkoalition ausgesprochen hat?
Wagschal: Nein, ich halte die ganze Ausschließeritis für sehr schlecht. Prinzipiell sollten demokratische Parteien miteinander koalieren können. Am Abend der Bundestagswahl hat Lindner mit Rasierklingen unter dem Arm der SPD vorgeworfen, sie würde ihre staatsmännische Pflicht nicht wahrnehmen. Genau das Gleiche macht nun die FDP drei Wochen später in Niedersachsen. Das doppelte Rumgeeiere der FDP kommt beim Wähler nicht gut an. Damit fällt die Partei in ganz alte Muster zurück und tut sich keinen Gefallen.
Lässt sich bezogen auf das Ergebnis der Grünen in Niedersachsen eigentlich sagen, dass sich die grüne Basis gegen eine Jamaika-Koalition ausgesprochen hat?
Wagschal: Da müssen die Sonderbedingungen für Niedersachsen beachtet werden. Elke Twesten, die Auslöser für die vorgezogenen Neuwahlen war, kam ja von den Grünen. Das hat sicherlich den Grünen nicht geholfen. Den Grünen geholfen hat aber auch Jamaika nicht. Die Mehrheit der Parteimitglieder möchte eher ein Linksbündnis. Da müssen die Grünen nun schon zwei, drei Kröten schlucken. Trotzdem muss man sagen, dass das Ergebnis relativ gut war und es keine substantielle Unzufriedenheit der Basis in Niedersachsen gibt.
Die Jamaika-Koalition ist also sicher?
Wagschal: Ich vermute, Jamaika wird auf Bundesebene wird kommen. Und zwar nicht nur aus dem Politikinteresse heraus, sondern es ist auch ein Interesse an Ämtern zu erkennen. Cem Özdemir würde gerne Außenminister werden und Katrin Göring-Eckardt scheint mir auch sehr geneigt, ein Ministeramt zu übernehmen. Es finden jetzt die ersten Sondierungsgespräche statt, die mit dem CSU-Parteitag im November vermutlich wieder ins Stocken geraten. Danach wird man in Koalitionsverhandlungen richtig eintreten und am Ende des Tages wird man Kompromisse finden.
Welche Bedeutung hat die Wahl in Niedersachsen für die Bundesebene? Wie wird es weitergehen?
Wagschal: Interessant ist, dass die SPD weiter mitregieren wird. Selbst wenn Jamaika gebildet wird, hat die neue Bundesregierung keine Mehrheit im Bundesrat. Das heißt, alle zustimmungspflichtigen Gesetze bedürfen der Zustimmung der SPD, und die SPD hat deshalb bei der Gesetzgebung ein Vetorecht. Somit sitzen also immer fünf Parteien am Verhandlungstisch und wir werden eine ganz, ganz große Koalition in Deutschland haben.
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