Mannheim. An diesem Dienstag hat der Hauptausschuss des Gemeinderates ein wichtiges Thema der Erinnerungskultur auf der Tagesordnung: Es geht um die neuen Namen für vier Straßen in Rheinau-Süd, die bisher nach Exponenten des Kolonialismus benannt sind. Dass diese Namen weichen müssen, das ist seit langem Beschlusslage. Nun geht es darum, die neuen Namen zu finden.
Am 8. Februar vergangenen Jahres hatte der Gemeinderat bei nur zwei Gegenstimmen beschlossen, vier Straßen wegen der historischen Belastung ihrer Namenspaten (Theodor Leutwein, Adolf Lüderitz, Gustav Nachtigal und Sven Hedin) umzubenennen. Um neue Namen zu finden, wurde ein bislang einmaliges Verfahren gewählt: Die Bürger hatten die Möglichkeit, eigene Vorschläge zu unterbreiten.
235 Personen vorgeschlagen: Darunter Gelehrte und Aktivisten
235 Personen wurden genannt - und geprüft, ob sie den Kriterien genügen: also ob sie leicht zu schreiben und auszusprechen, nicht politisch belastet sowie „Forschungsreisende oder Repräsentanten des transkulturellen Austauschs“ sind, also in den Taufbezirk der Gegend passen.
An letzterem Kriterium scheiterte die Forderung der Siedlergemeinschaft Rheinau-Süd, auch Namen von Seen zuzulassen, die in der Umgebung bereits vorhanden sind. Die CDU-Gemeinderatsfraktion hatte diesen Wunsch aufgenommen und einen entsprechenden Antrag für den Gemeinderat gestellt.
In der Hauptausschuss-Sitzung vom Juni lehnte der damalige Oberbürgermeister Peter Kurz dies jedoch ab; dies konterkariere das vom Rat beschlossene Verfahren, das mit dem damals bereits abgeschlossenen Vorschlagsverfahren in vollem Gange war. Diesem Argument konnte sich CDU-Fraktionschef Claudius Kranz nicht verschließen und verzichtete daher darauf, seinen Antrag formal zur Abstimmung zu stellen.
Herausgekommen ist eine Liste von 18 Vorschlägen - eine Mischung aus Pfälzer Gelehrten und Weltreisenden, Wissenschaftlern und politischen Aktivisten. Der bekannteste Name auf dieser Liste ist zweifellos Marco Polo, der mittelalterliche Weltreisende, auch wenn inzwischen umstritten ist, ob seine Berichte vom sagenhaften Reich von Kublai Khan reale Erlebnisse sind.
Bekannt ist auch Dian Fossey. Die amerikanische Verhaltensforscherin engagierte sich in Afrika für den Schutz der vom Aussterben bedrohten Berggorillas, legte sich dabei auch mit brutalen Wilderern an. Dass sie von ihnen ermordet wurde, das hält sich als Verdacht, seitdem Fossey 1985 mit zertrümmertem Kopf in ihrem Forschungszentrum in Ruanda aufgefunden wurde.
Arbeitskreis Kolonoialgeschichte Mannheim nicht zufrieden
Ein dramatisches Schicksal hat auch Katarina Taikon. Nach einem Unfall lag sie bis zu ihrem Tode 14 Jahre lang im Koma. Da war sie in Schweden bereits eine bekannte Kinderbuchautorin, obwohl die Angehörige der Roma erst mit 26 Jahren Lesen und Schreiben lernte.
Unter den Vorschlägen sind auch vier der sieben, die der Arbeitskreis Kolonialgeschichte Mannheim unterbreitet und in Veranstaltungen vorgestellt hat: Kameruns Freiheitsheld Rudolf Duala Manga Bell, die kenianische Friedensnobelpreisträgerin Wangari Maathai, die südafrikanische Sängerin Miriam Makeba und der südwestafrikanische Freiheitskämpfer Jacob Marenga.
Folgende 18 Namen stehen zur Abstimmung
- Johann Heinrich Barth (1821-1865): Deutscher Afrikaforscher
- George Bass (1771-1803): Englischer Forscher mit Schwerpunkt Tasmanien und Australien
- Rudolf Duala Manga Bell (1873-1914): König der Duala in Kamerun, Opfer eines Justizmordes der deutschen Kolonialmacht
- Isabella Eberhardt (1877-1904): Schweizerisch-deutsche Wüstenreisende und Reiseschriftstellerin
- Dian Fossey (1932-85): Amerikanische Zoologin, Leiterin von Projekten zur Rettung von Berggorillas, in Ruanda ermordet
- Robert Gulik (1910-1967): Niederländischer Sinologe, Diplomat und Schriftsteller
- Jakob August Lorent (1813-84): In den USA geboren, in Mannheim aufgewachsen, Weltreisender, Pionier der Architekturfotografie
- Wangari Maathai (1940-2011): Kenianerin, Professorin für Biologie, Umweltaktivistin, 2004 Trägerin des Friedensnobelpreises
- Miriam Makeba (1932-2008): Südafrikanische Sängerin, Kämpferin gegen die Apartheid
- Jacob Marenga (1875-1907): Anführer des Herero-Aufstandes gegen die deutsche Kolonialherrschaft, in einem Gefecht gefallen
- Georg Balthasar Neumayer (1826-1909): Geboren in Kirchheim-Bolanden, gestorben in Neustadt an der Weinstraße, Polarforscher, Namensgeber von Forschungsstationen
- Carsten Niebuhr (1733-1815): Deutsch-dänischer Mathematiker, Kartograf, Forschungsreisender
- Ida Pfeiffer (1797-1858): Österreichische Reiseschriftstellerin mit Schwerpunkt Borneo
- Marco Polo (1254-1324): Legendärer Weltreisender aus Venedig
- Leonhard Rauwolf (1535-96): Botaniker, Entdeckungsreisender
- Philipp Franz Balthasar Siebold (1796-1866): Botaniker und Entdeckungsreisender (Japan)
- Georg Wilhelm Steller (1709-46): Arzt, Ethnologie, Naturforscher (Kamtschatka-Expedition)
- Katarina Taikon (1932-95): Schwedische Kinderbuchautorin mit Engagement für die Rechte der der Sinti und Roma, denen sie selbst angehört hat
Letzterer wurde von der Stadt jedoch nur mit Einschränkungen in die Liste aufgenommen. Denn er stehe „nicht für etwas Verbindendes zwischen den Kulturen“, begründet Stadtsprecher Julian Uhlenküken: „Bekannt ist er vor allem als anti-kolonialer Guerillakämpfer. Vor diesem gewaltvollen Hintergrund eignet er sich nicht als verdiente Person des transkulturellen Austauschs.“
Vorschläge nicht berücksichtigt
Drei der sieben Vorschläge des Arbeitskreises wurden überhaupt nicht berücksichtigt: die Schwarzen Deutschen May Ayim und Theodor Wonja Michael sowie Anna Mungunda; die 27-Jährige wurde 1959 in Windhoek von der Polizei erschossen, als sie dagegen demonstrierte, dass Schwarze nur in bestimmten Vororten wohnen sollten. Sie wurde in der Vorschlagsliste nicht berücksichtigt, „da ihr Wirken nicht im Zusammenhang eines transkulturellen Austauschs zu sehen ist“, begründet die Stadt, fügt aber hinzu, „was ihren Einsatz für die Verwirklichung gleicher Rechte für alle Menschen nicht schmälern soll.“
Theodor Wonja Michael, der als Kind in „Menschen-Zoos“ der Nazis auftreten musste, später Beamter im Bundesnachrichtendienst und mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt wurde, fehlt in der Liste, da seit seinem Tode 2019 noch keine fünf Jahren vergangen sind. Diese Wartefrist werde für Ehrungen dieser Art „in der Regel empfohlen“, so die Stadt.
Kommt May Ayim noch dazu?
Auf der Liste fehlt auch May Ayim (1960-1996), Gründerin der Initiative „Schwarze Deutsche und Schwarze in Deutschland“. In einem Schreiben an den Oberbürgermeister forderte der Arbeitskreis, dass May Ayim doch noch berücksichtigt wird. Ihr Name sei problemlos aussprechbar, und als Tochter von Eltern aus Ghana und Deutschland verkörpere sie in besonderem Maße das Kriterium „Person des transkulturellen Austauschs“. In Berlin ist bereits eine Straße nach ihr benannt.
In diesem Falle zeigt sich die Stadt gesprächsbereit. „Die Aufnahme May Ayims in die Vorschlagsliste wird auf Grund ihrer Verdienste um den transkulturellen Austausch geprüft“, erläutert Stadtsprecher Uhlenküken: „Bei positiver Prüfung wird May Ayim in die Vorschlagsliste aufgenommen.“ In der anstehenden Sitzung des Hauptausschusses fordert die Linke schon jetzt, ihren Namen zu berücksichtigen.
Bald darf abgestimmt werden
Wenig Erfolgsaussicht hat in der Sitzung dagegen der Antrag der AfD, wonach nur die Anwohner über die neuen Straßennamen entscheiden sollen. Dieses Vorgehen würde nämlich dem Grundsatzbeschluss zum Verfahren widersprechen.
Wie die Stadt mitteilt, soll die stadtweite Abstimmung Ende 2023/Anfang 2024 erfolgen, und zwar sowohl postalisch wie auch online. Jede/r ab 16 Jahren kann dabei vier Vorschläge ankreuzen - so viele, wie Straßen neu zu benennen sind. Liegt das Ergebnis vor, dann gibt der örtliche Bezirksbeirat Rheinau eine Stellungnahme ab, die Entscheidung fällt der Gemeinderat.
Erklärtes Ziel dabei ist es, dass die Hälfte der neuen Namenspaten, also zwei, weiblich sind. Und danach muss aber auch noch festgelegt werden, welche der vier Straßen welchen der vier neuen Namen erhält.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Keine Straßennamen für Rassisten