Schriesheim. Patrick Schmidt-Kühnle hat eine ganz gute Methode entwickelt, um die Teilnehmerzahl bei dieser Veranstaltung zu ermitteln. „100 Kerzen wurden ausgegeben“, berichtet der SPD-Stadtrat. In den hinteren Reihen reichten sie nur für jeden Zweiten und gar jeden Dritten. Es waren also um die 250 Menschen vor das Historische Rathaus gekommen, um an der Gedenkveranstaltung am Vorabend zum Jahrestag der Pogromnacht vom 9. November 1938 teilzunehmen.
Eine erfreuliche Resonanz auf jene Veranstaltung, die 2023 von dem ebenfalls damals entstandenen Verein „Gemeinsam für Demokratie“ ins Leben gerufen wurde und seither Tradition ist. Anlass für Demo und Vereinsgründung durch alle Parteien mit Ausnahme der AfD war das Bekanntwerden des Treffens rechter Kräfte in Potsdam, in dem eine Remigration propagiert wurde.
AfD-Erfolge besorgniserregend, aber sie sind zu stoppen
Doch auch, ja erst recht heute sei Engagement für die Demokratie notwendig. Da die laut Verfassungsschutz in Teilen gesichert verfassungsfeindliche AfD bei der jüngsten Bundestagswahl von zehn Millionen Menschen gewählt wurde und laut aktuellen Umfragen bei der nächsten sogar stärkste Partei werden könnte, wie Mitorganisatorin Margrit Liedloff erinnerte.
„Und doch“, so betonte die Grünen-Politikerin: „Gerade in solchen Zeiten dürfen wir uns von diesen Zahlen nicht entmutigen lassen.“ Die jüngsten Bürgermeisterwahlen in NRW und im Osten gäben Hoffnung. Selbst in ihrer Hochburg Brandenburg habe die AfD keinen einzigen der 14 zur Wahl stehenden Bürgermeisterposten errungen.
Dass im Schriesheimer Rathaus das Engagement des Demokratievereins volle Unterstützung findet, davon zeugte die engagierte Rede von Christoph Oeldorf. Der Bürgermeister gedachte der „Mitbürger jüdischen Glaubens“, aber auch der Sinti und Roma, die verfolgt und ermordet wurden und betonte: „Ja, Mitbürger, denn das Ganze geschah auch bei uns in Schriesheim.“
Den Namenlosen ihre Namen zurückgeben
Dass hinter den Opfern keine anonymen Zahlen stehen, sondern Schicksale, ja Menschen, das machten die Schüler Noah Lichtenstein und Marie-Lou Pfrönder deutlich (deren Mitschüler Friedrich und Lea die Veranstaltung übrigens musikalisch umrahmten). In ihrem zutiefst anrührenden Beitrag verlasen die Schüler des Kurpfalz-Gymnasiums die Namen der Schriesheimer Opfer des Holocaust. Es wurde eine erschreckend lange Liste.
„Dies gibt den Namenlosen ihre Namen zurück“, betonte Klaus Müller in seiner eindrucksvollen Rede: „Die Verteidigung der Demokratie beginnt mit einem Gedächtnis.“ Dabei zeigte sich der evangelische Theologieprofessor selbstkritisch. Der Holocaust stelle auch „christliche Schuldgeschichte“ dar. Denn was in der Pogromnacht geschah, „das hat man schon bei Luther lesen können“, formulierte er unter Hinweis auf die Aufforderung des Reformators, Synagogen zu zerstören.
Aus dem Geschehen zog Müller die Konsequenz: „Wegsehen ist nicht neutral, Schweigen ist Komplizenschaft.“ Die fünf Sinne machen noch nicht den Menschen, sondern erst ein weiterer, den Hannah Arendt mit dem wissenschaftlichen Begriff Empathie umschrieb: Menschlichkeit.
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