Mannheim. Eigentlich hat Sabine M. einen gut bezahlten Job. Und dennoch reichte irgendwann das Gehalt nicht mehr – weil sie in jeder freien Minute, selbst unterwegs, aufs Smartphone starrte und im Sekundentakt Einsätze von 20, 50 und mehr Euro wegklickte. Und Michael L. hat seine kriminelle Geldbeschaffung fürs Zocken ins Gefängnis gebracht. Die beiden erzählen ihre Geschichte anlässlich des Aktionstages gegen Glücksspielsucht am 29. September bei einem Pressegespräch, zu dem Diakonie und Caritas eingeladen haben.
Glücksspiel als „Scheinwelt“
Dass Drogen oder Alkohol abhängig machen können, ist allseits bekannt. „Von Glücksspielsucht haben viele keine Ahnung“, erlebte Sabine M., als sie die Notbremse zog und ihre verheimlichte Spielleidenschaft offenbarte. Die Werbung eines Onlinecasinos hatte vor acht Jahren ihre Neugier geweckt. Wann Sabine M. in ihre „Scheinwelt“, wie sie den abgeschotteten Teil ihres Lebens nennt, abdriftete, kann sie nicht mehr genau sagen. Die Mittvierzigerin erinnert sich hingegen gut, wie der Druck zunahm, unbedingt gewinnen zu müssen – weil sämtliche Ersparnisse weg waren, Schulden drückten und das Gehalt am Ende des Monats nicht mal mehr für den täglichen Bedarf reichte. Nach sieben Jahre „ging nichts mehr“. Mit fachlicher Begleitung der Beratungsstelle von Caritas und Diakonie und Familienbeistand („Meine Eltern halten zu mir“) hat es Sabine M. geschafft, vom rund um die Uhr geöffneten Onlinecasino (via Smartphone) loszukommen. Die Partnerschaft ging jedoch in die Brüche. Der Freund habe die jahrelang verborgene Spielsucht als schweren Vertrauensbruch empfunden.
Neuer Glücksspielvertrag und Suchtprävention
Seit Juli 2021 ist ein neuer Glücksspielstaatsvertrag in Kraft, der Online-Casinos legalisiert. Diese waren bislang nur in Schleswig-Holstein erlaubt und wurden deshalb aus anderen Ländern in Deutschland betrieben.
Die neuen Regelungen sehen mehr Spielerschutz vor: unter anderem ein anbieterübergreifendes Einzahlungslimit von monatlich 1000 Euro, das Verbot gleichzeitiger Wetten bei mehreren Online-Casinos oder eine bundesweite Spielersperrdatei, die Betroffene beantragen können.
Die Suchtberatung von Caritas und Diakonie in D7, 5 (Telefon 0621 /12 50 61 30, E-Mail: suchtberatung@cv-dw-mannheim.de) informiert, begleitet und vermittelt Therapieplätze, wenn Glücksautomaten, Roulette, Kartenspiele oder Wetten übermächtig werden und betroffene Personen Hilfe suchen.
Die Fachstelle Sucht des Baden-Württembergischen Landesverbands für Prävention und Rehabilitation hält ebenfalls ein breites Unterstützungsangebot für Hilfesuchende vor. Adresse: Moltkestraße 2, Telefon 0621 / 84 250 68-0. E-Mail: fs-mannheim@bw-lv.de.
Anders als noch bei Michael L. bieten Beratungsstellen inzwischen in der Justizvollzugsanstalt Mannheim Sprechstunden.
Vor zehn Jahren hat Michael L. mit Glückspielen und Wetten, die komplett sein Denken und Fühlen bestimmten, aufgehört. Der Weg dahin war lang und steinig. Der 30-Jährige erzählt, dass er selbst im Knast Sportwetten mit Zigaretten als Einsatz organisierte. „Ich hatte aber viel Zeit, über mein Leben nachzudenken.“ Vom Gefängnis aus nahm er mit der Fachstelle Sucht des baden-württembergischen Landesverbandes für Prävention und Rehabilitation auf, kurz „bwlv“, Kontakt auf und begann während des offenen Vollzugs mit regelmäßigen Therapiesitzungen. Und wie hat bei ihm alles angefangen? Als ihn ein Freund noch während der Ausbildung in eine Spielhalle mitnahm, „da war es um mich geschehen“. Schon bald saß er nahezu täglich an Automaten und schloss Sportwetten ab. „Um an Geld zu kommen, habe ich Kollegen beklaut.“ Dabei blieb es nicht. Michael L., der heute in der Nähe eines Anbieters von Wetten und Spielen wohnt, sieht sich dafür „emotional nicht mehr empfänglich“. Er weiß, andere Menschen tief enttäuscht zu haben: „Schon das hält mich ab, wieder zu spielen.“
Gerichte müssen klären
Wenn Ratsuchende eine Sucht-Fachstelle aufsuchen, dann ist der Leidensdruck fast immer immens groß – und obendrein schon viel passiert. „Ich erkundige mich im ersten Gespräch, ob die Miete in Gefahr ist“, berichtet Annette Müller von der Suchtberatung Caritas und Diakonie. Dass pathologisches Spielen schon in kurzer Zeit die Existenz bedrohen kann – diese Erfahrung macht auch ihr Kollege Kay Toewe vom „bwlv“. Beide beobachten, dass Online-Angebote vermehrt Jüngere anziehen. Die einstige Klienten-Altersregel „45 und plus“ gelte nicht mehr.
Dass in Baden-Württemberg Hunderte Spielhallen keine Konzession mehr bekommen sollen, weil sie vorgeschriebene Mindestabstände von 500 Metern zu Schulen oder Jugendhäusern nicht einhalten, steht schon lange fest. Wie der kommunale Beauftragte für Suchtprävention, Timo Käser, ausführt, sollen in Mannheim von 52 Standorten nur noch zehn bleiben. Allerdings haben die 42, die vor dem Aus stehen, dagegen geklagt. Bis zur juristischen Klärung läuft wohl alles wie bisher.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-aktionstag-gegen-gluecksspiel-wie-spielsuechtige-hilfe-bekommen-koennen-_arid,1857897.html