Mannheim. Horst wirkt irgendwie noch unentschlossen, wie er sein Motiv anlegen soll. Die ersten Pinselstriche des „Künstlers“ sind dann auch eher krakelig, wüsste man nicht, was der Roboterarm eigentlich zeichnen soll – man könnte es nicht mal im Entferntesten erahnen. Und auch das fertige Bild wirkt eher wie eine sehr, sehr freie Interpretation des von seinem menschlichen Gegenpart gestellten Themas: „Katze“. Egal, Martin Weiss ist ganz verzückt, wenn er seinen Blechkumpel dabei beobachtet, wie der mit fließenden Bewegungen den kleinen Pinsel führt, wie er ihn ins Wasser taucht, abstreicht und dann zum Farbtopf führt.
Vielfältige Einsatzzwecke in Produktion und Logistik
Schließlich wurde Horst eigentlich für völlig andere Aufgaben entwickelt. Denn die Buchstabenfolge „Horst“ steht für „highly optimized robotic systems technology", also für „hoch optimierte Robot-System-Technologie“. „Er ist ein Industrie-Roboter, entwickelt und gebaut von der Firma Fruitcore in Konstanz“, erklärt der Kurator, „seine Brüder und Schwestern werden in der Produktion oder in der Logistik zu vielfältigen Zwecken eingesetzt“, manche können Punktschweißen, andere ziehen Waren aus Regalen, kurzum: Sie tun alles, wozu man einen hochpräzisen Greifarm verwenden kann.
„Wir haben ihn sozusagen für unsere Zwecke etwas fachfremd eingesetzt.“ Horst ist das jüngste Ausstellungsstück im ganzen Technoseum, „wir haben ihn für unsere Elementa-3-Schau gekauft, und der Hersteller hat uns ein paar seiner Vorfahren dazu geschenkt“, freut sich Weiss. Horst ist nämlich sein Lieblingsstück – und es war sozusagen Liebe auf den ersten Blick.
Kurator hat Horst in einem Robotik-Labor entdeckt
Vor drei Jahren hat ihn Martin Weiss im Zuge einer Recherche fürs Technoseum in einem Robitik-Laboratorium entdeckt: „Ich wollte ihn sofort für uns haben.“ Bis es dann soweit war und der schwarz-silberne Greifer mitsamt seinem Glaskasten dann seinen neuen Arbeitsplatz einnahm, brauchte seine Zeit.
Serie „Lieblingsstücke“
Lieblingsstücke - wir schauen in einer kleinen Serie hinein in ein beeindruckendes Mannheimer Museum, wir öffnen Türen, die sonst für das Publikum verschlossen bleiben, und lassen uns von den Menschen, die uns dort im Technoseum ihre Lieblingsstücke zeigen, erklären, warum ausgerechnet dieses oder jenes Objekt ihnen so ans Herz gewachsen ist. Dass wir dabei vieles über die Frauen und Männern dort erfahren, die wir sonst als Besucher kaum jemals kennenlernen würden, macht den Blick auf die Lieblingsstücke umso spannender.
Ein längerer Weg – genau wie der, der den Kurator ins Technoseum geführt hat. Weiss ist in Hannover geboren, in Stuttgart und Aachen aufgewachsen, er hat in Holland Physik studiert, und dort gespürt, dass es ihn eigentlich ganz woanders hinzieht als in die Labore der Physiker: „Ich habe mich schon früh auf Wissenschaftsgeschichte konzentriert, weil ich gemerkt habe, dass sie mir mehr Antworten gibt auf die Fragen, die mich bewegen.“
Seinen Master hat er schließlich in Wissenschaftsgeschichte gemacht und in diesem Fachgebiet auch promoviert. „Die strukturelle Herangehensweise in diesem Fach fand ich faszinierend“, und weil er mal als Schüler ein Praktikum an der Stuttgarter Staatsgalerie absolviert hatte, schwenkte er auf diesen Weg ein: „Man kann zeigen, welche Erkenntnisse man aus der materiellen Welt der Ausstellungsstücke ziehen kann, man kann hier sozusagen eine Geschichte im Raum erzählen, die Ästhetik der Schau und ihrer Objekte ist dabei ebenso wichtig wie die Geschichte der Menschen, die sie erfunden, entworfen oder entwickelt haben.“ Für ihn ebenfalls ganz wichtig: der Kontakt zu den Besuchern. „Ob Sie es glauben oder nicht: Durch die Fragen der Menschen, die unsere Ausstellungen anschauen, gewinnen auch wir immer neue Erkenntnisse.“
Nach einem Praktikum im deutschen Museum in München und einer Stelle beim Schifffahrtsmuseum Bremerhaven führt sein Weg 2021 nach Mannheim: „Ich kannte selbstverständlich das Technoseum, es hat einen sehr guten Namen in der Museumsszene, und ich wusste, die Sammlungen haben eine hohe Qualität und eine enorme Bandbreite. Das hat mich hierhergezogen.“
Künstliche Intelligenz wird immer bedeutsamer
Weiss‘ offizieller Titel lautet „Kurator für Rechentechnik“, zuständig ist er für die Themen Computer, Robotik und – immer wichtiger – KI. „Wir haben da eine Riesensammlung, von der Hahn-Rechenmaschine über den Zuse-Computer bis hin zu Quanten-Computing“, es begeistert ihn einfach, „dass man mit Einsen und Nullen jede Logik darstellen kann“. Und besonders spannend sei da nicht nur die Frage, was wir mit der Technik machen, wie wir sie verantwortungsvoll einsetzen, sondern auch, was die Technik mit uns macht. „Gerade jetzt, da die Künstliche Intelligenz immer bedeutsamer wird auch im Alltag der Menschen, muss man sich die Frage stellen, wie und wobei wird uns auf Rechner verlassen.“ Wer beispielsweise ein Betriebssystem kauft, der bekomme auch stets eine Weltanschauung dazu geliefert.
Industrie-Roboter Horst
Horst steht für „highly optimized robotic Systems Technology“, entwickelt und gebaut wurde der Greifarm-Roboter von der Firma Fruitcore in Konstanz und Villingen-Schwenningen.
Horst ist eigentlich ein Industrie-Roboter, er tragt die Typennummer 660. Seine „Vorfahren“, unter anderem sein Urahn „Horst 1“, sind ebenfalls im Technoseum zu sehen.
Horst kann – betreut von einem Museumsscout – Bilder nach Vorgaben von Besuchern malen. Das fertige Bild dürfen die dann – vom „Künstler“ eigenhändig signiert, mit nach Hause nehmen.
Kaum hat er seinen Satz beendet, lässt Horst vom schwarzen Farbtöpfchen ab und taucht seinen Pinsel ins rote genau daneben: „Jetzt signiert er sein Werk rechts unten – Horst.“ Auch der Kunst-Greifarm arbeitet KI-basiert: Besucher können sich ein Motiv auswählen – in unserem Falle eben „Katze“ -, die KI generiert das Bild, das wird vektorisiert, das heißt in Robotersprache übersetzt: „Es werden Punkte im Raum definiert, x-, y- und z-Koordinaten, die er dann anfährt mit dem Pinsel.
Spannende Aufgaben als Ingenieur finden
Dabei geht es Martin Weiss natürlich nicht um Kunst – „Horst produziert keine Kunst in dem Sinne, er soll vielmehr mehrere Aspekte zeigen“. Wie Technik und Robotik unseren Alltag und unsere Arbeit prägt etwa, oder welche Möglichkeiten sich mit Künstlicher Intelligenz eröffnen. „Aber speziell mit Horst geht es mir auch darum, den jungen Besuchern zu vermitteln, dass man nicht ins Silicon Valley muss, um spannende und hoch interessante Aufgaben als Ingenieur zu finden. Es gibt sie auch bei uns, am Bodensee oder im Schwarzwald, wie Horst beweist.“
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