Schriesheim. Einen derartigen Andrang hat der Sitzungssaal im Schriesheimer Rathaus seit vielen Jahren nicht erlebt. Sämtliche Plätze im Zuhörerbereich sind im Nu besetzt, aus dem angrenzenden Raum müssen weitere Stühle geholt werden, trotzdem stehen viele noch in der Tür zum Gang. Der Andrang hat seinen Grund: Auf der Tagesordnung des Technischen Ausschusses steht als Punkt 5 die geplante Flüchtlingsunterkunft im bisherigen Altenpflegeheim Edelstein.
Insgesamt sollen in dem bereits leergeräumten Gebäude durch den Landkreis 216 Geflüchtete untergebracht werden können. Zu diesem Zweck müssen die Zimmer in dem viergeschossigen historischen Bauwerk komplett umgebaut werden. Der Bauantrag für diesen Umbau ist denn auch der einzige Inhalt dessen, was nun auf der Tagesordnung steht.
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Doch als die Sitzung um 18 Uhr losgeht, da macht Bürgermeister Christoph Oeldorf eine überraschende Mitteilung: „Punkt 5 der Tagesordnung ist abgesetzt.“ Und dies in Absprache mit dem Landratsamt: „Wir sind übereingekommen, dass man an der einen oder anderen Stelle noch nacharbeiten muss“, begründet Oeldorf, präzisiert jedoch: „Nicht bei uns, nicht bei der Stadt.“
Doch es ist klar, dass die zahlreich wegen dieses Punktes erschienenen Bürger sich damit nicht abspeisen lassen. Obwohl das Thema von der Tagesordnung abgesetzt ist, stellen sie - höflich, aber bestimmt - die sie bewegenden Fragen. Und Oeldorf lässt sie des lieben Friedens willen auch zu, beantwortet sie sogar, allerdings fast immer mit Sätzen wie „Das kann ich Ihnen leider nicht sagen“ oder „Das weiß ich auch nicht“.
„Wir sind sehr enttäuscht, weil weder die Stadt noch das Landratsamt mit uns gesprochen haben“, beklagt Anwohner Karl-Heinz Schulz: „Wir haben das alles aus der Zeitung erfahren, dass da 216 Flüchtlinge reinkommen“, kritisiert der langjährige SPD-Stadtrat: „Wir haben nichts gegen Flüchtlinge“, versichert er: „Aber nicht in dieser Masse“, fügt er hinzu und verweist auf praktische Probleme wie die unzureichende Zahl der geplanten Duschen im Inneren und die fehlenden Spielflächen für Kinder im Außenbereich.
216 statt bisher 70 - wie geht das?
Einen ähnlichen Umstand benennt ein junger Mann, früher oft in diesem Haus als Therapeut tätig: „Die demenzkranken Menschen mussten dort raus, weil das Dach marode war“, erinnert er.„Und jetzt soll das Ganze wieder für die dreifache Anzahl von Menschen in Ordnung sein? Hat das Haus sich im letzten halben Jahr selbst geheilt?“ fragt er. Eine Frau hakt nach: „Wenn vorher der Platz für 70 Menschen zu gering war - wie kommt das Landratsamt dazu, jetzt die dreifache Menge an Menschen da reinzupacken?“
„Ich gehe davon aus, dass Baumaßnahmen vorgesehen sind“, antwortet Oeldorf: „Wir reden ja hier von einem Bauantrag“, verweist er auf den ursprünglichen Tagesordnungspunkt: „Nicht mehr und nicht weniger.“ Und er macht darauf aufmerksam, dass die Stadt baurechtlich über keine Einflussmöglichkeiten verfüge: „Die Arbeiten vollziehen sich im Inneren, außen verändert sich nichts, die Kubatur bleibt.“
Karl-Heinz Schulz sieht auch die Evangelische Kirche als Eigentümerin des Gebäudes in der Pflicht: „Wir werden jetzt an den Antragsteller gehen, und wir werden an die Kirche die Frage stellen, wieso sie menschenunwürdig Leute unterbringt“, geht er deren anwesenden Vertreter Thomas Rufer frontal an: „Geht‘s hier nur ums Geld oder was?“
„Wer bestimmt das letztendlich, wer ist der Entscheider?“, will eine Anwohnerin wissen. „Es gibt Bundes- und Landesgesetze, und die regeln die Verteilung der unterzubringenden Personen“, antwortet Oeldorf: „Der Rhein-Neckar-Kreis ist dann auch nichts Anderes als ein verlängerter Arm der Politik“, betont er: „Das werden wir hier in diesem Raum nicht wirklich entscheiden.“ Auch er selbst habe erst kurzfristig vor der Antragstellung davon erfahren, sagt er auf entsprechende Fragen. Oeldorf sichert jedoch zu, alle bei den Anwohnern aufgetretenen Fragen und Sorgen zu sammeln und sie an den Kreis schriftlich weiterzuleiten: „Das sind alles Fragen, die wir auch stellen werden.“ Bereits jetzt aber gebe es Gespräche zwischen Stadt und Kreis: „Sie gehen in die richtige Richtung.“ Und er deutet bereits eine mögliche Kompromisslösung an: in einer geringen Anzahl der hier Unterzubringenden.
Und Oeldorf versichert, die Bürger im weiteren Verlauf des Verfahrens umfassend zu informieren. Karl-Heinz Schulz jedoch zieht für sich bereits eine ernüchternde Bilanz: „Sagen Sie uns nicht mehr: Wir wollen Bürgerbeteiligung“, ruft er in Richtung der Stadträte: „Bürgerbeteiligung dürfen Sie bei uns nicht mehr bringen, da werden Sie ausgebuht.“ Und: „Wir haben fertig!“
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