Rückblick

Scheitern des ersten Bürgerbegehrens in Schriesheim 1976

Am 9. November findet in Schriesheim der Bürgerentscheid über Windkraft statt. Das letzte Bürgerbegehren scheiterte vor 49 Jahren in einem frühen Stadium.

Von 
Konstantin Groß
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Das Alte Rathaus in der Bismarckstraße, wie es bis 1980 bestand. © Archiv

Schriesheim. Am 9. November ist es soweit: In Schriesheim (und übrigens auch in Dossenheim) findet ein Bürgerentscheid über Windkraft an der Bergstraße statt. Initiiert wurde er durch ein Bürgerbegehren der Windkraft-kritischen Initiative „Gegenwind“. Was nur wenige wissen: Bereits vor 49 Jahren gab es ein Bürgerbegehren, und zwar von Jugendlichen, die sich gegen den Abriss ihres Domizils, des Alten Rathauses in der Bismarckstraße, wandten. Doch damals scheiterte die Initiative, weil die ausreichende Zahl von Unterschriften für einen Bürgerentscheid nicht zusammenkam. Ein Rückblick auf dieses spannende Kapitel Schriesheimer Kommunalpolitik.

Was ist das Alte Rathaus?

Kenner Schriesheims wissen um den feinen Unterschied zwischen den beiden Bezeichnungen: Beim „Historischen Rathaus“ handelt es sich um das in seinem Kern aus dem Mittelalter stammende Gebäude in der Heidelberger Straße, das noch heute als Schmuckstück der Schriesheimer Altstadt besteht. Das „Alte Rathaus“ dagegen war eine Gründerzeit-Villa in der Bismarckstraße.

Diese wurde, wie die Jahreszahl in ihrem Giebel verkündete, 1894 erbaut. Zunächst war dort eine Apotheke untergebracht, bis ihr Eigentümer schräg gegenüber einen Neubau errichtete und seine Villa an die Stadt verkaufte. Diese nutzte das Gebäude als Rathaus. Als 1972 das Neue Rathaus am Festplatz bezogen wurde, zog die Verwaltung dorthin um; das Alte Rathaus stand leer.

Altes Rathaus wird zunächst Heimat des Jugendzentrums

Es war die Hoch-Zeit der Jugendzentren. Die Aktiven in Schriesheim, unter ihnen der spätere Bürgermeister Hansjörg Höfer, kamen nach ihrer Trennung von der evangelischen Kirchengemeinde im damals „Sporthaus“ genannten heutigen DRK-Heim unter. Im Bürgermeisterwahlkampf 1973 versprachen alle Parteien und Kandidaten, den Jugendlichen bessere Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen. Dementsprechend übergab Wahlsieger Peter Riehl den Jugendlichen nach seinem Amtsantritt 1974 das Alte Rathaus. Mit dem Trägerverein „Jugendzentrum in Selbstverwaltung“ e. V. schloss die Stadt einen Vertrag.

Das Alte Rathaus 1976 als Jugendzentrum, wie das Transparent über dem Haupteingang verkündet. © Archiv

1975 bezogen die Aktiven das Gebäude, renovierten, bauten es teilweise um. So wurde eine Mauer durchbrochen, um einen großen Saal zu schaffen. Er diente für Konzerte und die damals üblichen „Vollversammlungen“, bei denen der Vorstand des Trägervereins („Jugendrat“) den Mitgliedern einmal monatlich Rede und Antwort zu stehen hatte. Gespräche mit der Verwaltung und Gemeinderäten fanden bei gutem Wetter im Hof statt.

Dem Bürgermeister ist das JUZ ein Dorn im Auge

Allerdings waren die hiesigen Aktivitäten Riehl bald ein Dorn im Auge. Nicht nur, dass dort gefeiert und übernachtet wurde. Im März 1976 war das JUZ auch Zentrum der Proteste gegen den Besuch des CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß auf dem Mathaisemarkt.

Doch entscheidender als diese Vorfälle war für das Schicksal des Bauwerks, dass es Riehls Innenstadt-Konzept im Wege stand. Die Bismarckstraße sollte zu einer Geschäftsstraße ähnlich der Heidelberger Straße, erster Schritt dazu der Verkauf des Grundstücks des Alten Rathauses werden.

Riehl will das Grundstück verkaufen und dem JUZ kündigen

Im Oktober 1976 informierte Riehl die Jugendlichen von seiner Absicht. Doch die wollten nicht kampflos aufgeben. „Das ist unser Haus / Hier holt uns keiner raus“, lautete ihr Motto. Am Stadtbrunnen schlugen sie einen Infostand auf, sammelten Unterschriften gegen den Verkauf, gingen zu diesem Zweck auch von Haus zu Haus. Innerhalb von zehn Tagen hatten sie 800 beisammen.

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Im November 1976 fand die mit Spannung erwartete Gemeinderatssitzung statt, auf der der Verkauf des Grundstücks und die Kündigung des Vertrages für das JUZ auf der Tagesordnung standen. Der Andrang im Ratssaal war riesig, viele Jugendliche mussten stehen. Und das zwei Stunden lang. Denn Riehl zog, um sie zu ärgern, die letzten fünf Punkte der Tagesordnung vor, sodass ihr Thema erst nach 21 Uhr an die Reihe kam, was Riehl auch noch als pädagogische Maßnahme der staatsbürgerlichen Bildung verkaufte: „Nicht so schlecht, da könnt Ihr mal sehen, dass es auch noch andere Probleme gibt.“ Inhaltlich machte er seine Position klar: „Ich will eine Jugendgruppe, die nicht verdorben und versaut ist.“

Nur vier Räte der SPD und einer der CDU gegen den Verlauf

Die Diskussion dauerte eine Stunde. Der Gemeinderat bestand damals nur aus drei Fraktionen. Freie Wähler und CDU standen hinter Riehl, die SPD war gespalten. In der Abstimmung erhielt Riehl daher eine überwältigende Mehrheit von 21 Stimmen, lediglich vier Räte der SPD und der CDU-Mann Robert Lichter votierten dagegen.

Der Beschluss fand in der Presse ein starkes Echo. Kritisch äußerte sich der „MM“: „Schriesheims Gemeinderat und ihr Bürgermeister müssen von allen guten Geistern verlassen sein. In allen Kommunen im weiteren Rund würden die Verantwortlichen Freudensprünge unternehmen, wenn sie wie Schriesheim im Besitz eines rund 2.000 Quadratmeter großen Grundstücks im Kernbereich ihr Eigentum nennen könnten.“ Unterstützung erhielt Riehl dagegen am Tag darauf in der RNZ: Es müsse „klargestellt werden, dass die Stadtväter durchaus nicht von allen guten Geistern verlassen waren, zumal der Erlös ausschließlich einem sozialen Sanierungsprogramm in Gute kommen soll.“

Sparkasse und Raiffeisenbank wollen das Gelände haben

Im nicht-öffentlichen Teil der Sitzung wurde bereits beschlossen, den Verkaufspreis auf mindestens 320 D-Mark pro Quadratmeter festzusetzen. Bereits im Vorfeld hatten die Bezirkssparkasse Weinheim und die Raiffeisenbank Schriesheim Interesse an dem Grundstück bekundet; beide wollten aus ihren bisher beengten Verhältnissen heraus.

Beide gaben geheime Angebote ab: Die Sparkasse bot 505.000, die Raiffeisenbank 533.232 D-Mark, also bewusst eine weit höhere Summe, wollte sie doch auf jeden Fall aus ihrem bisherigen Domizil am Marktplatz (dem heutigen Kaffeehaus) heraus. Ende November gab der Gemeinderat denn auch ihr den Zuschlag. Erneut gab es eine breite Mehrheit, votierten 18 Räte dafür, dagegen nur drei von der SPD und wieder CDU-Mann Lichter.

Jugendliche initiieren Bürgerbegehren, scheitern aber

Doch noch immer wollten sich die Jugendlichen nicht geschlagen geben: Ihre Unterschriftenaktion bauten sie zu einem Bürgerbegehen gegen den Verkaufsbeschluss des Gemeinderates aus. Am 3. Dezember 1976 legten sie im Rathaus fristgerecht 1.244 Unterschriften für einen Bürgerentscheid vor.

Die Artikel von 1976 aus dem "MM"-Archiv zeugen von der dramatischen Entwicklung. © Konstantin Groß

Doch die vorgeschriebene Überprüfung der Unterschriften durch die Verwaltung ergab, das nach Abzug von Jugendlichen und Auswärtigen, die beide nicht abstimmungsberechtigt waren, lediglich 1.089 gültige übrig blieben - 110 weniger, als die vorgeschriebenen 15 Prozent der Wahlbevölkerung (also 1.199). Aus „rechtlichen Gründen“ lehnte der Gemeinderat im Januar 1977 auf Antrag Riehls das Ansinnen denn auch ab, und zwar einstimmig, also diesmal mit den Stimmen der Verkaufs-Kritiker aus SPD und CDU.

Jahrelang tut sich zunächst nichts auf dem Baugelände

Mit dem Kaufvertrag von 20. Januar 1977 ging das Areal in den Besitz der Raiffeisenbank über. Zwei Wochen später trat der dreiköpfige Vorstand des nun heimatlosen Trägervereins unter Leitung von Hansjörg Höfer zurück. Allerdings konnte er noch erreichen, dass der Mietvertrag zunächst bis Ende 1977, danach sogar noch einmal bis Ende 1978 verlängert wurde.

Denn bei dem Bauprojekt tat sich zunächst nichts. Als sich dies auch Ende 1979 noch nicht geändert hatte, wurde Riehl, der sich dafür krummgelegt hatte, sauer und wandte sich brieflich an die Raiffeisenbank, „ohne zunächst auf das Rückübertragungsrecht eingehen zu wollen“, wie er indirekt drohte. Denn die Bank hatte sich im Vertrag verpflichtet, „innerhalb von drei Jahren das Hauptgebäude abzureißen und mit dem Bau eines neuen Gebäudes zu beginnen.“ Andernfalls fiel das Grundstück an die Stadt zurück.

Die Drohung wirkte, jetzt machte sich die Bank an die Arbeit: Das Gebäude wurde abgerissen, der Neubau begann und wurde am 9. Oktober 1981 eingeweiht. Vom Alten Rathaus blieb nur der Sanstein-Giebel im Garten als Erinnerung an ein wunderschönes historisches Bauwerk und den gescheiterten Versuch demokratischer Mitbestimmung.

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