Viernheim. Ein Mann mit einer Gitarre. Mehr ist da nicht auf der Bühne. Doch dann dringen Klänge wie die einer Geige herab, mischt sich Percussion unter das Gitarrenspiel, Bass, Gesang, dann auch noch das Klingeln von Glöckchen. Und immer noch steht nur ein einziger Mann dort vorn: Marcus Eaton, Sänger und Songschreiber aus Kalifornien mit seinem Instrument. Noch keine zehn Minuten sind vergangen seit der Eröffnung der elften Viernheimer Gitarrentage, veranstaltet vom Verein Chaiselongue - Kunst und Soziales. Und schon ist klar: In den richtigen Händen wird eine Gitarre spektakulär.
Hinter Helmut Neumann und den anderen Mitgliedern des Vereins liegen zu diesem Zeitpunkt dagegen stressige zwei Stunden. Erst um 17 Uhr konnten sie mit dem Aufbau der Veranstaltung im Treff im Bahnhof (TiB) starten. Im Rekordtempo bestuhlten die Vereinsmitglieder den Konzertraum, hängten Banner, bauten die Kasse auf und machten den Soundcheck. „Das war hektisch“, sagt Neumann fünf Minuten vor Konzertbeginn. Doch seine Augen leuchten. Denn er kann kaum erwarten, den ersten Musiker der diesjährigen Gitarrentage zu hören.
Der Kalifornier Marcus Eaton gilt als Komponist und Songschreiber von Weltrang. Er war Begleitgitarrist des verstorbenen Gitarristen David Crosby, der berühmt wurde durch die Band Crosby, Stills and Nash - und schon früh ein musikalisches Idol des Chaiselongue-Mitglieds Neumann war, der selbst Gitarrist ist. Bei der Online-Recherche über Crosby stieß der Viernheimer auf Eaton und war sofort interessiert an dem Mann, über den Crosby einmal gesagt haben soll: „An guten Tagen spielt er einfach Gitarre wie Gott.“
Stücke von Jimi Hendrix und Sting
Ob sich ein solcher Musiker zu den Gitarrentagen locken ließe? „Das ging eigentlich ganz einfach“, erzählt Neumann. Als er Eaton angefragt habe, habe der sofort Feuer für die Viernheimer Konzertreihe gefangen: „Er wollte unbedingt hier spielen.“ Die Begeisterung des Künstlers ist spürbar, als er am Freitagabend die Gitarrentage eröffnet und das Publikum im Handumdrehen in seinen Bann zieht - sowohl mit selbst komponierten Songs als auch mit seinen Interpretationen der Stücke von Stars wie Jimi Hendrix oder Sting. Dabei spielt Eaton nicht nur auf, sondern mit der Gitarre. Mithilfe eines Loopers nimmt er live Percussion auf - geklopft auf dem Gitarrenkörper - ergänzt sie um Bassläufe, legt all das unter sein Gitarrenspiel, erzeugt Effekte, die nach Geige klingen, packt sein Instrument quer und singt ins Schallloch.
Immer wieder aber beendet er seine Stücke ganz simpel und mit einem selbstironischen Lächeln. „Wow, der macht ja echt viel auf der Gitarre“, zeigt sich eine Zuhörerin begeistert. Und das ist erst der Beginn des dreitägigen Konzertmarathons.
So richtig voll wird es im TiB am Samstagabend. Der Verein stellt spontan sogar noch weitere Stühle. Angelockt haben die Zuhörer gleich zwei Auftritte. Der kubanische Gitarrist Marcos Gonzàlez füllt den Konzertraum zuerst mit lateinamerikanischen Klängen. Dann folgt jemand, der Musikliebhabern in Viernheim bestens bekannt ist: der Mannheimer Gitarrist Kosho alias Michael Koschorreck. „Dass jemand aus der Region dabei ist, ist uns bei den Gitarrentagen wichtig“, erklärt Neumann. Und drei weitere Kriterien müssen bei den Gitarrentagen jedes Jahr erfüllt sein: „Dass eine Frau dabei ist, dass jemand Internationales auftritt und dass sich jemand Neues als Vorgruppe dem Publikum vorstellen kann.“
Die Frau auf der Bühne ist in diesem Jahr die Berliner Sängerin Katja Ohde, die gemeinsam mit Gitarrist Kosho als Duo Bar Kody Songklassiker wie zum Beispiel John Lennons „Imagine“ sehr groovig neu interpretiert und das Publikum damit mächtig mitreißt. Viele Besucher tröstet spätabends nur eines über das Ende des Konzerts hinweg: dass die Gitarrentage am Sonntagvormittag weitergehen. Und zwar mit einem Künstler, auf den sich vor allem die Fans von Fingerstyle freuen.
Kontrastreiche Darbietung
Janek Pentz aus Polen hat sich, obwohl noch jung, längst einen Namen als ein Gitarrist gemacht, der besonders virtuos spielt. Auch in Viernheim verzaubert der 2022 bei den Hamburger Gitarrentagen zum besten Nachwuchskünstler gekürte Musiker das Publikum mit seinen Eigenkompositionen. „Für mich ist Musik eine Sprache, um Gedanken zu teilen, die man oft nicht in Worte fassen kann“, sagt er - und tut dann genau das. Wie entfesselt spielt er Werke, die stark von Kontrasten geprägt sind, und erntet nach manchem Stück schier endlosen Applaus eines beeindruckten Publikums.
Die scheinbare Leichtigkeit, mit der er, aber auch die anderen Künstler der Konzertreihe der Gitarre die fantastischsten Töne entlocken, bringt viele Zuhörer zum Staunen. So wie Horst Stephan, der die Gitarrentagen als Vertreter der Stadt eröffnet und dem Verein Chaiselongue dankt. „Ihr bringt immer neue Perlen in die Stadt, so dass Kultur einfach zu Fuß oder mit dem Rad erreichbar wird. Das ist ganz toll für Viernheim!“ Auch privat bekennt sich Stephan als Fan der Gitarrentage. „Unglaublich, was die mit der Gitarre machen.“ Den Verein Chaiselongue, der seit seiner Gründung vor elf Jahren nicht nur jeden Herbst die Gitarrentage ausrichtet, sondern insgesamt bereits mehr als 100 Kleinkunstveranstaltungen organisiert hat, bittet er: „Ich weiß, dass auch ihr unter Corona gelitten habt. Aber ihr dürft nicht aufgeben!“
Das hat der Verein auch nicht vor - und schon die Gitarrentage 2024 im Blick. „Ich fange jetzt schon an zu planen“, sagt Helmut Neumann. „Und zum Jahresende steht das Programm vermutlich.“ Schwung gibt ihm dabei der Erfolg der diesjährigen Gitarrentage. Welcher Künstler sein Favorit war? „Jeder hatte was Eigenes, sie waren ganz verschieden.“ Was alle Künstler aber einte, war der eigentliche Star des Wochenendes. Das Instrument, das so unspektakulär aussieht, aber die Zuhörer drei Tage lang verzauberte. Die Gitarre.
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