Katharina von Siena, die mittelalterliche Gelehrte, überliefert uns die Erkenntnis: „Nicht der Beginn ist lobenswert, sondern das Durchhalten.“ Schon in diesem Sinne ausgesprochen lobenswert also ist, was sich am Freitagabend in Schriesheim ereignet: eine erneute große Kundgebung gegen Antisemitismus und Rechtsradikalismus und für die Demokratie.
Nach der Enthüllung des rechten „Remigration“-Treffens von Potsdam gab es viele solcher Kundgebungen, doch die Schriesheimer Initiative „Gemeinsam für Demokratie“ ist eine von wenigen bis heute aktiven im Umkreis. Aber hier ist das ja auch geboten angesichts des einzigen AfD-Stadtrats in den hiesigen Rhein-Neckar-Gemeinden und eines rechten Vereins, der wöchentlich seine kruden Thesen im Amtlichen Mitteilungsblatt verbreitet. Dass Judenhass vielerorts ein Problem ist, zeigen just am Vorabend die Ausschreitungen gegen israelische Fußballfans in Amsterdam.
Mehr als 250 Teilnehmer, allen voran Bürgermeister Oeldorf
Anlässe genug also für die Demonstration unter dem Motto „Nie wieder ist jetzt!“ Mit dabei: Bürgermeister Christoph Oeldorf, die Abgeordneten Alexander Föhr (Bundestag, CDU) und Fadime Tuncer (Landtag, Grüne), insgesamt gut 250 Menschen, wie Mitorganisator Patrick Schmidt-Kühnle anhand der ausgegebenen Kerzen sagen kann. Diese tauchen den Ort in eine ganz besondere Atmosphäre, ebenso wie das Bläser-Ensemble des Kurpfalz-Gymnasiums mit seinen wahrlich anrührenden Dvorak-Melodien.
Der Ort, das ist der Platz vor dem Historischen Rathaus. Dort, wo 86 Jahre zuvor von einem grölenden Mob das Inventar der Schriesheimer Synagoge verbrannt wurde, die sich ganz in der Nähe befand, wie Mit-Organisator Jan Brüning erinnert.
Bedrückend nicht nur für ihn, dass eine Partei seit kurzem stärkste Fraktion in deutschen Landtagen ist, deren Landesvorsitzender es als das „größte Problem“ ansieht, „dass Hitler als das absolut Böse dargestellt wird.“ Daran zu erinnern, wohin rechte Ideologien führen, sei daher aktueller denn je. Allerdings, so mahnt er selbstkritisch, dürfe die Erinnerungskultur „nicht mit erhobenem Zeigefinger“ erfolgen, nicht „in Ritualen erstarren“, müsse zeitgemäße Formen finden, um gerade Jugendliche anzusprechen. Erfolgreiche Beispiele kann er anführen.
Getragen wird die jetzige Demo von allen demokratischen Fraktionen im Gemeinderat, den beiden Kirchengemeinden, großen Vereinen wie TV, KSV und SV. Davon, dass diese Initiative, anders als zuweilen unterstellt, eben keine „linke Schlagseite“ hat, zeugen die Redner des Abends. So etwa Karl A. Lamers.
Der langjährige CDU-Bundestagsabgeordnete mahnt eindrucksvoll zum Kampf gegen Antisemitismus: „Gegen Intoleranz darf es keine Toleranz geben.“ Als Zeichen der Hoffnung sieht er, dass der Bundestag in dieser Woche trotz der aufgewühlten politischen Atmosphäre mit Stimmen aller demokratischen Fraktionen eine Resolution gegen Antisemitismus beschlossen hat. Der Rechtsextremismus müsse bekämpft werden, das Eintreten gegen Antisemitismus aber auch denen gelten, „die zu uns gezogen sind“.
Doch die Mahnungen des international erfahrenen Politikers greifen über den Antisemitismus hinaus: „Wir erleben eine Verrohung der Sprache auf der Straße, in Internet und – zumindest in den USA – auch in der Politik.“ Dem müsse entgegengewirkt werden: „Wenn die Sprache verroht, verroht die Politik.“ Und gefährdet die Demokratie. Schon jetzt stehe sie weltweit unter Druck, leben 71 Prozent der Weltbevölkerung unter undemokratischen Regimen: „Das sind 5,7 Milliarden Menschen!“ Lamers‘ Aufruf: „Lassen wir uns nicht einschüchtern.“
„Antisemitismus ist Sünde gegen Gott und die Menschheit“
Die Erinnerung an die Pogrome von 1938 sei eine „heilige Pflicht“, mahnt der Theologe Klaus Müller. Sie zu unterlassen, „würde bedeuten, die Opfer den Schergen ein zweites Mal auszuliefern“. Eine solche Erinnerung sei „das Einzige, was wir heute für die Opfer noch tun können“.
„Antisemitismus ist Sünde gegen Gott und die Menschheit“, zitiert er eine Kirchenerklärung von 1948. Um ihm entgegenzutreten, sei vor allem Herzenswärme notwendig: „Doch diese Herzenswärme schwindet“, beklagt der Geistliche, und das in vielen Bereichen: „Es gibt zwar noch ein Herz für Kaninchen, aber nicht für Bürgergeldempfänger oder für Menschen mit anderem Pass.“
Die jetzige Generation sei nicht verantwortlich für das, was geschah, aber dafür, dass es nie wieder geschieht, macht Müller klar. „Komm’ raus aus Deiner Teilnahmslosigkeit!“, lautet sein Aufruf. An diesem Abend wird er umgesetzt: „Im wahrsten Sinne des Wortes stehen wir heute hier für die Demokratie.“
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