Sucht

Wie in Mannheim gegen die Glücksspielsucht gekämpft wird

Für Betroffene endet die Abhängigkeit oft im finanziellen Ruin. Zum bundesweiten Aktionstag gegen Glücksspielsucht spricht in Mannheim ein ehemaliger Spieler über seine Erfahrungen. Wo Süchtige in Mannheim Hilfe bekommen

Von 
Waltraud Kirsch-Mayer
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Onlineglücksspiele sind mittlerweile an den in Hallen aufgestellten Automaten vorbeigezogen – doch auch hier lockt die Chance auf den Jackpot. © Peter Endig/dpa

Mannheim. „Ich bin seit dem 12. Oktober 2023 spielfrei.“ Aber noch immer tauchen in den Träumen von Dirk S. jene Automaten auf, deren Soundtrack verwoben mit blinkenden Lichteffekten ihn 17 Jahre lang „triggerten“, wie er es formuliert.

Bei einem Pressegespräch mit Blick auf den bundesweiten Aktionstag gegen Glücksspielsucht am 25. September schildert der Mittfünfziger, wie es dazu kam, dass eine Spielothek zu seinem zweiten Wohnzimmer wurde und wie er um die 100 000 Euro verspielte.

Rund 18 000 Mannheimer zeigen Anzeichen einer Glücksspielstörung

Der Mediziner Peter Schäfer weiß als Leiter des Jugend- und Gesundheitsamtes nur zu gut, dass die Bekämpfung der Glücksspielsucht ungewöhnlicher Wege bedarf. Beispielsweise mit aufklärenden Auftritten in sozialen Medien oder mit einem Theaterstück, bei dem Betroffene auf der Bühne stehen. Schäfer nennt Zahlen: In Mannheim sollen sich bei rund 18 000 Männern und Frauen erste Symptome einer Glücksspielstörung zeigen, die sich schätzungsweise bei 40 Prozent manifestiert haben.

Die Suchtberatung ist in Mannheim an mehreren Stellen möglich:

  • Fachstelle Sucht bw-lv: Moltkestraße 2 (5.OG), Telefon: 0621/84 25 06 80. E-Mail: fs-mannheim@bw-lv.de
  • Suchtberatung beim Caritasverband und dem Diakonischen Werk: D 7, 5, Telefon: 0621/12 50 61 30 oder 0621/12 50 62 92. E-Mail: suchtberatung@cv-dw-mannheim.de wam

Dass die Sucht „schleichend“ kam, hat Dirk S. erst im Rückblick begriffen. „Bei mir hat es zwei, drei Jahre gedauert.“ Dass er eines Tages nicht mehr Herr seines Verstandes war, merkte der damals arbeitslose Pfleger daran, dass er gefasste Entschlüsse, mit dem Automatenspiel aufzuhören, allenfalls vier bis fünf Tage durchzuhalten vermochte - „dann bin ich doch wieder in meine Spielothek“, wo er als Stammkunde galt. Heute erklärt er: „Stammkunden das sind zu 99,9 Prozent Spielsüchtige - wie ich damals.“ An manchen Tagen habe er von morgens neun Uhr bis um Mitternacht vor Automaten gesessen, weil er den Jackpot knacken wollte - „ein Kick, der geradezu berauschte“.

Onlineglücksspiele werden mittlerweile den klassischen Automatenhallen vorgezogen

Im Kreis abhängiger Glücksspieler gehörte Dirk S. eher zu einer Minderheit. Onlineangebote, ob Glücksspiele oder Sportwetten, sind längst an den in Hallen aufgestellten Automaten vorbeigezogen - obwohl diese mit früheren „einarmigen Banditen“ oder klackernden Mechanik-Apparaten kaum noch etwas zu tun haben. Ob nun Roulette im Nobel-Casino, die Slot Machine in der Spielothek oder virtuelle Sportwetten bevorzugt werden - Annette Müller, Fachkraft bei der Suchtberatungsstelle von Caritas und Diakonischem Werk, und ihr Kollege Kay Toewe, Leiter der Fachstelle Sucht des baden-württembergischen Landesverbandes für Prävention und Rehabilitation (bw-lv), wissen: Häufig wird innerhalb kurzer Zeit „Haus und Hof“ verspielt“, es wächst obendrein der Schuldenberg. Und fast immer wird die Familie mit in den wirtschaftlichen Abgrund gerissen.

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Dirk S., der insgesamt 100 000 Euro verspielt hat, betont, keineswegs zu den „Extrem-Verlierern“ zu gehören. Er habe die jeweiligen Einsätze nicht in die Höhe schnellen lassen. Außerdem hätten ihm Mieteinkünfte von Wohnungen erspart, Freunde anzupumpen oder mit kriminellen Machenschaften an Geld zu kommen. Aus ihrer Beratungstätigkeit wissen Annette Müller und Kay Toewe, dass sich Spielsüchtige oftmals mit Lügen oder einem heimlichen Griff in die Kasse finanzielle Mittel beschaffen - stets in der Hoffnung auf den erlösenden Supergewinn. Obendrein hat Kay Toewe die Erfahrung gemacht: Suchtpotenzial entwickelt „jedes Glücksspiel“ - auch Lotto. Er berichtet von Klienten, die über Systemscheine wöchentlich hunderte von Zahlentipps abgeben.

Dass Menschen, die von Hochprozentigem losgekommen sind, gleichwohl anfällig bleiben und als „trockene Alkoholiker“ gelten, ist allseits bekannt. Nicht anders verhält es sich bei spielsüchtigen Menschen - nach wie vor deutlich mehr Männer als Frauen. Bewährt habe sich das zentrale und damit (im Gegensatz zu früher) länderübergreifende Sperrsystem OASIS. „Dafür mussten wir lange kämpfen“, so Toewe. Das Kürzel steht für „Online-Abfrage Spielerstatus“ und ermöglicht, dass sich Menschen sperren lassen können: Weil sie das Hineinrutschen in eine Spielstörung verhindern oder sich aus dem Würgegriff einer Sucht befreien möchten.

Glücksspielanbieter müssen überprüfen, ob Sperre vorliegt

Und damit OASIS auch Wirkung zeigt, sind in Deutschland alle lizenzierten Glücksspielanbieter verpflichtet, zu überprüfen, ob eine Sperre vorliegt. Auch Dirk S. hat sich - wie inzwischen 240 000 andere Betroffene - in der zentralen Schutzdatei registrieren lassen. „Für 99 Jahre“, berichtet der Mittfünfziger, der alles daran setzt, nie mehr sein Leben von blinkenden Automaten bestimmen zu lassen. Und deshalb nimmt er das Nachsorgeangebot der Fachstelle Sucht wahr und besucht drei Mal wöchentlich die Tagesstätte: „Ich knüpfe langsam wieder Kontakte.“ Außerdem lernt er, dass Spielen auch ohne Kick um Geldeinsätze Spaß machen kann - beim Schach- oder Backgammonspielen.

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