Mannheim. Herr Stoch, was ist wahrscheinlicher: dass ihr Heimatverein Heidenheim in der Fußball-Bundesliga bleibt oder dass die SPD die nächste Landtagswahl gewinnt?
Andreas Stoch: Wenn der FC Heidenheim und die SPD ihren vollen Einsatz bringen, ist beides möglich.
Aufsteiger sind in der Tat immer für Überraschungen gut, aber bei der SPD sieht es doch ziemlich düster aus, sie liegt in der letzten Umfrage bei nur 13 Prozent.
Stoch: Vier Monate vor der Bundestagswahl 2021 stand die SPD auch bei nur 13 Prozent. Wir sollten bei Umfragen nicht wie das Kaninchen auf die Schlange starren, sondern unsere Arbeit machen. Die Menschen haben viele Fragen an die politischen Akteure. Wer die besten Antworten geben kann, hat gute Chancen, von ihnen die Regierungsverantwortung zu erhalten.
Bei der Landtagswahl 2026 …
Stoch: … wird es eine große Rolle spielen, wer auf dem Feld steht. Alle Landtagswahlen in den vergangenen Jahrzehnten waren geprägt von der Person der Ministerpräsidentin oder des Ministerpräsidenten.
Amtsinhaber Winfried Kretschmann hat versprochen, dass er 2026 nicht wieder antritt.
Stoch: Eben. Die Grünen und auch die CDU wissen aber bis heute nicht, wen sie als Spitzenkandidatin oder Spitzenkandidaten ins Rennen schicken wollen. Bei der SPD ist das anders.
Deshalb trauen Sie sich viel zu?
Stoch: Ja, 2026 werden die Karten ohne Kretschmann neu gemischt. Und wenn ich als Sportler aufs Feld gehe, denke ich nur ans Gewinnen und nicht ans Verlieren.
Andreas Stoch
- Andreas Stoch wurde am 10. Oktober 1969 in Heidenheim geboren.
- Nach dem Abitur studierte der Schwabe von 1990 bis 1995 Rechtswissenschaft an den Universitäten Tübingen und Heidelberg. Von 1998 bis 2013 war Stoch als Rechtsanwalt in Heidenheim tätig.
- Seit 2009 sitzt Stoch für die SPD im Stuttgarter Landtag. Der Sozialdemokrat war in der grün-roten Koalition von 2013 bis 2016 Kultusminister. Seit 2016 ist er als Fraktionschef der Oppositionsführer seiner Partei. 2018 übernahm er auch den Landesvorsitz.
Sie glauben aber nicht ernsthaft daran, dass die SPD auf Platz eins landen wird?
Stoch: Unterschätzen Sie die SPD nicht. Wir kämpfen für ein starkes Ergebnis, wir wollen dieses Land aber auch führen. 2011 lagen die Grünen mit 24,2 Prozent nur knapp vor der SPD und stellten mit Herrn Kretschmann den Ministerpräsidenten. Der CDU nutzten ihre 39 Prozent nichts, sie musste in die Opposition.
Vielleicht räumt Kretschmann die Villa Reitzenstein ja doch früher.
Stoch: Das sind alles Spekulationen, die viele Menschen beschäftigen. Ich kann nur sagen: Er hat den Wählerinnen und Wählern versprochen, dass er die fünf Jahre machen will.
Wenn seine Gesundheit mitspielt.
Stoch: Ja, ich habe aber keine Anzeichen wahrgenommen, dass er Probleme hat. Ich bekomme allerdings mit, dass es bei den Grünen hinter den Kulissen heftige Diskussionen gibt. Jeder weiß, dass eine Situation wie 2021 bei Angela Merkel . . .
… die Amtsinhaberin tritt ab, und die Union verliert …
Stoch: … für die Grünen ein Riesenproblem sein könnte. Nur, es gibt dort keinen, der zu Herrn Kretschmann sagt: Mach’ Platz für den Nachfolger.
Nehmen wir mal an, dass Herr Kretschmann doch auf die Idee kommt, einen Nachfolger zu installieren. Warum sollte der Koalitionspartner CDU den Grünen diesen Vorteil verschaffen?
Stoch: Das kann ich mir auch nicht vorstellen. Aber wenn es die Grünen geschickt anstellen wollen, müssen sie es schnell machen. Denn die CDU ist gegenwärtig strategisch schlecht aufgestellt.
Warum?
Stoch: Die CDU hat eine entscheidende Machtfrage bisher nicht gelöst: Thomas Strobl ist als schwer angeschlagener Innenminister noch immer Landesvorsitzender. Fraktionschef Manuel Hagel merkt man ja durchaus Interesse an. Aber da wollen bestimmt auch Personen aus der Bundespolitik mitreden. Und Hagel selbst hat bei seiner Wiederwahl als Fraktionsvorsitzender ein nicht gerade überragend Ergebnis eingefahren.
Der Überrumpelungseffekt wäre jetzt also am größten?
Stoch: Viel wichtiger als diese Fragen ist doch, dass wir eine Landesregierung haben, die nicht vom Fleck kommt. Der Baden-Württemberg-Check hat deutlich gezeigt, wie unzufrieden die Leute mit dieser Regierung sind.
Warum ist denn die Koalition in Ihren Augen so schlecht?
Stoch: Weil die CDU keinen Veränderungsimpuls hat, sie ist ja konservativ. Und nachdem sich Kretschmann 2021 entschieden hat, weiter mit der CDU zu regieren . . .
… da sind Ihre Ampel-Träume dann geplatzt …
Stoch: … war mir klar: Sobald die Tinte des Koalitionsvertrags getrocknet ist, wird die CDU viele Dinge blockieren und verhindern. So ist es ja auch gekommen.
Schön, dass Sie über solche seherischen Kräfte verfügen. Im Ernst: Wo herrscht denn nach Ihrer Meinung der größte Stillstand?
Stoch: Ich nenne mal nur drei Beispiele. Die Leute klagen zu Recht über die große Wohnungsnot. Und der Unterrichtsausfall ist so hoch wie noch nie. Es fehlen außerdem 56 000 Kitaplätze. Dabei verfügt das Land über genügend finanzielle Mittel, tut aber nichts. Das ist für die Zukunft unseres Landes zu wenig.
Was macht denn die AfD besser als die SPD, denn Ihre Partei profitiert ja nicht von der – wie Sie es sagen – schlechten Regierungsarbeit?
Stoch: Die AfD hat noch nie etwas besser gemacht. Sie ist aber offensichtlich Projektionsfläche für viel Frust, den manche Menschen empfinden. Nämlich, dass Politik nicht Probleme löst, sondern sogar schafft oder vergrößert. Die SPD hat das Problem, dass die Ampel in Berlin momentan nicht populär ist, auch weil kommunikative Fehler gemacht wurden. Das hat aber wie beim Heizungsgesetz auch etwas mit der Unversöhnlichkeit in der Debatte zu tun, über die sich die AfD täglich freuen kann. Die Union spricht ja gegenwärtig von der schlechtesten Regierung aller Zeiten, dieses ganze Trommelfeuer ist unter demokratischen Parteien unangemessen. Wir sind doch keine Feinde! Ich kann da nur zur Mäßigung aufrufen.
Wahrgenommen wird die SPD in Baden-Württemberg aber nicht als starke Oppositionspartei?
Stoch: Es ist leider für die Opposition in der Landespolitik extrem schwierig, als eigenständige politische Kraft wahrgenommen zu werden. Aber sich darüber zu ärgern, hilft nicht. Ich schaue immer lieber darauf, wo wir handeln können.
Profitieren Sie nicht davon, dass die SPD im Bund regiert und den Kanzler stellt?
Stoch: Es ist ein Stück weit normal, dass wir auch als Landespartei immer im Kontext der Bundespolitik gesehen werden. Ob sich das positiv oder negativ auswirkt, hängt immer von der Situation ab. Momentan werden wir als SPD im Land eher für die Streitigkeiten im Bund in Mithaftung genommen und in der Landespolitik als Faktor oft nur am Rand wahrgenommen.
Derweil profiliert sich die Landesregierung ständig mit neuen Plakatkampagnen. Halten Sie die denn für witzig?
Stoch: Ich habe da noch keine Sekunde lachen müssen. Obwohl man mir nachsagt, dass ich Humor habe. Ich halte diese Art von bräsiger Selbstbeweihräucherung für deplatziert. Bei der „The Länd“-Kampagne geht es ja darum, Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben. Ich frage mich nur, was es bringen soll, wenn man dann das ganze Land vollplakatiert, statt dort zu werben, wo die Fachkräfte herkommen sollen. Die Landesregierung verwechselt Politikmarketing mit Politik. Das ist ärgerlich, denn die Landesregierung muss viele Fachkräfte nach Baden-Württemberg holen. Uns fehlen 860 000 Menschen bis 2035. Da hilft es uns nicht, sich nur auf Kampagnen zu verlassen.
Sondern?
Stoch: Ich nenne Ihnen mal ein Beispiel: Die Landesregierung hat 2017 Studiengebühren für ausländische Studierende eingeführt und sich hinterher groß gewundert, dass weniger Studierende ins Land gekommen sind, obwohl wir schon damals darauf hingewiesen haben, dass das keine gute Idee ist. Jetzt wollen sie die Gebühren wieder abschaffen. Da frage ich mich natürlich, was das soll.
Was schlagen Sie denn selbst vor?
Stoch: Die Landesregierung müsste ein eigenes Anwerbeprogramm starten. Die Bürokratie muss endlich liefern. Ein simples Beispiel: Wenn sie heute eine Pflegekraft aus dem Ausland holen, landet der Fall beim Regierungspräsidium in Stuttgart. Es dauert dann wegen der Schwergängigkeit der Verwaltung zwölf bis 15 Monate bis zur Genehmigung und Anerkennung. Wir haben jetzt im Landtag einen Gesetzentwurf eingebracht, der die Landesregierung zwingen soll, dort mehr Personal einzustellen, damit alles schneller geht. Und wir fordern, dass die Pflegekraft schon mit der Arbeit anfangen darf, wenn die Genehmigung nach drei Monaten noch nicht erteilt wurde. Die Fachverbände schreiben uns: Das ist längst überfällig, danke SPD! Ich frage mich: Warum kommt die Landesregierung nicht selbst auf diese Idee?
Die Landesregierung will ja auch die Lehrerlücke mit Quereinsteigern schließen. Auch da gibt es entsprechende Plakate an den Flughäfen. Nach dem Motto: Wenn ihr Faulpelze seid, ist der Lehrerberuf für euch genau der richtige.
Stoch: Auch mit diesen dummen Slogans kann doch niemand etwas anfangen. Wir haben der Landesregierung vor Monaten vorgerechnet, wie viele Lehrkräfte frei würden, wenn man sie von den Aufgaben entlasten würde, die nichts mit ihrem Beruf zu tun haben. Allein durch die Wartung der Schul-IT sind in Baden-Württemberg 550 Lehrdeputate blockiert. Das ist absurd. Lehrkräfte sind bei uns neben dem eigentlichen Unterricht auch noch für alles andere zuständig: Sozialarbeit, psychologische Betreuung und Berufsberatung.
Was fordern Sie?
Stoch: Wir brauchen multiprofessionelle Teams an den Schulen. Die Lehrkräfte sind dann nur noch für ihre Kernkompetenz zuständig. Das ist zum Beispiel in Kanada so. Dort besteht das Personal zur Hälfte aus Lehrkräften, der Rest unterstützt sie. Wir könnten durch eine Änderung der Organisation an den Schulen deutlich mehr Unterricht gewährleisten. Wir fordern eine Unterrichtsgarantie für unsere Kinder.
Und was halten Sie von Quereinsteigern als Lehrer?
Stoch: Die Debatte muss immer unter dem Aspekt der Qualität geführt werden. Also kann jemand, der einen anderen Beruf gelernt hat, die gleiche Qualität abliefern? Ich schließe nicht aus, dass es hochmotivierte Kräfte gibt, die auch wichtige Kenntnisse aus ihrem Beruf mitbringen und durch ein entsprechendes Aufbaustudium eine Rolle an der Schule spielen können. Quereinsteiger können aber eine qualifizierte Lehrkraft nicht gleichwertig ersetzen, sie könnten aber als pädagogische Assistenzen Lehrkräfte unterstützen.
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