Drama in Kabul

Ehemaliger Ladenburger Mostafa Nazari: Angst in der Hölle Kabul

Von 
Stefan Skolik
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Ein Hubschrauber der USA von Typ Chinook überfliegt die Stadt Kabul. © Rahmat Gul/AP/dpa

Seine Stimme klingt dünn und ängstlich, als er ans Telefon geht. Mostafa Nazari hat sich zuhause verkrochen, in seinem kleinen Zimmer im Westen von Kabul. Die Lage in Afghanistans Hauptstadt wird immer bedrohlicher, immer unsicherer, immer perspektivloser. Die Taliban sind in der Stadt. „Alle Menschen sind in Panik. Viele haben Angst und sind zuhause geblieben“, erzählt Mostafa Nazari.

Seit fast 20 Monaten sitzt der 27-Jährige nach seiner Abschiebung in Kabul fest, lebt in einem 7,5 Quadratmeter großen Zimmer und verliert immer mehr die Hoffnung. Im Januar 2020 war er bei einem Routinetermin auf dem Landratsamt in Heidelberg völlig überraschend festgenommen, in die Abschiebehaft nach Pforzheim gebracht und vier Tage später in den Abschiebe-Flug nach Kabul gepackt worden. Der Beginn seines Albtraums.

© Peter Jaschke

Denn Nazari war in Ladenburg voll integriert gewesen, hatte in seiner neuen Heimat bei Diringer & Scheidel als Straßen- und Rohrleitungsbauer gearbeitet und war bei den Ringern des ASV Ladenburg aktiv. 2016 war er zwar wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer zehnmonatigen Freiheitsstrafe mit zwei Jahren Bewährung verurteilt worden. Es kam zu einem Streit in einem Lager, bei Handgreiflichkeiten war Alkohol im Spiel. Doch Nazari hat danach seine Strafe verbüßt, alles vorbildlich abgeleistet, es kam nie wieder zu Vorfällen. Bei seinem damals verletzten Gegner hat er sich entschuldigt. In der Hölle Kabul muss Mostafa Nazari nun um sein Leben fürchten.

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Hilflos und ausgeliefert

„Draußen ist es gefährlich, für jeden im Moment“, erzählt der junge Mann, er traut sich nicht mehr auf die Straße. „Man hört Schüsse, es gibt Schießereien. Die Regierung ist weg, die Soldaten sind weg, das Polizeirevier ist leer“, fühlt er sich hilflos, wehrlos und den Taliban ausgeliefert. „Sie sind überall, man weiß nicht, was sie machen und was noch passiert“, sagt Nazari. Ihm bleibt nur noch das Abwarten: „Es ist schwierig, Pläne zu machen, wir müssen warten, bis die Gefechte aufhören, erst dann können wir raus.“

Dramatische Szenen

Seit Montagvormittag hat auch das Büro der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) geschlossen - Nazari arbeitet eigentlich für das Büro als Ausbildungsassistent. Als er nach einem Einkauf gegen 11 Uhr zur Arbeit kam, war das GIZ-Büro dicht. „Sie haben wegen der Sicherheitslage geschlossen“, weiß Nazari auch hier nicht, wie es weitergeht. Und ob es überhaupt weitergeht. „Ich habe keine Ahnung was jetzt passiert“, kann der 27-Jährige wieder nur reagieren, nicht mehr agieren.

Am Kabul International Airport, so erzählt er, sei es am Sonntag und Montag zu dramatischen Szenen gekommen. „Viele Menschen waren am Flughafen und wollten sich ausfliegen lassen. Es gab Warnschüsse, angeblich auch Schießereien und Verletzte“, sagt er. Für ihn selbst ist eine Flucht derzeit nicht denkbar. „Ich habe im Moment keine Möglichkeit zu fliehen“, sieht er sich durch die Taliban eingekesselt. Die einzige Chance für ihn: „Wenn die GIZ ihre Mitarbeiter evakuiert. Sonst komme ich hier nicht weg“, sagt Nazari.

Das tägliche Leben indes wird immer schwieriger. Mittels der sozialen Netzwerke versorgt sich Nazari mit aktuellen Nachrichten, die Lage bleibt ungewiss. Sicher ist lediglich, dass die Geschäfte nur noch sporadisch öffnen. „Am Sonntag hatten alle Läden zu, auch am Montag haben nur einige wenige aufgemacht“, berichtet Nazari und stellt fest: „Die Preise sind nach oben geschossen, seit die Taliban auf dem Vormarsch waren.“

Hilfe aus Deutschland erwartet Mostafa Nazari indes keine, zu gefährlich und verworren sei die Lage in Kabul. „Die Stadt ist völlig durcheinander“, sieht er keine Möglichkeit, auf irgendeine Weise Unterstützung zu erhalten.

Redaktion Editorenteam

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