Mannheim. Polizisten, die ihre Dienstwaffe ziehen und abdrücken - in Mannheim ist das eher selten. Das hat eine „MM“-Anfrage ans Polizeipräsidium Mannheim zur Häufigkeit des Schusswaffengebrauchs ergeben. Das Fazit: 13 Mal haben Beamte und Beamtinnen in der Quadratestadt in den Jahren 2022, 2021 und 2020 einen Schuss auf Mensch oder Tier abgefeuert. In fünf Fällen war die Waffe gegen eine Person gerichtet.
Wie bei einem Einsatz auf dem Waldhof im Mai 2022: Eine Nachbarin hatte die Polizei am 10. Mai gerufen, wegen eines Streits zwischen Mutter und Sohn. Dabei droht der 31-Jährige damit, sich umzubringen, und fügt sich mehrere Schnitte mit einem Küchenmesser zu, das er sich auch an den Hals hält. Weil Schreie aus der Wohnung dringen, brechen die Polizisten die Wohnungstür auf. Laut Landeskriminalamt und Staatsanwaltschaft versuchen die Beamten den 31-Jährigen noch zu beruhigen, fordern ihn mehrfach auf, das Messer wegzulegen.
Aber auch auf Pfefferspray reagiert der Mann nicht, lässt sich erst durch einen gezielten Schuss ins Bein stoppen. Trotz Reanimation stirbt der Mann vor Ort. Später ergibt die Obduktion: Der Mann im psychischen Ausnahmezustand ist an Herz-Kreislauf-Versagen und hohen Blutverlust durch selbstzugefügte Schnitte gestorben - die Schüsse sind nicht Todesursache. Wann aber dürfen Ordnungshüter ihre Schusswaffe benutzen, wer wird dabei wie oft oder sogar tödlich verletzt und was sind das für Situationen, in denen Beamte offenbar keinen anderen Ausweg mehr sehen, als abzudrücken?
Zuletzt bewegte eine tödlicher Polizeieinsatz auf der Schönau die Menschen in und über Mannheim hinaus: Ertekin Ö. verstarb am 23. Dezember 2023 nach Polizeischüssen bei einem Einsatz auf der Schönau. Nach Behördenangaben rief Ertekin Ö. um die Mittagszeit den Notruf und teilte mit, in seiner Wohnung - genau genommen soll es die seiner Mutter sein - in der Johann-Schütte-Straße liege eine tote Person. Ertekin Ö. war nach Angaben der Polizei mit gezogenem Messer auf die Beamten zugegangen.

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Abdrücken als letztes Mittel
Laut Innenministerium Baden Württemberg ist der Schusswaffengebrauch durch die Polizei nur innerhalb der engen Grenzen des Polizeigesetzes zulässig und dürfe nur als Ultima Ratio zur Anwendung kommen. Polizeibeamte müssten „das jeweils mildeste zur Verfügung stehende Mittel“ einsetzen. Ein wahrscheinlich tödlicher Schuss ist laut Polizeigesetz nur erlaubt, „wenn er das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Lebensgefahr oder der gegenwärtigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ist“. Ein Blick auf die Fälle in der Quadratestadt zeigt: Vielen Einsätzen gemein ist, dass dabei Polizisten selbst zur Zielscheibe geworden sind.
Im Jahr 2019 etwa feuern Beamte in zwei Fällen Schüsse ab. Den ersten Anfang Februar, den die Staatsanwaltschaft so beschreibt: Wegen eines Randalierers wird in der Nacht auf Samstag eine Streife zu den Spinelli Barracks gerufen. Die Beamten treffen auf einen alkoholisierten Tunesier und Asylbewerber, der sie mit zwei Messern in der Hand bedroht. Eingesetztes Pfefferspray zeigt keine Wirkung, der 31-Jährige stürmt auf eine Polizistin zu. Ihr Kollege feuert einen Schuss ab, verfehlt den Mann. Der flüchtet, wird später verhaftet.
Nur drei Monate später ereignet sich der einzige tödliche Schuss in Mannheim in den vergangenen drei Jahren. Das Ermittlungsverfahren gegen die Beamten wird später eingestellt. Denn die Staatsanwaltschaft stellt fest: Die Einsatzkräfte haben in Notwehr gehandelt, sich dabei innerhalb des Polizeigesetzes bewegt. Der Fall: Die Streife wird mit dem Rettungsdienst kurz vor Weihnachten zu einem Einsatz in eine Wohnung auf dem Waldhof gerufen. Die Sanitäterinnen überprüfen den Blutzuckerspiegel eines 44-Jährigen, der sich in einem psychisch angespannten Zustand befindet. Nach einem Gang in die Küche kehrt der Mann plötzlich mit einem Messer zurück, bedroht Sanitäter sowie Polizisten.
Als die ihre Pistolen ziehen, schneidet sich der Mann in den Hals, läuft mit erhobenen Messer auf sie zu. Ein Streifschuss in den Oberschenkel stoppt ihn nicht, ein weiterer Schuss in den Oberkörper ist später tödlich. Trotz Reanimation stirbt der Mann im Krankenhaus. 2020 fallen erneut nur zwei Mal Schüsse: Im Februar attackiert ein psychisch labiler 41-Jähriger, bewaffnet mit einem Beil, ein Polizeiauto. Zuvor hatte der Mann in der Nähe des Rhein-Neckar-Zentrums andere damit bedroht, die Polizei fahndet nach ihm. Eine Streife erkennt den Gesuchten auf der Mannheimer Straße, hält an. Der Mann attackiert daraufhin das Auto, zerschlägt mit dem Beil die Scheibe des Wagens, versucht, auf den Beamten im Inneren einzuhacken. Weil Pfefferspray ihn nicht stoppt, schießt der Polizist zwei Mal, verletzt den Angreifer. Der 41-Jährige kommt später in eine psychiatrische Klinik.
Oft Schüsse bei Einsatz mit Tieren
Ebenfalls verletzt wird ein Autofahrer Mitte Juli, als der unvermittelt einen Feuerwehrmann sowie einen Polizisten versucht anzufahren. Weil das Auto auf ihn zurast, drückt der Polizist mehrmals ab, der Fahrer wird später verhaftet. Ist die Anzahl solcher Vorfälle im Vergleich zu anderen Polizeipräsidien selten oder häufig? Während 2020 in Mannheim zwei Mal auf Menschen geschossen wurde, waren es im gesamten Südwesten 13 Fälle, dabei wurden acht verletzt, drei starben.
Am häufigsten fallen Schüsse im Einsatz mit Tieren: Fast vier Mal täglich schießt im Südwesten im Schnitt irgendwo ein Polizist, um ein gefährliches, krankes oder verletztes Tier zu töten. Das spiegelt sich in Mannheim wider: Während 2021 kein einziger Schuss gefallen ist, wurde 2020 vier Mal auf Tiere geschossen. Etwa, um sie nach einem Wildunfall zu erlösen.
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