Viernheim. Er hat mit seinem Team einen Michelin-Stern erkocht und zwei Jahre gehalten. Doch jetzt steigt der Viernheimer Timo Steubing aus dem Sterne-Stress aus und beginnt ein neues Kapitel als Koch – mit einer anderen Herausforderung, aber weiterhin in seiner neuen Wahlheimat: Miami in Florida. Wie anders das Leben dort ist als in Deutschland, warum in der latino-geprägten Großstadt kein ordentlicher Kartoffelsalat zu machen ist und wieso die Viernheimer Apostelkirche plötzlich viel imposanter wirkt als früher, erzählen er und seine Frau Lucia bei einem Besuch zu Hause.
Der Moment im Jahr 2023, als klar war, dass er als Küchenchef mit seiner Mannschaft einen Stern erhalten hat, ist Steubing noch gut in Erinnerung. „Ich habe mich riesig gefreut“, erzählt der 40-Jährige. Immerhin war er im Jahr zuvor mit seiner Frau Lucia und ihrer gemeinsamen, drei Jahre alten Tochter nach Florida ausgewandert mit dem klaren Ziel, einen Stern zu erjagen. Schon seit seiner Ausbildung zum Koch in der Fuchs’schen Mühle in Weinheim verfolgte der Viernheimer diesen Traum. Auch, weil der Weg zum Koch kein leichter war.
Angebot von Sternekoch Tristan Brandt
Kurz vor dem Abitur hatte Steubing die Alexander-von-Humboldt-Schule verlassen und sich für eine Koch-Lehre entschieden. Doch das bedeutete, dass er arbeiten musste, während seine Freunde feiern gingen. „Damals dachte ich mir: Wenn ich das schon durchziehe, will ich auch gut werden“, erinnert Steubing sich lachend. Nach der Ausbildung suchte er sich gezielt die besten Arbeitgeber: vom Sternerestaurant Strahlenberger Hof in Schriesheim über das sterngeschmückte Restaurant Marly in Mannheim bis zum Restaurant 959 in Heidelberg, das mit ihm als Küchenchef zwei rote Hauben im Gault-Millau-Führer erlangte. Die logische Folge hieß dann: einen eigenen Stern erkochen. Und wenn das im Ausland gelänge – noch besser.
„Ich wollte schon immer auswandern“, sagt der Viernheimer. Darum griff er begeistert zu, als der deutsche Sternekoch Tristan Brandt ihm anbot, in dessen neu gegründetem Restaurant „Tambourine Room“ im Carillon Miami Wellness Resort als Küchenchef anzufangen – und sich dort auf Sternejagd zu begeben.
Aber die ersten Monate in der neuen Heimat seien eine ganz schöne Umgewöhnung gewesen, beruflich genauso wie privat. „In unserem ersten Sommer dort dachten wir, wir sterben vor Hitze“, erzählt Lucia Steubing und beide mustern sich lachend über den Küchentisch in Steubings Elternhaus hinweg. Obwohl draußen die Sonne warm scheint, tragen beide langarmige Oberteile, lange Hosen und sind froh über das frühsommerliche Viernheimer Wetter an diesem Tag.
„Vor dem Besuch zu Hause hatte ich richtig Schiss vor der Kälte“, bekennt der 40-Jährige. Denn nach rund drei Jahren in Miami haben sie sich an das feucht-heiße Klima gewöhnt – und an den Blick von ihrem Balkon auf das Meer am Miami Beach. Aber dafür vermissen beide so einiges Deutsches in ihrer neuen Heimat. „Die Familie, deutsches Essen und deutsches Bier“, zählt Steubing auf.
Zusammen mit Frau und Tochter besucht er derzeit Lieblingsorte in der Region und genießt die Vielfalt der Landschaft, die alten Burgen, die es in den USA nicht gibt, und den Anblick der Apostelkirche, die auf ihn früher nie so imposant gewirkt habe wie jetzt, so Steubing verwundert. „Man muss vielleicht erst weggehen, um das Schöne an der eigenen Heimat so sehen zu können.“ Und das Leckere. Kaum in Viernheim angekommen, hätten sie sich auf Brot, Apfelwein und Kochkäseschnitzel gestürzt, erzählt das Paar lachend – „und auf Spargel“, ruft Lucia Steubing. „Das haben wir hier am Anfang tagelang gegessen!“
Auch als Koch musste sich der Viernheimer in Miami gewaltig umstellen. „Es ist alles anders dort, selbst die einfachsten Lebensmittel“, erzählt er. Zum Beispiel seien Kartoffeln nicht zu vergleichen mit der „Pälzer Grumbeer“, sondern „weiß, riesig und fast ohne Stärke“, so Steubing. „Kartoffelsalat wird damit nur zu Brei.“ Auch auf Rohmilchprodukte muss der Käseliebhaber in den USA verzichten, genauso wie auf rohen getrockneten Schinken oder Salami. Wegen des heißen Klimas sei zudem das Essverhalten in Miami anders, es würden eher öfter am Tag kleine Portionen von leichten Mahlzeiten gegessen.
Mit dem Stern beginnt der andauernde Stress in der Küche
„Ich habe eine Weile gebraucht, um mich darauf einzustellen“, erzählt er. Aber den Koch versöhnen die vielen Vorteile seiner neuen Heimat: frischer Fisch, Mangos und Avocados, die direkt vor Ort wachsen oder hervorragendes Fleisch. Damit erfüllte er sich schließlich auch seinen Traum vom Michelin-Stern. Aber noch an dem Tag, an dem er davon erfuhr, schoss ihm neben der Freude noch ein anderer Gedanke durch den Kopf: „Den Stern müssen wir jetzt auch halten.“ Und das sei nochmal deutlich stressiger als das Erringen der Auszeichnung. Weil das Küchenteam im „Tambourine Room“ sehr klein gewesen sei, sei der Druck enorm gewesen, jeden Tag weit mehr als hundert Prozent zu geben – für den Fall, dass der Testesser auftauchte.
„Da zittern dann schon die Knie manchmal. Wenn nur einer im Team ausfällt, fehlt nicht viel und der Stern kann weg sein“, so Steubing. Er stand im vergangenen Jahr neben all seinen organisatorischen Aufgaben als Küchenchef auch selbst jeden Tag am Herd und stemmte die warme Küche. „Zuletzt habe ich nicht viel von meinem Mann gesehen“, sagt Lucia Steubing, und der Kochprofi nickt. „Das will ich nicht mehr“, erklärt er, warum er sich entschloss, das Restaurant Ende April dieses Jahres zu verlassen. „Ich habe gemerkt, ich brauche keinen Stern, um glücklich zu sein. Ich will lieber meine Familie mehr sehen.“ Und dann gibt es da noch seine andere Leidenschaft: das Entdecken von Talenten.
Hohes kulinarisches Niveau in Lokal mit 400 Sitzplätzen
„Damals in Heidelberg fehlte mir eines Abends ein Koch. Da habe ich die Spüler gefragt, wer kochen kann. Keiner konnte, aber einer meinte, er könne es vielleicht versuchen und den habe ich genommen. Er wurde richtig gut.“ Steubing strahlt, als er von weiteren jungen Leuten erzählt, denen er seitdem geholfen hat. „Die Stärke eines anderen Menschen herauszufinden, ist toll. Und irgendwas kann jeder!“ Damit will er weitermachen – aber an neuer Stelle.
Wenn die Steubings nach ihrem Heimatbesuch nach Miami zurückkehren, wartet auf den Koch ein neuer Job als Küchenchef in einem Restaurant einer großen Kette, die Lokale mit bis zu 400 Sitzplätzen auf hohem kulinarischen Niveau betreiben – mit einem À-la-carte-Menü jeden Abend, das in der Küche auf Spitzenlevel für so viele Menschen zubereitet werden muss. „So etwas gibt es in Deutschland gar nicht. Das habe ich noch nie gemacht und das reizt mich“, bekennt Steubing. Um einen Stern gehe es ihm in seiner neuen Stelle nicht, sagt er. Zumindest fürs Erste, schränkt er dann allerdings ein und muss lachen: „Aber man weiß nie.“
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