Stadtgeschichte

Wie in Mannheim die Elektrizität Einzug hielt

Vor 125 Jahren wurde es eingeschaltet: das damals neue Elektrizitätswerk im Mannheimer Industriehafen. Wofür es Strom lieferte und warum damit die Modernisierung Mannheims begann

Von 
Peter W. Ragge
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In einer Werbebroschüre der Firma BBC aus dem Jahr 1902 ist dieses Bild vom Kraftwerk enthalten. Durch das Kraftwerk wird BBC in Mannheim ansässig. © marchivum

Mannheim. Der Knopfdruck ist genau am 15. Oktober 1899. Zunächst nur als Probebetrieb, laufen dann ab Dezember die mit Kohle angetriebenen Turbinen so richtig. Damit beginnt vor 125 Jahren die Geschichte nicht nur des Elektrizitätswerks in der Fardelystraße im Industriehafen, sondern zugleich die Geschichte der Industrialisierung, ja der Modernisierung Mannheims.

Strom gibt es auch schon vorher in Mannheim - ein bisschen. 1880 präsentiert Siemens auf der Pfalzgau-Ausstellung den ersten elektrischen Aufzug der Welt. Ein Elektromotor treibt den an der Außenwand eines Gebäudes zu einer Aussichtsplattform führenden Fahrstuhl an. Die 20 Pfennig teure Fahrt in 20 Meter Höhe probieren in den drei Monaten rund 8000 Menschen aus.

Aber dabei bleibt es zunächst, denn danach fehlt der Bedarf. Und erst 1881 bei der Internationalen Elektrizitätsausstellung in Paris werden der erste Dynamo von Zénobe Gramme und von Thomas Alva Edison die ersten Glühlampen vorgeführt.

Lange scheut die Stadt Mannheim die Konkurrenz für ihr Gaswerk

Mannheim hat daran zunächst kein Interesse. Zwar beginnt nach einem Theaterbrand in Wien mit 400 Toten überall, auch in der Quadratestadt, die Diskussion um die Gefahren der Theaterbeleuchtung. Kulissen werden nämlich immer noch mit offenen Gaslampen in Szene gesetzt, was nicht nur Brandgefahren mit sich bringt. Im Zuschauerraum steigt auch der Kohlendioxidgehalt, sprich: Es herrscht dicke Luft. Aber nach einjähriger Untersuchung durch zwei Fachleute lehnt der Stadtrat im November 1889 elektrische Beleuchtung im Theater ab.

Schließlich betreibt die Stadt selbst ein Gaswerk, das Gewinne abwirft - und dem man keine Konkurrenz vor die Nase setzen will. Aber es zeigt sich, dass das nicht durchzuhalten ist. Es breiten sich nämlich Blockstationen aus, also kleine private Kraftwerke für einzelne Betriebe oder Häuserblocks. Die Eisenbahn errichtet zwei Gleichstromwerke, und der ab 1895 von der Stadt selbst gebaute Industriehafen soll Mannheim ja noch mehr zum Industriestandort machen. Und die Stadt wächst, etwa 1898 mit der Eingemeindung von Käfertal, zu dem auch die Gemarkung Waldhof zählt.

Das Elektrizitätswerk im Industriehafen, vom Bonadieshafen aus gesehen. Davor liegen die Lastkähne, welche die Kohle anliefern. © Business Graphics Datentechnik G

Ein Gutachten von William H. Lindley, in Frankfurt lebender britischer Ingenieur und eigentlich Kanalisationsexperte, gibt den Ausschlag. Er ist zunächst Wegbereiter des Kraftwerks Frankfurt und wird das dann auch in der Quadratestadt. Auf der Grundlage seiner Expertise entscheiden die Kommunalpolitiker im Oktober 1897, ein Kraftwerk zu bauen - und zwar mit Drehstrom.

Entstehen soll es im neuen Industriehafen, damit die Anlieferung der nötigen Kohlemengen problemlos per Schiff erfolgen kann. Die Stadt fungiert dabei selbst als Bauherr, bewilligt dafür 3,3 Millionen Mark. Der dafür entstehende Jugendstilbau mit dem goldfarbenen Schriftzug „Staedt. Elektrizitaetswerk Mannheim Industriehafen“ ist zumindest teilweise, nämlich Maschinenhalle und Pförtnerhaus, erhalten. Vom Umspannwerk über Lagerhalle, Schauplatz für einen „Nachtmarkt“, Konzerte und Corona-Impfstation hat das Areal schon viel erlebt.

Oberbürgermeister Otto Beck will Mannheim zur Industriestadt ausbauen

Für die Lieferung der Ausrüstung und den Betrieb gibt es 1898 drei Interessenten: die Firmen Siemens, Lahmeyer und Brown, Boveri & Cie (BBC). BBC erhält am 5. Juli 1898 den Zuschlag aufgrund eines interessanten Deals. Oberbürgermeister Otto Beck handelt mit der in Baden (Schweiz) ansässigen Firma aus, dass sie ihre kleine Frankfurter Filiale, die dort nicht mehr expandieren kann, nach Mannheim verlegt und hier ein Werk errichtet. Tatsächlich wird am 9. Juni 1900 die deutsche BBC-Tochter gegründet. Das bringt anfangs 500, später 1200 Arbeitsplätze, und über Jahrzehnte zählt BBC zu den größten Arbeitgebern in Mannheim - bis es 1988 zur Fusion der BBC mit der schwedischen ASEA zu ABB kommt, womit der Niedergang des Standorts beginnt.

Zur damaligen Jahrhundertwende aber passt die BBC-Ansiedlung hervorragend zur Strategie von Oberbürgermeister Beck, Mannheim zur Industriestadt auszubauen. Auch die Gründung der Süddeutschen Kabelwerke (1899) geht darauf zurück, denn die sich in Neckarau neu ansiedelnde Firma darf die ganzen Kabel liefern. Als Südkabel gibt es sie bis heute, wenn auch nun mit japanischen Eigentümern.

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Für ihr neues Kraftwerk macht die Stadt trotz Verpachtung an BBC strenge Vorgaben. Sie sichert sich einen Pachtzins von erst sieben, ab dem dritten Jahr neun Prozent sowie besonders günstige Tarife für das Theater sowie die Straßenbahn (zehn Pfennig pro Kilowattstunde) und die Straßenbeleuchtung (30 Pfennig pro Kilowattstunde). Andere Kunden müssen mehr zahlen, etwa 70 Pfennig pro Kilowattstunde für Beleuchtung, 20 Pfennig für Motoren, im Industriehafen in der Umgebung des Kraftwerks nur 15 Pfennig.

Aber es dauert ohnehin, bis sich der Strom durchsetzt. Ab 10. Dezember 1900, als die Pferdebahn zur Straßenbahn wird, gibt es einen Großabnehmer. Ab 1902 ist das Netz komplett elektrifiziert. Die Stadt baut elektrische Uhren auf, an deren „Zentraluhrenanlage“ sich ab 1904 private Nutzer wie Uhrmacher, Kaufhäuser oder Banken anschließen dürfen. Bis sich elektrische Straßenbeleuchtung durchsetzt, vergehen Jahre - noch ist Gasbeleuchtung billiger. Erst ab 1906, als die Stadt das Kraftwerk von BBC übernimmt und in eigener Regie betreibt, geht sie das Thema langsam an, damit zum Stadtjubiläum 1907 die wichtigsten Straßen hell erleuchtet sind. Ab 1923 liefert jedoch das damals neue Großkraftwerk Neckarau den Strom.

Redaktion Chefreporter

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