Mannheim. Der Nachmittag im Ratssaal. Die Tagesordnung wird routiniert abgearbeitet: Kultur- und Sportzentrum Wallstadt, Änderung der Schulbezirke, Schulordnung der Musikschule. Dann Tagesordnungspunkt 12: „Umgang mit Straßennamen nach ihren historischen Gehalten“ lautet der etwas kryptische Titel. Und man spürt die Spannung, die aufkommt. Immerhin steht eine für die Stadtgeschichte historische Entscheidung an: Erstmals sollen mehrere Straßen in einem Quartier umbenannt werden – die Leutwein-, Lüderitz- und Nachtigal-Straße sowie der Sven-Hedin-Weg in Rheinau-Süd.
Dem angemessen, ergreift der Oberbürgermeister eingangs ausführlich das Wort. Und dabei wirkt Peter Kurz noch ernster als ohnehin schon in diesen schwierigen Tagen. „Ein Abwägungs- und Differenzierungsraum steht hier nicht zur Verfügung“, vertritt der Rathaus-Chef offensiv die Umbenennung und verweist auf die Vita der Namenspaten: „Sie sind geehrt worden für eine Leistung, von der wir wissen, dass diese Leistung im Kern aus Ausbeutung und schwersten Menschenrechtsverstößen bestand.“ Das Weiterbestehen dieser Namen sei „eine Zumutung für die gesamte Stadtgesellschaft“, die enden müsse.
Man spürt: Für Kurz ist das nicht nur politische Argumentation, sondern moralisches Bekenntnis. Zu Äußerungen, die ihm relativierend erscheinen, zeigt er wenig Gleichmut. Etwa beim Redebeitrag von Birgit Reinemund. Die Fraktionsvorsitzende der FDP weist auf einen interessanten Punkt hin: „Es gibt keinen expliziten Grundsatzbeschluss, dass wir umbenennen.“ Die Verwaltung beantrage lediglich Zusatzschilder, die eine solche Umbenennung ankündigen, ein Prozedere für die Findung neuer Namen und eine Möglichkeit für Kostenerstattungen.
Auch die FDP stimmt jetzt zu
Gerade deshalb geschickt, wie ein Stadtrat die Vorlage später kommentiert. Denn dadurch macht sie für die bislang ablehnende FDP eine Zustimmung möglich, ja nahezu zwingend – wer will schon Bürgerbeteiligung und Kostenerstattung ablehnen? „Wir stimmen dieser Vorlage zu, zwar nicht mit Hurra“, sagt Reinemund unter Hinweis auf die Ablehnung vor Ort.
Den Gegenpol bildet Gerhard Fontagnier. Der Grüne ist ein Motor der jetzigen Entwicklung, dafür anfangs belächelt, nicht selten angefeindet. Und so nimmt man ihm ab, wenn er im Namen seiner Fraktion bekennt: „Wir sind sehr zufrieden.“ Straßennamen in dieser Stadt zu haben, sei eine besondere Ehre, formuliert Fontagnier ein zentrales Argument: „Leutwein, Lüderitz und Nachtigal haben sie nicht verdient.“
Ganz anders sieht das alleine die AfD. „Mit der nahezu einhelligen Ablehnung der Siedler gehen wir konform“, formuliert deren Fraktionschef Bernd Siegholt. Sogar erläuternde Zusatzschilder lehnt er ab, „weil die Dinge anführen, die nach allen Recherchen, die man im Internet vornehmen kann, überhaupt nicht zutreffen.“ Ja, es gebe zwar die Gutachten: „Aber wenn Sie ins Internet gehen, lesen Sie ganz andere Dinge“, formuliert Siegholt unter lautem Gelächter des Gremiums.
Ganz anders befasst sich Thorsten Riehle mit dem Internet, konkret den Kommentaren des Inhalts „Haben die denn nichts Besseres zu tun?“ „Natürlich haben wir Besseres zu tun“, kontert der SPD-Fraktionschef: „Aber wir haben auch das zu tun, was wir heute machen.“ In Rheinau-Süd beginne ein Prozess, der „an ganz vielen anderen Stellen“ der Stadt fortgesetzt werden müsse, sowohl mit Straßennamen als auch mit Denkmälern.
AfD bleibt ablehnend
Im Gremium herrscht darüber offensichtlich große Einigkeit. Der zentrale Antrag, jener zur Aufstellung der Schilder zur Ankündigung der Umbenennung, erhält eine breite Mehrheit – von den Fraktionen von Grünen, SPD, CDU, Mannheimer Liste, Linken und FDP. In dem 49-köpfigen Gremium gibt es nur drei Enthaltungen sowie zwei Gegenstimmen – aus den Reihen der AfD. Ergänzungsanträge mehrerer Fraktionen werden zurückgezogen, nachdem die Verwaltung sie berücksichtigt. Etwa beim Modus der Abstimmung über die künftigen Namen. „Das Meinungsbild wird so erhoben, dass eine Auswertung nach Stadtteilen möglich ist“, heißt es nun auf Anregung der SPD: „Stadtteil ist dann Rheinau-Süd, da kann man dann ablesen, wie das Votum hier war“, erläutert der OB.
Kostenerstattung wird geprüft
Thema Kostenerstattung: Hier will sich Kurz noch nicht festlegen, auch weil dies Präzedenzcharakter für andere Fälle habe. Und so wird sein Vorschlag beschlossen: „Die Verwaltung wird beauftragt, zusammen mit den neuen Namen die wesentlichen Grundsätze und Kriterien für eine Billigkeitsleistung vorzulegen.“
Nur einmal lässt das ernste Thema einen Moment des Humors zu, in dem sich die Anspannung Luft machen kann: als Fontagnier darum bittet, dass auf den Zusatzschildern „die Texte auch leicht verständlich sind – das ist auf der Rheinau ganz besonders wichtig.“ Natürlich meint er das nicht so, wie es rüberkommen könnte. Doch der Oberbürgermeister erkennt das Potenzial zum Missverständnis und fügt schmunzelnd unter dem Gelächter des Gremiums hinzu: „Wir sind uns einig, dass das in allen Stadtteilen angemessen ist.“
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