Schriesheim. Am Sonntag findet in Schriesheim und in Dossenheim ein Bürgerentscheid statt. Die Frage lautet, ob man gegen Windkraftanlagen auf den Gemeindeflächen im Wald ist. Im Vorfeld bringt der „MM“ Interviews mit den beiden konkurrierenden Initiativen: gestern „Gegenwind“, heute „Energiewende“. Diese ruft zu einem Nein bei der Abstimmung zum Verbot der Windkraftanlagen auf.
Unsere Gesprächspartner sind: Thomas Rinneberg, wohnhaft im Schriesheimer Stadtteil Altenbach, von Beruf Software Architekt, bislang politisch noch nicht hervorgetreten; Margrit Liedloff, früher beruflich in der Medizintechnik bei Johnson & Johnson tätig, politisch engagiert bei den Grünen und in der Initiative Gemeinsam für Demokratie Schriesheim.
Was halten Sie vom Bürgerentscheid und der Initiative „Gegenwind“, die ihn initiiert hat?
Rinneberg : Eigentlich haben wir beide die gleiche Motivation für unser Engagement, das billige ich „Gegenwind“ zu, nämlich dafür einzutreten, dass unsere Natur und unsere Lebensgrundlagen nicht kaputt gehen. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass wir uns auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützen. Für die Argumente der Gegenseite fehlen oftmals die notwendigen Zahlen, oder sie sind falsch.
Was treibt Sie beide, sich in der jetzigen Kampagne zu engagieren?
Liedloff : Auch wenn es etwas pathetisch klingt: Ich tue das für unsere Jugend. Damit auch die nachfolgenden Generationen eine lebenswerte Welt vorfinden.
Rinneberg : 2019 habe ich meine Töchter zur großen Klimademo von „Fridays for Future“ in Heidelberg begleitet, das war der Auslöser. Mir wurde klar: Es ist eigentlich schon zehn nach zwölf. Das hat mich dazu bewogen, mich mit der Thematik intensiv zu beschäftigen. Und ich kam zu dem Schluss: Die beste Möglichkeit, dem Klimawandel zu begegnen, sind die erneuerbaren Energien.
Und warum?
Rinneberg : Zunächst: Die allerbeste Möglichkeit ist natürlich, nicht mehr so verschwenderisch mit Energie umzugehen. Die Elektrifizierung ist dafür der größte Hebel. Für die Energie, die wir trotzdem brauchen, sollten wir Energieerzeugungsformen wählen, die ökologisch am sanftesten sind. Und das sind die erneuerbaren. Weit mehr als etwa Kohle, Atomkraft oder Erdöl.
Nun betonen die Windkraft-Gegner mit ihrem Slogan „Waldschutz ist Klimaschutz“, dass auch sie das Klima schützen und gerade deshalb den Wald erhalten wollen.
Liedloff : Auch wir lieben den Wald. Ich selbst bin mit meiner Familie oft dort unterwegs. Aber die größte Bedrohung des Waldes sind doch nicht Windräder, sondern der Klimawandel. Jährlich sterben in Deutschland 1.500 Quadratkilometer Wald ab. Wenn wir das stoppen wollen, müssen wir weniger CO₂ emittieren, also weniger Gas und Öl verbrauchen. Und das geht am besten mit Wind- und Sonnenenergie.
Rinneberg : Bei keiner Form der Energiegewinnung wird so viel Rücksicht auf den Wald genommen wie bei der Windenergie. Wo wurde denn beim Kohleabbau oder beim Bau von Atomkraftwerken Rücksicht auf die Umwelt genommen? Da wurde radikal abgeholzt.
Aber es bleibt bei einem Eingriff in den Wald.
Rinneberg : Ja, aber man muss das Verhältnis sehen. Für die geplanten vier Windräder wird je ein Hektar benötigt, das sind 0,2 Prozent der Fläche des Schriesheimer/Dossenheimer Waldes. Und von diesem einen Hektar wird nach Fertigstellung des Windrades und Aufhebung der Baustelle auch noch die Hälfte wieder renaturiert.
Ein Gegenargument der Windkraft-Gegner ist der Artenschutz.
Liedloff : Das ist aber eben kein Gegenargument. Es gibt sogar Erkenntnisse durch den Vergleich von Artenschutzgutachten, zum Beispiel im Unesco-Biosphärenreservat Südschwarzwald oder in der Eifelgemeinde Simmerath, wonach sich durch die begleitenden ökologischen Maßnahmen der Artenbestand sogar noch verbessert. Erneuerbare Energien bringen nicht weniger Artenschutz mit sich, sondern mehr.
Ein weiterer Einwand lautet, dass kein ökologisches Gutachten je dazu geführt hat, dass ein für Windkraft angedachter Standort ad acta gelegt wurde.
Liedloff : Aber das ist doch klar. Denn jeder Standort, der ökologisch abgeprüft wird, hat ja nicht ohne Grund bereits diesen Status erreicht. Er wurde ja bereits in Vorprüfungen als möglicher Standort ausgewählt. Beim Gutachten geht es nun um Details, also die begleitenden ökologischen Maßnahmen.
Und das bedeutet?
Rinneberg : Einerseits die Planung der genauen Standorte und außerdem konkrete Ausgleichsmaßnahmen, also Nistkästen, neue Nahrungsquellen und Biotope, Schutz von Habitat-Bäumen, mögliche Abschaltzeiten zum Schutz der Tiere, Installation von Überwachungskameras etc.
Ein Einwand besteht darin, dass der Ausgang des ökologischen Gutachtens dadurch vorbestimmt ist, dass es vom Investor in Auftrag gegeben und bezahlt wird.
Rinneberg : Dieser Einwand ist nicht stichhaltig. Zum einen hat der Investor doch selbst ein Interesse, dass das Gutachten nachprüfbar objektiven Maßstäben genügt. Denn es muss ja rechtssicher sein, falls es beklagt wird, was ja durchaus hin und wieder geschieht. Und auch der Gutachter selbst muss daran ein Interesse haben. Denn ansonsten bekommt er keine Aufträge mehr und ist beruflich erledigt.
Eine Befürchtung der Windkraftgegner besteht darin, dass es nicht bei den projektierten vier Anlagen bleibt; sie sprechen von möglichen 16.
Rinneberg : Dazu müsste zunächst der Gemeinderat beschließen, dass er weitere Anlagen weiter vorne Richtung Rheinebene möchte und dann in Verhandlungen mit der Flugsicherung Mannheim treten, damit diese zustimmt – beides ist aktuell eher unwahrscheinlich. Maximal vier weitere Anlagen auf Schriesheimer und Dossenheimer Gemarkung wären dadurch möglich. Und wenn dies passieren sollte, wird auch wieder eine Artenschutzprüfung erfolgen.
Liedloff : Auch wenn es dazu kommt, dann stünden dort nur acht und nicht 16. Selbst wenn sich Heidelberg entschließen sollte, auf dem Hohen Nistler, also auf Heidelberger Gemarkung ebenfalls Anlagen zu bauen, dann kommt man entlang der Bergstraße auf höchstens elf.
Ein weiterer Einwand der Windkraft-Gegner ist die Zuwegung. Für die riesigen Rotoren müssten breite Schneisen in den Wald geschlagen und die Wege versiegelt werden.
Rinneberg : Dieser Einwand ist nicht stichhaltig. Die meisten der benötigten Zufahrtswege bestehen bereits, sind asphaltiert und 4,50 Meter breit. Lediglich in den Kurven wird man in der Tat tätig werden müssen, aber dafür gibt es dann ja Ausgleichsmaßnahmen.
Eine Standort-Alternative, die die Windkraft-Gegner immer wieder nennen, ist die Fläche. So werde es in Norddeutschland gemacht.
Rinnenberg: Ja genau. Aber warum ist das so, dass in Norddeutschland oder der Pfalz Windräder in der Fläche stehen und bei uns nicht: Das liegt an der Physik. Auf Grund der Topografie bei uns in der Region fehlt vor den Odenwaldhängen der nötige Wind. Was die Windkraft-Gegner den von uns unterstützten Standorten immer vorwerfen, nämlich dass ihnen die notwendige Windhöffigkeit fehle, das ist in der Fläche genau der Fall.
Liedloff : Ein weiterer Punkt kommt hinzu: In der Fläche sind die Artenschutzaspekte oft noch weit kritischer als im Wald. Auch dort gibt es Vögel und Fledermäuse, die geschützt werden müssen. Wenn ein Uhu vom Steinbruch Dossenheim aus auf die Jagd geht, fliegt er hoch über der Ebene – genau da, wo die Rotoren wären.
Sie erwähnen in Ihrem Flyer auch die finanzielle Komponente für die Gemeinde.
Rinneberg : Im Haushalt einer Gemeinde ist der Großteil durch Gehälter, Schuldentilgung und unverzichtbaren Aufgaben fest gebunden. Hier würden die 200.000 bis 300.000 Euro aus den Windrädern schon einen spürbaren Anteil ausmachen. Ohne diese Einnahmen drohen einer Erhöhung der Grundsteuer und von Gebühren sowie Kürzungen bei den freiwilligen Leistungen. Und natürlich kein Geld für Bürgerbus, Hitzeschutz und Waldschutz.
Dem wird dann oft entgegengehalten, dass die Windenergie steuerlich hoch subventioniert sei.
Rinneberg: Windräder brauchen kaum Förderung. Zum Vergleich: Fossile Energien erhalten jährlich 60 Milliarden Euro Subventionen, alle Erneuerbaren zusammen nur 19 Milliarden, wovon nur ein Bruchteil in die Windkraft fließt. Ihr Strom wird an der Börse verkauft, nur bei sehr niedrigen Preisen greift das EEG. Auf den Odenwald-Höhen liegt der Ertrag bei 79 Prozent des Referenzertrages, sogar über dem deutschlandweiten Durchschnitt von 75 bis 77 Prozent, die Vergütung bei 9 bis 10 Cent pro Kilowattstunde.
Wie fällt Ihre Bilanz Ihrer Kampagne aus?
Liedloff : Wir waren jetzt acht Wochen draußen, an den Ständen, haben mit vielen Menschen gesprochen. Und viele teilten unsere Meinung, dass man die Sache zumindest prüfen sollte, also den Bürgerentscheid ablehnen.
Rinneberg : Es gab auch sehr viele Leute, die uns gedankt haben, dass wir uns so stark für diese Sache engagieren. Ich finde es toll, dass ich durch den Verein so viele Menschen kennengelernt habe, die sich ebenfalls einbringen wollten. Besonders der Zuspruch der Jugendlichen, gerade in den letzten Tagen, hat uns begeistert.
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