Viernheim. Die Zahl der Kinder steigt, immer mehr – insbesondere berufstätige – Eltern legen Wert auf Betreuung, und es herrscht ein erheblicher Mangel an Erzieherinnen. Dies alles führt dazu, dass es Viernheim kaum noch gelingt, eine ausreichende Zahl an Krippen- und Kindergarten-Plätzen zur Verfügung zu stellen. Vertreter von Stadt, Arbeiterwohlfahrt und Kirchen machen bei einem Pressegespräch auf die zusehends angespannte Lage in den Tagesstätten aufmerksam und werben gegenüber Vätern und Müttern um Verständnis, wenn sie mit ihren Wünschen nicht sofort zum Zug kommen.
„Wir sind uns des gesellschaftlichen Stellenwerts der Arbeit in den Kitas bewusst und sehen die Problematik, dass Eltern in hohem Maße auf die Verfügbarkeit von Plätzen angewiesen sind“, erklärt Bürgermeister Matthias Baaß. Trotz des Rechtsanspruchs der Erziehungsberechtigten müsse er aber eine „ehrliche Botschaft“ senden: „Das gewohnte System läuft nicht mehr rund, jedenfalls nicht komplett.“
Zeiten bleiben unangetastet
Für einen Teil der Eltern habe dies jetzt schon Folgen. Es könnten aber noch mehr werden, die betroffen sind, prognostiziert der Rathauschef. Die Spitzen der Träger, die in Viernheim Einrichtungen betreiben, haben sich laut Baaß vor wenigen Tagen getroffen, um durch ein gemeinsames Vorgehen auch weiterhin geordnete Abläufe sicherzustellen. „Wir sehen nicht tatenlos zu, können aber keine Wunder versprechen“, so das Stadtoberhaupt.
Chancen, dem Fachkräftemangel zu begegnen, sieht Baaß in einer lokalen Initiative, die er kürzlich im Sozialausschuss vorgestellt hat (wir berichteten). Federführend ist die Gleichstellungsbeauftragte Maria Lauxen-Ulbrich, sie soll dafür an anderer Stelle entlastet werden. Ziel ist es, Menschen mit ausländischen Berufsabschlüssen in den hiesigen Arbeitsmarkt zu integrieren. Darüber hinaus will die Stadt neue Personengruppen ausfindig machen, die sich für eine Arbeit im Betreuungsbereich interessieren – und setzt dabei auf die Kooperation mit Agentur für Arbeit und Jobcenter.
Um den Fachkräftemangel zu beschreiben, bringt der Bürgermeister eine Studie der Bertelsmann-Stiftung ins Spiel, wonach bis 2030 allein in Hessen 25 000 Erzieher gesucht würden. Die Gründe dafür sind nach Einschätzung von Baaß vielfältig: Die Ausbildungszahlen seien gering, Vertreter der so genannten Babyboomer-Generation gingen nach und nach in Rente, infolge von Corona gebe es etliche langzeiterkrankte Menschen, hinzu kämen Schwangerschaften. Außerordentlich hohe Personalmindeststandards verstärken Baaß zufolge das Problem. Von einem Tag auf den anderen müssten Öffnungszeiten angepasst oder Gruppengrößen verändert werden.
"Es geht nicht mehr"
Trotz der schwierigen Gesamtsituation hätten sich die Träger dagegen entschieden, die in Viernheim nach und nach ausgedehnten Betreuungszeiten wieder einzukürzen. Mit wenigen Worten beschreibt Sozialamtsleiter Rudolf Haas die Lage: „Liebe Eltern, wie Ihr das in der Vergangenheit gewohnt wart, geht es nicht mehr.“ Mit Ende der Pandemie sei die Nachfrage nach Krippenplätzen deutlich gestiegen. Zuletzt konnten nur 55 von 85 angemeldeten Kindern versorgt werden. Bei den Über-Dreijährigen liegt der Deckungsgrad bei gut 82 Prozent, angestrebt seien 95 Prozent.
Versorgung mit Krippen- und Kita-Plätzen in Viernheim
- Seit 2013 haben Eltern in Deutschland einen Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz. In Viernheim gibt es 267 Plätze in zwölf Einrichtungen für die Unter-Dreijährigen. Zwölf bis 15 Plätze können aber aktuell wegen des Personalmangels nicht vergeben werden.
- Bei der Vergabe der Krippenplätze für das erste Halbjahr 2024 hat die Stadt eine gestiegene Nachfrage gegenüber den Vorjahren festgestellt. Eltern von mehr als 50 Prozent der Kinder dieser Altersgruppe stellten einen Antrag. In den Jahren zuvor waren es 40 bis 45 Prozent. 55 von 85 angemeldeten Kindern konnten versorgt werden.
- 40 Kinder im Krippenalter sind nach Angaben der Stadt bei Tagesmüttern untergebracht. Zuständig ist dabei der Kreis Bergstraße.
- Der Rechtsanspruch für die Kita existiert seit 1996. Viernheim verfügt auf dem Papier über 1290 Plätze für die Über-Dreijährigen. Wegen des höheren Personalbedarfs für 42 Integrationskinder fallen aber 112 wieder weg. Aufgeteilt sind die Plätze auf 15 Einrichtungen.
- Wegen des Fachkräftemangels ist eine Gruppe mit 25 Kindern momentan nicht besetzt. Zum 1. Juli standen 1153 verfügbaren Plätzen 1400 Kinder im Kindergartenalter gegenüber.
Auch Pfarrer Markus Eichler von der evangelischen Auferstehungsgemeinde spürt die täglichen Herausforderungen im Betreuungsbereich, wie er betont. Gleichwohl sei etwa die Arche Noah „personell relativ gut aufgestellt“. Kürzlich sei es auch gelungen, eine vakante Stelle neu zu besetzen. Nach Angaben des Geistlichen profitiert die Gemeinde bislang von einem stabilen Team, das seit vielen Jahren aktiv ist. Allerdings rechnet er fest damit, dass es auch in seinem Zuständigkeitsbereich – „früher oder später“ – Personalengpässe geben wird. Eichler schätzt daher den „guten Austausch auf kommunaler Ebene“. Für die Zukunft erhofft er sich mehr Wertschätzung für den Betreuungsberuf, da die frühkindliche Bildung wesentlich für die soziale Gemeinschaft sei.
Awo setzt auf Zusatzkräfte
In der Christuskirchengemeinde seien die Verhältnisse weniger stabil, berichtet Pfarrer Klaus Traxler. Insofern könne er so manche Beschwerde von Eltern verstehen. Er weist aber darauf hin, dass sich jeder Beteiligte alle Mühe gebe, um die Situation zu verbessern. Einen weiteren Schub erhofft er sich vom Engagement der Gleichstellungsbeauftragten Maria Lauxen-Ulbrich.
Auch Peter Lichtenthäler, Leiter der Awo-Geschäftsstelle, würdigt die kommunale Initiative. „Es sind zu wenige Fachkräfte am Markt verfügbar“, stellt er fest. Dennoch seien in den Einrichtungen der Arbeiterwohlfahrt nahezu alle Posten besetzt. „In jeder Kita ist höchstens eine Stelle frei.“ Lichtenthäler fügt aber hinzu, dass das Personal nicht ausschließlich aus Fachkräften bestehe. Wo es gesetzlich möglich und inhaltlich vertretbar sei, würden Zusatzkräfte eingesetzt. Dies gelte etwa für den Verpflegungsbereich oder die Sprachförderung.
Zusatzkräfte als Fachkräfte anerkennen
Nach Angaben des Awo-Sprechers will der Ortsverein künftig die Anerkennung möglichst vieler Zusatzkräfte als Fachkräfte erreichen – etwa durch die Vorlage von Zeugnissen bei den zuständigen Stellen oder durch Weiterbildungen. Lichtenthäler betont, die Situation sei „für alle Beteiligten nicht einfach“. Personal und Träger seien aber stets darum bemüht, die vertraglich vereinbarte Betreuung der Kinder zu gewährleisten. Für den Fall, dass einmal nicht alles optimal läuft oder es Anlass zu Kritik gibt, richtet er eine Bitte an die Eltern: „Sprechen Sie mit uns und nicht mit Facebook.“
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/viernheim_artikel,-viernheim-in-viernheim-fehlen-immer-mehr-betreuungsplaetze-_arid,2135012.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/viernheim.html
Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Politik reagiert zu langsam