Geschichte

„In Mannheim die Fabrik …“

Vor 75 Jahren wird in München der Deutsche Gewerkschaftsbund gegründet – vor Ort in Mannheim aber vier Jahre früher

Von 
Konstantin Groß
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Mannheim. Wie heißt es doch im „Badnerlied“: „In Mannheim die Fabrik …“ – Ausdruck dessen, dass die Quadratestadt bereits bei Entstehung der „badischen Nationalhymne“ ein Schwerpunkt der Industrialisierung im deutschen Südwesten ist. Und damit auch ein Zentrum der Gewerkschaftsbewegung.

Kein Wunder also, dass an diesem Freitag im Mannheimer Gewerkschaftshaus der 75. Jahrestag der Gründung des Deutschen Gewerkschaftsbundes 1949 gefeiert wird. Doch die Mannheimer Sektion dieser Dachorganisation ist weit älter, entsteht bereits vier Jahre zuvor, am 1. Juni 1945. Das ist erstaunlich, denn die Stadt liegt damals in Trümmern, die Befreiung durch die Amerikaner gerade zwei Monate zurück.

Um die Entwicklung der Gewerkschaften nach dem Kriege zu verstehen, muss man in die Zeit davor blicken. Anders als heute, gibt es in der Weimarer Republik (1918-1933) keine Einheitsgewerkschaft. Vielmehr hat jede politische Gruppierung ihre eigene: Sozialdemokraten, Kommunisten, Christliche, sogar Liberale.

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Und selbst die Nazis definieren sich ja in ihrem Namen als Nationalsozialisten. Um die Arbeiterschaft für sich zu gewinnen, erfüllen sie bereits wenige Wochen nach ihrer Machtergreifung 1933 einen langgehegten Traum der Gewerkschaftsbewegung: Sie erheben den 1. Mai zum arbeitsfreien Feiertag. Am 1. Mai 1933 wird er erstmals als solcher begangen – und das übrigens bis heute.

Doch bereits am Tag darauf zeigt das Regime der Arbeiterbewegung sein wahres Gesicht: Am 2. Mai 1933 werden die Gewerkschaften verboten, ihre Repräsentanten verhaftet, ihre Häuser requiriert, auch jenes in Mannheim, in P 4.

An ihre Stelle tritt die Deutsche Arbeitsfront (DAF). Gemäß der NS-Ideologie der „Volksgemeinschaft“, welche „die Klassengrenzen überwindet“ (so DAF-Chef Robert Ley), vereinigt sie Arbeitgeber und Beschäftigte, Arbeiter und Angestellte in einer Organisation. Die Beschäftigten sind de facto Zwangsmitglieder, ihr Mitgliedsbeitrag wird direkt vom Lohn abgeführt. Bis zu 25 Millionen Deutsche sind in der DAF.

Das Ziel der Alliierten 1945, die Deutschen zur Demokratie zu erziehen, betrifft auch ihre Arbeitsorganisationen. Der Alliierte Oberbefehlshaber, General Eisenhower, versichert: „Die Deutschen werden sich, sobald die Umstände es gestatten, in demokratischen Gewerkschaften zusammenschließen dürfen.“

Das Wirken verantwortungsbewusster Beschäftigter beginnt aber bereits früher, unmittelbar nach Kriegsende, zuweilen sogar zuvor. Und zwar vor Ort, in den Fabriken. Da viele Direktoren politisch kontaminiert sind, ihrer Posten daher enthoben werden oder sich von selbst aus dem Staub machen, sind es oft engagierte Arbeiter, die ihre Betriebe am Laufen halten. Und sich auch ganz praktisch um die Verbesserung der Lebensverhältnisse kümmern.

Doch für ein dauerhaftes Engagement bedarf es einer Organisation. Bereits unmittelbar nach dem Zusammenbruch treffen sich daher Gewerkschafter der Weimarer Zeit. Vor allem Sozialdemokraten wie Jakob Trumpfheller, Kommunisten wie Paul Schreck und Christliche wie August Kuhn. Ihr Ziel ist es, die alte politische Spaltung der Arbeiterbewegung nicht zu wiederholen. Denn diese gilt ihnen als Hauptgrund für die mangelnde Widerstandskraft der Gewerkschaften gegen die Nationalsozialisten Anfang der 1930er Jahre.

Ende April beantragen sie die Zulassung einer Gewerkschaftsorganisation in Mannheim. Am 25. Mai wird sie von der US-Militärregierung genehmigt. Als Gründungsdatum des „Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) Groß-Mannheim“ gilt der 1. Juni 1945.

Am 11. Juni findet im Gaswerk die Konstituierende Versammlung mit Vorstandswahlen statt. Vorsitzender wird der SPD-Mann Trumpfheller, bereits vor 1933 in dieser Funktion, sein Vize der Kommunist Schreck, der als früherer Widerstandskämpfer und Häftling im KZ Buchenwald hohes persönliches Ansehen genießt. Insgesamt gehören dem Vorstand fünf Sozialdemokraten, drei Kommunisten und ein Vertreter der katholischen Zentrumspartei an, der späteren CDU. Das Ziel, verschiedene politische Kräfte zu berücksichtigen, wird also in der Tat erreicht.

Die Mitgliederzahlen steigen rasch an. Ende 1945 liegen sie bereits bei rund 30 000. Davon 12 000 bei Metall, 5000 im Öffentlichen Dienst und 3600 in der Chemie. Seinen Sitz nimmt der ADGB zunächst im Haus 0 4, 8-9, der bisherigen Zentrale der Arbeitsfront. Doch im Juli übergibt die Militärregierung das Gebäude der UNO-Flüchtlingsorganisation. Der ADGB muss in kleinere Räume in L 4, 15 umziehen (Erst 1964 wird er das heutige, übrigens von der IG Metall erbaute Gewerkschaftshaus am Neckarufer beziehen können).

Im Juni 1946 stehen erneut Wahlen für die Spitze der nun 53 000 Mitglieder an. Trumpfheller, inzwischen Kreisvorsitzender der SPD und Erster Bürgermeister der Stadt, kandidiert nicht mehr. Karl Schweizer, wie er Sozialdemokrat und Gewerkschafter aus Weimarer Zeit, wird sein Nachfolger. Als sein Stellvertreter wird der Kommunist Schreck zwar bestätigt. Doch spätestens mit Beginn der Berlin-Blockade 1948 leidet auch die Einheit der Gewerkschaftsbewegung unter dem Kalten Krieg. Die antinazistische Kampfgemeinschaft von SPD und KPD zerbricht; der politische Einfluss der als Personen durchaus geschätzten Kommunisten nimmt ab.

1949 liegt die Mitgliederzahl der Gewerkschaften in Mannheim bei rund 75 000. Angesichts von rund 130 000 Beschäftigten entspricht dies einem Organisationsgrad von 59 Prozent; in den Metallbetrieben ist er mit 95 Prozent am höchsten. Doch allein ist selbst der Stärkste schwach. Nachdem am 23. Mai 1949 das Grundgesetz in Kraft tritt und sich im September die Verfassungsorgane Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung und Bundespräsident konstituieren, braucht auch die Gewerkschaftsbewegung auf dem Gebiet der Bundesrepublik ein Dach.

Am 13. Oktober 1949 gründet sich daher in München der Deutsche Gewerkschaftsbund. Erster Vorsitzender wird der Metaller Hans Böckler. Die Mitgliederzahl steigt von 5,4 Millionen auf einen ersten Höhepunkt von rund acht Millionen 1981, nach der Wiedervereinigung 1990 auf fast zwölf Millionen. Seither jedoch nimmt sie kontinuierlich ab. Derzeit verfügt der DGB – unter der aktuellen Führung der früheren SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi – über rund 5,7 Millionen Mitglieder. Der tiefste Stand seit Anfang 1951.

Speziell in der Mannheimer Politik sind Gewerkschaften lange einflussreich, bis in die 1980er, teilweise bis in die 1990er Jahre hinein, ihre Repräsentanten prägend. So stehen die Benz-Betriebsratsvorsitzenden Karl Feuerstein und Herbert Lucy an der Spitze von SPD-Kreisverband und Gemeinderatsfraktion, MWM-Betriebsratschef Werner Nagel und der GEW-Funktionär Siegfried Vergin sitzen für die SPD im Bundestag, der langjährige IG-Metall-Chef Walter Spagerer und der DGB-Kreisvorsitzende Max Nagel im Landtag.

Eine Zäsur tritt ein, als bei der Bundestagswahl 2017 im Wahlkreis Mannheim mit dem SPD-Abgeordneten Stefan Rebmann ein ehemaliger DGB-Regionalvorsitzender einem jungen CDU-Bewerber (Nikolas Löbel) unterliegt. Mit Reinhold Götz steht heute zwar wieder ein angesehener ehemaliger Gewerkschafter an der Spitze der SPD-Ratsfraktion; diese jedoch stellt nur noch die drittgrößte politische Kraft der Stadt. Vor 75 Jahren unvorstellbar.

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