Schriesheim. Es ist 85 Jahre her. November 1937. Ein Freitag. Eine Maschine der Lufthansa ist auf dem Flug von Berlin nach Mannheim. Plötzlich, gegen 17 Uhr, ein lautes Krachen: Das Flugzeug stürzt mit voller Geschwindigkeit in den Berghang oberhalb von Schriesheim. Das bis dahin drittgrößte Unglück in der damals jungen deutschen Luftfahrtgeschichte. Zehn Menschen sterben, zwei überleben wie durch ein Wunder.
Dirk Hecht, der Leiter des Stadtarchivs Schriesheim, stößt vor mehr als zehn Jahren zufällig auf den Vorgang und beschreibt ihn in mehreren Aufsätzen. Es ist Luftverkehrsgeschichte, aber auch ein Stück Geschichte des Dritten Reiches. Denn an Bord ist auch ein jüdischer Kaufmann - mit all der Bedrängnis im Gepäck, der Juden ausgesetzt sind.
Für den Krieg entwickelt
Der Typ der Unglücksmaschine Heinkel (He)111 ist neu. Von diesem werden lediglich zwölf gebaut, und das auch nur als Deckmantel für die illegale Aufrüstung der Luftwaffe, sind Deutschland seit dem Versailler Vertrag doch Luftstreitkräfte verboten. Flugzeuge dieses Typs sind im Spanischen Bürgerkrieg auf Seiten der Faschisten und später im Weltkrieg im Einsatz. Der Unglücksflieger mit Namen „Köln“ ist eine der nur zwölf zivilen Maschinen.
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An jenem 12. November 1937 gehen in Berlin zehn Passagiere an Bord. Unter ihnen ein 21-jähriger Student, ein Verleger und ein Redakteur, der Mannheimer Kaufmann Eugen Wallenstädter sowie Max Kornbaum, 31 Jahre, Geschäftsführer des Kaufhauses „Merkur“ in Karlsruhe. Er ist zum Wareneinkauf in Berlin. Eigentlich will er noch weitere Städte besuchen, bucht dann aber doch kurzfristig diesen Flug nach Mannheim. Die Besatzung besteht aus zwei Personen: Flugzeugführer Friedrich Günther aus Potsdam, 33 Jahre und ein erfahrener Pilot, und Funkmaschinist Jakob Thaler aus Nürnberg, 38 Jahre, erst seit fünf Monaten auf diesem Posten.
Um 15.03 Uhr hebt die „Köln“ in Tempelhof ab. Es herrscht typisches Novemberwetter mit tiefhängenden Wolken. Bis Erfurt verläuft der Flug problemlos, danach verschlechtert sich die Sicht. Der Rand des Odenwalds mit seinen Gipfeln, teilweise um die 550 Meter hoch, liegt vollständig in den Wolken. Ein Flug auf Sicht ist nicht mehr möglich, jetzt kommt es auf die Instrumente an.
Entscheidende Frage: Wo ist der Odenwald?
„Die alles entscheidende Frage für den Piloten war“, berichtet Historiker Hecht, „ob das Flugzeug die Berge des Odenwalds schon hinter sich gelassen hatte oder ob es sich noch über dem Odenwald befand“. Für 16.57 Uhr ist der letzte Funkkontakt mit dem Flugplatz Mannheim überliefert. Offenbar gehen die Piloten davon aus, dass der sich bereits unter ihnen befindet - tragischer Fehler in der Positionsbestimmung.
Kurz danach fliegt die Maschine mit voller Geschwindigkeit von 430 Stundenkilometern gegen den Berg. Ihre Trümmer landen am Nordosthang des Weißen Steins. Der Rumpf des Flugzeugs wird hinter der Kabine abgeknickt, die Führerkanzel zertrümmert. Die Sitze werden aus ihren Befestigungen geschleudert - mit Ausnahme der zwei hinteren.
Die beiden Besatzungsmitglieder und acht Passagiere sterben, zwei überleben wie durch ein Wunder: der Ingenieur Walter Egeli aus Ludwigshafen und der Jäger Karl Dusberger aus Schwetzingen; dieser ist in Berlin, um an der Reichsjagdausstellung teilzunehmen. Dass er beim Rückflug am Leben bleibt, verdankt er nur seinem Tabakkonsum. Denn für Raucher sind in einem Verschlag ganz hinten zwei Sitze reserviert.
Beim Absturz befindet sich Dusberger dort in seiner Zigarettenpause. Er verliert das Bewusstsein und erwacht erst wieder, als die Taschenlampen dreier Waldarbeiter aus Wilhelmsfeld ihm ins Gesicht leuchten. Nach der Erstversorgung durch den Chefarzt aus dem nahen Stammberg wird er wie Egeli mit schweren inneren Verletzungen ins Universitätskrankenhaus Heidelberg transportiert. Gegen den Flugplatz Mannheim und die Lufthansa führt er mehrere Prozesse, die er jedoch verliert. Seinen Lebensabend verbringt er auf den Kanarischen Inseln, wo er mit über 90 Jahren stirbt. Bis zuletzt feiert er jeden 12. November als seinen „zweiten Geburtstag“.
Für jüdisches Opfer nur ein Tuch
Um die acht toten Passagiere und zwei Besatzungsmitglieder kümmert sich Leichenbeschauer Frank Erdmann - gegen Gebühr von jeweils 21,70 Reichsmark. Die Gebühr für den Juden Max Kornbaum ist um vier Reichsmark niedriger. Sein Leichnam wird nicht mit einem Sterbemantel bedeckt, sondern lediglich mit einem Leintuch nach Karlsruhe überführt und auf dem dortigen Jüdischen Friedhof bestattet.
Die Pogromnacht fast genau ein Jahr darauf und den Holocaust erleidet Kornbaum nicht mehr. Zum Zeitpunkt des Absturzes sieht er aber offenbar die Gefahren voraus: Nach Recherchen von Professor Joachim Maier plant er damals bereits die Ausreise seiner Familie. 1938 wird das Kaufhaus „arisiert“, seine Witwe Alice und der 1936 geborene Sohn Frank können im Juni 1939 fliehen.
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