Koalitionsvertrag - Was Union und SPD bei der Rente planen / Selbstständige sind künftig zur Vorsorge verpflichtet

Viele Milliarden Euro fürs Alter

Von 
Alexander Jungert
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Glasgefäß mit der Aufschrift Rente © Getty Images/iStockphoto, siehe Bildtext, iStockphoto, Not Released (NR)

Mannheim. „Die Rente muss für alle Generationen gerecht und zuverlässig sein“, ist im Koalitionsvertrag von Union und SPD zu lesen. Was steckt hinter den einzelnen Vorhaben, wie wirkungsvoll sind sie? Folgend ein Überblick.

Niveau und Beitragssatz

Das Rentenniveau – also das Verhältnis der Rente zum Lohn – darf bis zum Jahr 2025 nicht unter 48 Prozent fallen, der Beitragssatz nicht über 20 Prozent steigen. „Hier ist keine Generationengerechtigkeit hergestellt, das betrifft nur die Jahrgänge bis 1959/1960“, erklärt Professorin Katja Möhring, Sozialwissenschaftlerin an der Universität Mannheim. Union und SPD wollen neben den Beiträgen der Rentenversicherten bei Bedarf auch Steuermittel einsetzen, um die Grenzen bei Niveau und Beitragssatz zu halten. Welche Mehrkosten insgesamt auf die Deutsche Rentenversicherung und den Bund zukommen, lässt sich noch nicht genau beziffern. Für die Zeit nach dem Jahr 2025 soll eine Kommission aus Sozialverbänden, Politikern und Wissenschaftlern ein Konzept erarbeiten. Dieser Bericht soll bis März 2020 fertig sein.

Grundrente

Dabei handelt es sich um eine Mindestrente für langjährig Versicherte. Wer mindestens 35 Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt hat – auch Kindererziehungs- und Pflegezeiten werden berücksichtigt – bekommt künftig Anspruch auf eine regelmäßige Rente, die zehn Prozent über dem Grundsicherungsniveau liegen soll. Dieses ist regional verschieden, weil die Mieten beispielsweise bei den Lebenshaltungskosten stark variieren. Zuletzt betrug die Grundsicherung im Alter inklusive Wohn- und Heizkosten durchschnittlich rund 800 Euro. Ein Empfänger der Grundrente würde demnach etwa 80 Euro im Monat mehr erhalten. Was dieses Vorhaben kostet, darüber gehen die Schätzungen weit auseinander: Sie liegen zwischen einigen hundert Millionen Euro und mehr als vier Milliarden Euro pro Jahr. Für Streit sorgt ein Satz im Koalitionsvertrag: „Voraussetzung für den Bezug der Grundrente ist eine Bedürftigkeitsprüfung (...).“ Die Deutsche Rentenversicherung moniert, dass ihr bedürftigkeitsgeprüfte Leistungen „fremd“ seien. Das müssten Grundsicherungsämter vor Ort erledigen, heißt es in einem Positionspapier.

„Die Grundrente ist nicht dazu da, das Rentensystem langfristig zu stabilisieren“, sagt Holger Stichnoth vom Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). „Sie ist Verteilungspolitik.“ Grundsätzlich fragt sich der Wissenschaftler, ob das Instrument bei den Richtigen greift, denn: „Die Menschen, die mindestens 35 Jahre gearbeitet haben, gehören nicht zu der Kerngruppe, die von Armut bedroht sind.“

Vorsorgepflicht für Selbstständige

Um den sozialen Schutz zu verbessern, soll eine Altersvorsorgepflicht für alle Selbstständigen eingeführt werden, die nicht schon anderweitig obligatorisch versichert sind, zum Beispiel bei berufsständischen Versorgungswerken. Geplant ist, dass Selbstständige grundsätzlich zwischen der gesetzlichen Rentenversicherung und anderen – insolvenzsicheren – Vorsorgearten wählen können. Auf alle Fälle muss die Rente zu einem Niveau führen, das oberhalb der Grundsicherung liegt. Die Beiträge sollen „gründerfreundlicher“ gestaltet sein. Das begrüßt die Deutsche Rentenversicherung. Schließlich sei das Risiko von Selbstständigen, im Alter auf Grundsicherung angewiesen zu sein, doppelt so hoch wie bei abhängig Beschäftigten.

Mütterrente II

Mütter, die vor 1992 drei oder mehr Kinder zur Welt gebracht haben, sollen künftig auch das dritte Jahr Erziehungszeit in der Rente angerechnet bekommen. Nach Angaben der Mannheimer Sozialwissenschaftlerin Möhring ist Skepsis angebracht: Die Mütterrente sei ungeeignet, um die Einkommensungleichheit zwischen Männern und Frauen im Alter zu beseitigen. Dafür sei sie zu gering, sagt Möhring. Ein Blick in die Zahlen zeigt: Das Plus in der Tasche von Rentnerinnen hätte im vergangenen Jahr etwa 30 Euro pro Monat betragen. Experten kritisieren zudem die Jahresgrenze 1992. Sie sei weitgehend willkürlich, sagt ZEW-Volkswirt Stichnoth. Die Kosten der Mütterrente II schätzt die Deutsche Rentenversicherung auf rund 3,5 Milliarden Euro pro Jahr, für die Mütterrente I – sie ist 2014 eingeführt worden – liegen sie bei rund 7,2 Milliarden Euro jährlich.

Neue Renteninformation

Die Renteninformation gibt den Versicherten jährlich einen Überblick über die erworbenen Anwartschaften und die Höhe der künftig zu erwartenden Altersrente. Bisher betreffen die Daten nur die gesetzliche Rente, künftig sollen auch Informationen aus der betrieblichen und privaten Altersvorsorge einfließen. „Das klingt zunächst gut. Aber davon wird die Rente auch nicht mehr“, sagt Niels Nauhauser, Finanzexperte bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. „Eine neue Renteninformation löst keines der Probleme.“ Seine Erfahrung ist, dass viele Produkte gerade bei der privaten Altersvorsorge am Bedarf der Kunden vorbeigehen – und oft nur den Anbietern nutzen.

Koalitionsvertrag 2018

Hier finden Sie den 

Koalitionsvertrag 2018

 als PDF zum Download.

Redaktion berichtet aus der regionalen Wirtschaft

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