Mannheim. Mitte vergangener Woche bekamen die Einwohner von Rheinau-Süd Post von der Stadt. Ausgetragen wurde eine Wurfsendung mit drei Seiten voller Informationen über die anstehende Änderung von vier historisch belasteten Straßennamen. Die von der Verwaltung versprochene Bürgerbeteiligung hat also begonnen.
Im Februar hatte der Gemeinderat mit breiter Mehrheit beschlossen – nur zwei der 49 Mitglieder waren dagegen –, die Gustav-Nachtigal-, die Leutwein- und die Lüderitzstraße sowie den Sven-Hedin-Weg umzubenennen. Um die neuen Namen zu finden, wird ein aufwendiges Beteiligungsverfahren aufgelegt.
Projekt „Straßennamen“
- Ziel ist es, neue Namen für die Gustav-Nachtigal-, die Leutwein- und die Lüderitzstraße sowie den Sven-Hedin-Weg in Rheinau-Süd zu finden.
- Jeder Bürger/jede Bürgerin kann Vorschläge unterbreiten – online unter www.mannheim-gemeinsam-gestalten.de/namensvorschlaege-rheinau-sued oder postalisch an: Stadt Mannheim, Fachbereich Geoinformation und Stadtplanung, Glücksteinallee 11, 68 163 Mannheim.
- Abgabeschluss: 15. Mai.
Seit dem Wochenende sind daher alle Bürger Mannheims aufgerufen, ihre Namensvorschläge zu unterbreiten. Das Schreiben der Stadt an die Bevölkerung von Rheinau-Süd gibt dafür Hinweise, die aber natürlich für alle Mannheimer gelten.
Die offensichtlichste Vorgabe ist: Namen, die schon bestehenden ähneln, scheiden von vorneherein aus. Dabei wird der Begriff Ähnlichkeit sehr eng gefasst: Ein Hans-Müller-Weg ist nicht mehr möglich, sofern es bereits einen Peter-Müller-Weg gibt. Weitere formale Vorgaben sind die einfache Lesbarkeit ohne zu viele Sonderzeichen (Accents etc.) und die Länge (höchstens 25 Zeichen). Lebende Personen dürfen prinzipiell nicht vorgeschlagen werden, und verstorbene nur, wenn ihr Tod mindestens fünf Jahre zurückliegt. Vor allem: „Personen dürfen, unabhängig von ihren Verdiensten auf dem geehrten Gebiet, in rückblickender Gesamtschau auf ihr Leben nicht generell unwürdig sein“, heißt es in dem Schreiben der Stadt. Denn, so betont sie: „Straßenbenennungen sind eine Ehre für diese Person.“
Eine weitere Vorgabe: „Der Name soll dem Taufbezirk (Gebiet mit thematisch einheitlichen Benennungen) entsprechen.“ Bislang ist der betreffende Bereich in Rheinau-Süd Naturforschern vorbehalten.
Siedler wünschen sich Seen
Dieser Vorgabe entsprechen die Vorschläge der örtlichen Siedlergemeinschaft, die eine Umbenennung bis zuletzt abgelehnt hat, sich nun aber in die Suche nach neuen Namen konstruktiv einbringen will. Die von ihr vorgeschlagenen Personen stammen zumeist aus dem 18. und 19. Jahrhundert und haben im weitesten Sinne einen Bezug zur Pfalz.
Um sicher zu gehen, „dass auch nachträglich nichts moralisch Belastendes aus der Vergangenheit zu Tage tritt“, wie Vorsitzender Hans Held betont, bringt er einen zweiten Bereich ins Spiel: Seen, die sich an entsprechend benannte Straßen im Quartier anlehnen. Darunter Wolfgangsee, aber auch Bodensee.
Der Arbeitskreis Kolonialgeschichte wiederum will jene sieben Vorschläge einbringen, die er bereits 2021 erarbeitet und veröffentlicht hat. Darunter sind die südafrikanische Sängerin Miriam Makeba und die kenianische Friedensnobelpreisträgerin Wangari Muta Maathai.
Auch Einzelpersonen gefragt
Doch nicht nur Organisationen können Vorschläge machen, auch jeder Bürger. Einige haben das bereits getan. Harald Baumann etwa, ein seit langem historisch interessierter und engagierter Lindenhöfer. In einem Schreiben an Oberbürgermeister Peter Kurz schlägt er zwei Personen vor: Berta Oberle und Joseph Keller.
Berta Oberle habe 1916 „als erste Frau in Baden, möglicherweise in ganz Deutschland“, einen Führerschein für Lkw gemacht. Damit sei sie für die Rheinische Gummi- und Celluloid-Fabrik zwischen deren Werken in Neckarau und Rheinau unterwegs gewesen. Ihr Name hätte also lokalen Bezug und würde zwei Defizite bei Straßennamen aufgreifen: Frau und Arbeiterstand.
Der Ingenieur Joseph Keller hatte bereits einmal „seine“ Straße, und dies seit 1919. Seit der Umbenennung von 2001 heißt sie jedoch „Am Victoria-Turm“ – gemäß dem dortigen stadtbildprägenden Gebäude der gleichnamigen Versicherung.
Die Möglichkeit, Namen vorzuschlagen, besteht noch bis 15. Mai. Danach prüft die Verwaltung, ob die Vorschläge den geltenden Kriterien für Straßennamen entsprechen. Wie lange das dauert, das hängt von den Vorschlägen ab. Auch externe Experten sollen hinzugezogen werden, um gerade bei Personennamen historische „Minen“ zu vermeiden.
Die Namen, die diese Prüfung überstehen, werden allen Mannheimern zur Abstimmung vorgelegt. Auch diese kann dann entweder online über die Internetseite der Stadt oder postalisch erfolgen. Das Abstimmungsergebnis wird so dargestellt, dass sichtbar ist, wie welcher Stadtteil abgestimmt hat. Am Gemeinderat ist es, die Entscheidung über die neuen Namen zu treffen.
In zwei Jahren soll das Verfahren abgeschlossen sein. Doch auch in dieser Zeit bleiben die belasteten Straßennamen nicht unverändert. Mitte Juni werden sie durch Hinweisschilder ergänzt. Neben Angaben zu den Vergehen der einzelnen Personen heißt es auf den neun mal 18 Zentimeter großen Schildern gleichlautend: „Diese Ehrung entspricht nicht mehr den heutigen Wertevorstellungen, eine Umbenennung ist vorgesehen.“
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Neue Straßennamen: Bürgerbeteiligung hat auch Fallstricke