Interview

Wie es Justizministerin Gentges mit Alkohol und Cannabis hält

Hat sie schon mal gekifft? Baden-Württembergs Ministerin Marion Gentges (CDU) bezieht Stellung zur geplanten Cannabis-Legalisierung und erklärt, wie sie mit dem Cybercrime-Zentrum gegen Kinderpornografie vorgehen will

Von 
Karsten Kammholz und Walter Serif
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Steile Karriere: Marion Gentges ist seit 2021 in Winfried Kretschmanns Kabinett Ministerin für Justiz und Migration. © Thomas Tröster

Mannheim. Frau Gentges, eine pikante Frage an Sie als Justizministerin: Haben Sie schon einmal gekifft?

Marion Gentges: Nein.

Dann sind Sie ja bei der nächsten Frage neutral: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will den Cannabis-Konsum legalisieren. Er meint, dadurch würde die Justiz auch Geld einsparen. Was halten Sie denn davon?

Gentges: Die Aufgabe der Justiz ist, das zu verfolgen, was sanktionswürdig ist, und nicht das, was die Justiz sich zu leisten bereit ist. Wer sich bei dem Thema vom Einsparpotenzial leiten lässt, ebnet den Weg für eine Justiz nach Kassenlage und nicht nach rechtlich Gebotenem. Aber das ist nicht der einzige Grund, warum ich den Cannabis-Konsum nicht legalisieren will.

Erklären Sie es uns.

Gentges: Als frühere Strafverteidigerin habe ich gesehen, wie sich bei jungen Menschen paranoide Schizophrenien ausgebildet haben. Das Risiko steigt bei diesem Personenkreis schon nach wenigen Cannabis-Einheiten um bis das 30-Fache. Das ist alles andere als harmlos.

Wenn Jugendliche mehrere Flaschen Schnaps trinken, können sie daran sogar sterben.

Gentges: Der Vergleich hinkt.

Warum? Der Genuss von Alkohol ist tödlich, der von Cannabis nicht.

Gentges: Ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Beides ist gefährlich und der Konsum nicht ohne Risiken. Aber wir dürfen Cannabis- und Alkoholkonsum nicht gegeneinander ausspielen und vielleicht zum Schluss kommen: Dann geben wir eben Cannabis und Alkohol frei. Das ist nicht die Lösung.

Wenn Sie so strikt gegen Cannabis sind, müssten Sie dann nicht auch an das Thema Alkohol rangehen? Warum darf man in Deutschland alkoholisiert Auto fahren?

Gentges: Es sind vor allem gesundheitliche und sicherheitsrelevante Risiken, die eine Legalisierung von Cannabis mit sich brächte. Ich persönlich bin nicht bereit, die Risiken bei Cannabis noch zu erhöhen. Übrigens werden Sie mich nie mit Alkohol am Steuer sehen.

Die Ampel meint, dass bei Cannabis und Alkohol mit zweierlei Maß gemessen wird, deshalb will sie ja Cannabis legalisieren.

Gentges: Das Thema wird uns in der Tat noch weiter begleiten. Inzwischen hat der Bundesjustizminister einen Referentenentwurf vorgelegt, der aber deutliche Mängel aufweist.

Kann man die nicht beseitigen?

Gentges: Es besteht in der Tat erheblicher Nachbesserungsbedarf. Im Übrigen erreicht die Ampel mit ihrem Vorschlag nicht das von ihr selbstgesetzte Ziel. Statt die Verbreitung von Cannabis staatlich zu kontrollieren, sehe ich die Gefahr, dass diese eher weiter zunimmt.

Die Ministerin aus dem Schwarzwald

Marion Gentges wurde am 23. August 1971 in Haslach im Kinzigtal geboren.

Nach dem Studium der Rechtswissenschaften an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg und dem Referendariat am Landgericht Offenburg erhielt sie 1999 ihre Zulassung als Rechtsanwältin.

In Zell am Harmersbach (Schwarzwald), wo Gentges auch heute noch wohnt, hat sie eine eigene Kanzlei.

Die CDU-Politikerin legte eine steile Karriere hin, nach fünf Jahren im Landtag (Wahlkreis Lahr) wurde sie 2021 Ministerin.

Obwohl die 51-Jährige mit Justiz und Migration gleich zwei wichtige Ressorts beackert, gehört Marion Genges gemessen an ihrem Bekanntheitsgrad nicht zu den Aushängeschildern der Landesregierung im Südwesten.

In der Allensbach-Umfrage für die baden-württembergischen Tageszeitungen (BaWü-Check) landet sie mit acht Prozent auf dem letzten Platz – gemeinsam mit Bauministerin Nicole Razavi (ebenfalls CDU).

Dagegen schneidet die Schwarzwälderin bei der insgesamt eher schwachen Bewertung der Kabinettsmitglieder relativ gut ab. Mit einer Note von 3,2 liegt Gentges gemeinsam mit Kretschmann hinter Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne), der als Spitzenreiter auf eine glatte 3,0 kommt.

Für Wirbel sorgte Gentges, als sie eine CDU-nahe Frau an der Spitze des Oberlandesgerichts Stuttgart gegen den Willen des Präsidialrats durchsetzen wollte. Das Richter-Gremium favorisierte mit Andreas Singer einen anderen Kandidaten. Gentges klagte dagegen erfolglos vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart und akzeptierte ihre Niederlage.

Ein anderes Thema. Sie haben mit dem neuen Zentrum in Karlsruhe den Cyber-Straftätern den Kampf erklärt. „Egal, wo sie vor ihren PCs sitzen, wir tun alles dafür, um sie zu finden“, lautet die Ansage. Wecken Sie da nicht viel zu große Erwartungen und Hoffnungen?

Gentges: Das glaube ich nicht. Wir errichten ein staatsanwaltschaftliches Cybercrime-Zentrum mit einer landesweiten Strafverfolgungszuständigkeit. Das Zentrum wird personell mit 50,5 Stellen ausgestattet sein und die landesweite Strafverfolgungszuständigkeit bei herausgehobenen Verfahren innehaben. Auch die bisherigen Cybercrime-Schwerpunktabteilungen bei den Staatsanwaltschaften Mannheim und Stuttgart sowie der ausschließlich koordinierend tätigen Zentralstelle bei der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart werden in die neue Stelle überführt. Das erhöht unsere Schlagkraft enorm.

Wir haben Sie denn diesen Stellenzuwachs den knausrigen Haushältern verkauft?

Gentges: Cybercrime, also Straftaten, die sich gegen informationstechnische Systeme richten oder mittels Computer- und Informationstechnik durchgeführt werden, ist das Kriminalfeld, das sich in den vergangenen Jahren am stärksten entwickelt hat. Von 2017 bis 2022 haben sich die Fälle von gut 20 000 auf 40 000 verdoppelt. Zu den größten Bedrohungen gehören Straftaten gegen Wirtschaftsunternehmen, Verwaltungen und die kritische Infrastruktur. Der Branchenverband Bitkom schätzt den Schaden allein für die deutsche Wirtschaft im vergangenen Jahr auf mehr als 200 Milliarden Euro. Fast alle Unternehmen sind nach eigener Einschätzung bereits sicher Opfer solcher Attacken geworden oder vermuten dies. Mich persönlich treibt noch ein anderes Cyber-Feld besonders um.

Kinderpornografie?

Gentges: Genau. Von 2018 bis 2022 sind allein die Hinweise aus den USA auf Kinderpornografie in Baden-Württemberg um mehr als 1000 Prozent gestiegen – von 680 auf 7767. Ich habe mir im Vorfeld die Arbeit von anderen Cybercrime-Zentren angeschaut. Da habe ich gesehen, wie effektiv die Strafverfolgung in diesem Bereich sein kann, wenn die Kräfte gebündelt werden. In NRW hatten die Ermittler zuerst nur ein einziges Bild auf dem Rechner eines Tatverdächtigen entdeckt. Das hätte nur für ein Verfahren gereicht. Man hatte aber das richtige Gespür und auch Instrumentarien, die normalerweise bei organisierter Kriminalität eingesetzt werden.

Meinen Sie damit die Internetüberwachung?

Gentges: Die Ermittler konnten den Tatverdächtigen am offenen Rechner erwischen. Am Ende wurden mehr als 300 Verfahren eingeleitet.

Die Bilder und Videos müssen schrecklich gewesen sein.

Gentges: Ja, von den Kindern, die vor laufender Kamera sexuell missbraucht wurden, waren viele unter drei Jahren, teilweise sogar unter zwölf Monaten alt. Die Aufnahmen wurden dann im Internet wirtschaftlich verwertet. Die Eltern, die die Kinder eigentlich schützen müssten, gehören nicht selten zu den Tätern. Wenn es dem Staat nicht gelingt, hilft den Kindern keiner. Das allein ist unser aller Anstrengungen wert. Wenn das Cybercrime-Zentrum in Karlsruhe seine Arbeit aufgenommen hat, werden die Fallzahlen deutlich steigen. Schlicht deshalb, weil wir sie aus dem Dunkelfeld ins Hellfeld holen. Das ist richtig und notwendig, denn wir können nicht hinnehmen, dass sich solche Taten abspielen.

Sind diese Zahlen nicht ein Beleg dafür, dass sich Produzenten und Konsumenten von Kinderpornografie sehr sicher fühlen?

Gentges: Ja, aber das soll ein Ende haben. Auch deshalb richten wir das Zentrum ein. Es darf sich keiner mehr sicher sein, dass er mit solchen Verbrechen durchkommt.

Woher holen Sie sich denn die Experten, Sie brauchen ja nicht nur Juristen, sondern auch IT-Forensiker, die die Staatsanwälte unterstützen sollen?

Gentges: Das ist in der Tat anspruchsvoll. Die Stellen sind bewilligt, und die Ausschreibungsphase hat begonnen.

Da leiden Sie als Ministerin auch unter dem Fachkräftemangel?

Gentges: Das ist richtig. Unser Ziel ist es, dass der Start noch in diesem Jahr erfolgen kann.

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Stichwort Fachkräftemangel. Sie sind ja auch Ministerin für Migration. Da müssen Sie sich mit zwei Problemen gleichzeitig herumschlagen. Es kommen viele Flüchtlinge nach Deutschland, wir brauchen aber auch Zuwanderer, die sofort in den Arbeitsmarkt integriert werden können.

Gentges: Beide Aufgaben stellen uns in der Tat vor Herausforderungen. Es kommen nach wie vor viele Menschen aus der Ukraine zu uns, im ersten Halbjahr waren es etwa 20 000. Gleichzeitig steigt die Zahl der Asylzugänge massiv. 2020 waren es 7500, seitdem haben sich die Zahlen Jahr für Jahr etwa verdoppelt, und auch in diesem Jahr steigen die Zahlen weiter deutlich an.

Ist deshalb in der CDU immer häufiger von „Begrenzung“ die Rede?

Gentges: Ja. Die extrem hohen Zugangszahlen bringen uns auf allen Ebenen an die Grenzen des Leistbaren. Das gilt vor allem für die Kommunen, wo die Menschen schließlich untergebracht, betreut und versorgt werden. Wir brauchen deshalb in der Tat eine Begrenzung und Steuerung der Zugänge.

Wie soll das funktionieren?

Gentges: Wir benötigen dafür eine Lösung auf der Ebene der Europäischen Union. Die EU ist der Schutzraum, in dem eine gerechte Verteilung gelingen muss. Das sieht auch der Kompromiss vor, den die EU-Innenminister beschlossen haben.

Polen und Ungarn machen da aber nicht mit.

Gentges: Die EU muss sich an dieser Stelle als handlungsfähig erweisen. Im Moment sieht es aber eher so aus, als würden die Verhandlungen in einer Sackgasse enden.

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CDU-Politiker aus dem Südwesten wie zum Beispiel Manuel Hagel fordern inzwischen eine Obergrenze für Flüchtlinge, der Bundestagsabgeordnete Thorsten Frei will das individuelle Asylrecht abschaffen. Ist das nicht Populismus?

Gentges: Von Populismus kann keine Rede sein. Man muss Debatten führen, was das bestehende System kann und wo es Schwächen hat, wo auch Änderungen notwendig sind, und zwar insbesondere auf europäischer Ebene. Eine Lösung in der EU ist gegenwärtig aber nicht in Sicht.

Auf die EU setzen CDU-Politiker schon seit der Flüchtlingskrise 2015. Passiert ist nichts. Profitiert am Ende nicht nur die AfD davon?

Gentges: Nein, wir müssen diese Debatte offen und ehrlich führen. Das Thema Asyl wird aktuell stark emotional geführt, es ist aber unbedingt notwendig, hier in eine sachliche Debatte zurückzukommen. Ich nehme die Sorgen und Ängste, die viele Menschen nicht nur in diesem Zusammenhang haben, sehr ernst. Es geht auch darum, den Zusammenhalt in der Gesellschaft nicht zu gefährden.

Deutschland treibt nicht nur das Asyl-Problem um, sondern auch der Fachkräftemangel. Sie wollen deshalb im Südwesten eine neue Stelle zur Beschleunigung von Fachkräfteverfahren einrichten. Was versprechen Sie sich davon?

Gentges: Bei der legalen Einwanderung in den Arbeitsmarkt gibt es aktuell noch einige Hindernisse. Viele Verfahren scheitern daran, dass die Unterlagen nicht vollständig sind. Ich kann mir hier eine digitale Lösung vorstellen, die es dem Antragsteller erst dann erlaubt, auf „senden“ zu drücken, wenn alle Unterlagen eingescannt sind. Die andere Schwierigkeit ist die Anerkennung ausländischer Abschlüsse. Von einer stärkeren Vernetzung verspreche ich mir vor allem Synergien. Außerdem wollen wir bei der neuen Stelle nicht nur Verwaltungsbeamte und Juristen beschäftigen, sondern auch Menschen mit entsprechendem Hintergrund und Kenntnissen über die Herkunftsländer, die wissen, wie dort Schule und Ausbildung funktionieren. Dadurch soll und muss alles schneller laufen.

Ehemalige Mitarbeit ehem. Chefredakteur

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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