Bürgerentscheid

Windkraft, nein danke? Alle Fakten zum Bürgerentscheid in Schriesheim im Überblick

Wer Windräder will, muss mit Nein stimmen? Wir bringen Licht ins Abstimmungsdickicht beim Bürgerentscheid am 9. November in Schriesheim und Dossenheim und erklären, welche Folgen das Votum für die Region hat.

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Konstantin Groß
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Drehen sich künftig Windräder am Weißen Stein oder nicht? Darüber sollen die Bürgerinnen und Bürger in Schriesheim und Dossenheim entscheiden. (Symbolbild) © picture alliance/dpa

Schriesheim. Am Sonntag wird in Schriesheim und Dossenheim bei einem Bürgerentscheid entschieden, ob in diesem Bereich der Badischen Bergstraße Windräder gebaut werden können oder nicht. Nachfolgend die wichtigsten Fakten und Daten.

In welchem Umfeld findet die Debatte an der Bergstraße statt?

Windenergie-Anlagen sind an vielen Orten der Metropolregion und darüber hinaus derzeit ein heißes Thema. Erst am Dienstag beriet der Stadtrat in Worms den Antrag der Firma Renolit, auf Freiflächen entlang der A 61 und B 47 fünf Windkraftanlagen zu errichten. Am 30. November findet ein Bürgerentscheid über die Windkraft in Horb statt, am 14. Dezember in Bruchsal.

Was ist in Sachen Windkraft in Schriesheim und Dossenheim bisher geschehen?

Vor einem Jahr haben sich Schriesheim und Dossenheim zusammengetan, um gemeinsam einen Windpark zu entwickeln. Und zwar am Weißen Stein, wo die Gemarkungen beider Kommunen aneinandergrenzen.

Wie viele und welche Anlagen sind geplant?

Es sollen vier Windräder errichtet werden, jeweils zwei auf Schriesheimer und Dossenheimer Gemarkung. Leistung: 7 Megawatt, Rotordurchmesser: 175 Meter, Nabenhöhe: bis zu 175 Meter, Gesamthöhe: 260 Meter. Weitere vier Anlagen sind theoretisch möglich, aber nicht wahrscheinlich, da die Flugsicherung bereits im Vorfeld jetzt geplanten vier Anlagen Bedenken äußerte.

Die Initiatoren des Bürgerentscheids vom kommenden Sonntag wollen Windkraftanlagen am Weißen Stein hoch über Schriesheim und Dossenheim verhindern. © Konstantin Gross

Wie weit ist der Prozess gediehen?

In dem gemeinsam besetzten Gremium wurde bereits der sogenannte Projektierer, der die Anlage entwickeln, bauen und betreiben soll, ausgewählt: die Pionxt Service GmbH & Co. KG aus Alzey, eine Tochter der Energieversorger EWR, Mainzer Stadtwerke und Pfalzwerke Ludwigshafen. Der formale Vergabebeschluss der beiden Gemeinderäte und die Vertragsunterzeichnung standen im Sommer bevor, mussten aber ausgesetzt werden, da das Bürgerbegehren dazwischen kam.

Wie kam es zu dem Bürgerbegehren?

Schriesheimer und Dossenheimer, die keine Windräder am Weißen Stein wollen, ergriffen in beiden Gemeinden die Initiative, um diese Planung mit einem Bürgerentscheid zu Fall zu bringen. In Schriesheim waren dafür 830, in Dossenheim 687 Unterschriften notwendig. Innerhalb der gesetzten Frist kamen jedoch in Schriesheim 1.206 und in Dossenheim 1.100 Unterschriften zusammen. Damit war das notwendige Quorum erreicht, sodass die Gemeinderäte in beiden Kommunen den Bürgerentscheid zulassen mussten. Da es sich dabei um ein gemeinsames Projekt handelt, kamen die beiden Gemeindeverwaltungen überein, beide Bürgerentscheide am selben Tag abzuhalten, nämlich am 9. November.

Welche Argumente haben die Initiatoren des Bürgerentscheides?

Ihr zentrales Argument besteht darin, dass der Wald in seiner ökologischen Funktion voll erhalten werden soll. Windkraftanlagen und auch die Zuwegungen würden durch die notwendige Flächenversiegelung diese Funktion massiv schädigen und den Artenschutz beeinträchtigen.

Was antworten die Befürworter der Windenergie?

Auch sie erachten Standorte im Wald als nicht ideal, in der Abwägung jedoch als unerlässlich, um auf regionaler Ebene die Energiewende umzusetzen, die wiederum grundlegend für den Kampf gegen den Klimawandel und damit langfristig auch für den Schutz des Waldes sei. Dem Artenschutz werde durch ökologische Ausgleichsmaßnahmen Rechnung getragen, die in einem ökologischen Fachgutachten ermittelt werden sollen.

Wie lautet die konkrete Fragestellung beim Bürgerentscheid?

Die Fragestellung lautet: „Sind Sie gegen die Errichtung von Windkraftanlagen auf den gemeindeeigenen Grundstücken im Schriesheimer Wald?“ Diese Fragestellung hat anfangs in der Öffentlichkeit zu einer gewissen Verwirrung geführt: Denn keine Windkraft will, muss hier mit Ja stimmen, wer für Windkraft ist, mit Nein.

Wer darf abstimmen?

Stimmberechtigt sind alle seit mindestens drei Monaten in Schriesheim gemeldeten Einwohner ab 16 Jahren, die die deutsche Staatsbürgerschaft oder die eines anderen EU-Staates besitzen. Entsprechendes gilt in Dossenheim.

Wann ist der Bürgerentscheid erfolgreich?

Damit das Ergebnis – Ja oder Nein – verbindlich ist, muss es nicht nur 50 Prozent + x der Abstimmenden erreichen, sondern auch mindestens 20 Prozent aller Stimmberechtigen. Wird dieses sogenannte Zustimmungsquorum nicht erreicht, entscheidet der Gemeinderat über die Frage.

Welche Folgen hat der Bürgerentscheid dann?

Spricht sich eine qualifizierte Mehrheit mit Ja aus, darf die Stadt Schriesheim bzw. die Gemeinde Dossenheim die Errichtung von Windkraftanlagen auf gemeindeeigenen Flächen weder vornehmen noch zulassen; der bisherige Prozess wäre dann beendet. Gibt es eine qualifizierte Mehrheit für Nein, kann der angelaufene Prozess fortgesetzt, der Vertrag mit Pionex geschlossen und das ökologische Gutachten in Auftrag gegeben werden. Ein qualifiziertes Ergebnis des Bürgerentscheids bindet die Gemeindeorgane auf drei Jahre.

Was passiert, wenn es in den beiden Kommunen zu unterschiedlichen Mehrheiten kommt?

Das ist möglich. Dann könnte jene Kommune, in der es eine Mehrheit für die Windkraft gibt, das Projekt auf ihrer Gemarkung am Weißen Stein verwirklichen, also Windräder errichten lassen.

Wie haben sich die beiden Bürgermeister positioniert?

Der Dossenheimer Rathauschef David Faulhaber (CDU) hat den Vorbereitungsprozess von Anfang an unterstützt, ja aktiv vorangetrieben. Sein Schriesheimer Amtskollege Christoph Oeldorf, der sich in seinem Bürgermeisterwahlkampf 2021 noch gegen Windkraft im Wald ausgesprochen hatte, beteiligte sich aktiv an dem Prozess, positionierte sich jedoch zunächst nicht öffentlich. Erst Anfang Oktober kündigte er öffentlich an, dass er mit Nein votieren werde.

Wie haben sich die politischen Kräfte positioniert?

In Dossenheim werben die großen politischen Parteien CDU, SPD und Grüne für ein Nein. Auch die Freien Wähler sind für ein Nein, geben aber keine explizite Empfehlung ab. Als einzige Partei wirbt die FDP für ein Ja. In Schriesheim plädieren CDU, Freie Wähler, die Bürgerlisten ISB und BgS sowie die AfD für ein Ja. Die FDP Schriesheim ist gespalten: Ihr Gemeinderatsmitglied wirbt für Ja, die Ortsvorsitzende für Nein. Von Anfang an für die Windkraftanlagen und daher für Nein beim Bürgerentscheid sind SPD, Grüne und Linke. Auch Alt-Bürgermeister Hansjörg Höfer (Grüne) positionierte sich eindeutig und wirbt öffentlich für ein Nein.

Plakat der Windkarft-Befürworter mit alt-Bürgermeister Hansjörg höfer (links oben) und Pfarrer Ronny Baier (2. Reihe von oben in der Mitte). © Energiewende

Gibt es Positionierungen in der Zivilgesellschaft?

Ja, überraschenderweise positionieren sich erstmals in Schriesheim und Dossenheim führende Repräsentanten der beiden christlichen Kirchen deutlich, und zwar pro Windkraft: Der katholische Pfarrer von Schriesheim, Ronny Baier, wirbt in einer Anzeige mit Gesicht, Namen und Amtsbezeichnung für ein Nein, im Schriesheimer Stadtteil Altenbach die evangelische Kirchengemeinde als Ganzes, ebenso wie der evangelische Pfarrer von Dossenheim.

Gibt es darüber hinaus Besonderheiten im Wahlkampf?

Ja, und zwar das Engagement von Jugendlichen in den letzten Tagen. Auslöser war eine Äußerung der Vorsitzenden des Vereins „Gegenwind“, Karin Reinhard, sie „finde es schwierig, dass Menschen, einseitig informiert, über ein so weitreichendes Thema abstimmen in einem Alter, in dem ihnen Lebenserfahrung noch fehlt“. Daraufhin produzierten Jugendliche ein zweieinhalbminütiges Video mit 20 Testimonials, in denen sie ihre Altersgenossen aufrufen, mit Nein zu stimmen. Bereits innerhalb der ersten beiden Tage wurde es auf Instagram 7.000 Mal angesehen.

Wie hat sich der Wahlkampf zum Bürgerentscheid entwickelt?

Anfangs galt bei Beobachtern als ausgemacht, dass der Bürgerentscheid gegen die Windkraft in Schriesheim eine klare Mehrheit findet, in Dossenheim jedoch eher nicht. In den zurückliegenden Wochen ist laut Beobachtern jedoch in beiden Gemeinden eine gewisse Dynamik eingetreten, und zwar jeweils in eine andere Richtung als bis dahin angenommen.

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Gibt es Erfahrungswerte, wie Bürgerentscheide zur Windkraft ausgehen?

Nach Information des Vereins „Mehr Demokratie“ gab es im ersten Halbjahr 2025 acht Abstimmungen zum Thema Windkraft. Viermal sagten die Bürger Ja zu solchen Anlagen, viermal Nein. Alleine im Juli votierten in Oberkirch und Remchingen 54 bzw. 66 Prozent gegen Windkraft-Anlagen, in Herrenberg jedoch 59 Prozent dafür. Diskussionen über Windräder gibt es in der Region aktuell rund um Dirmstein/Obersülzen (Kreis Bad Dürkheim). In Worms will das Unternehmen Renolit von Pionext vier Windräder für den eigenen Strombedarf bauen lassen. Der Wormser Stadtrat hat in einer Sondersitzung am Dienstag in der Standortfrage mit Mehrheit für einen Kompromiss votiert.

Gibt es Prognosen über den Ausgang?

Auf Ebene von Kommunen dieser Größe gibt es keine Meinungsumfragen. Aber es wird natürlich heftig spekuliert. Zum Beispiel auf Basis des Schriesheimer Bundestagswahlergebnisses vom März, dem letzten verlässlichen politischen Stimmungstest. Damals erreichten die Schriesheimer Parteien, die sich beim jetzigen Bürgerentscheid für ein Ja aussprechen (CDU, AfD), zusammen 45,7 Prozent, jene, die für ein Nein werben (SPD, Grüne, Linke) 41,4 Prozent. Schlägt man die damals 6,2 Prozent für die FDP hälftig jeder der beiden Gruppen zu, dann dürfte das Ergebnis durchaus knapp werden.

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