Stadtgeschichte

Wie ein Nashorn vor 250 Jahren in Mannheim Aufsehen erregt

Heute würde man es „popkulturelles Phänomen“ nennen, sagt der Leiter des Mannheimer Stadtarchivs: Warum das „Wunder-Thier“ genannte Rhinozeros auf Welttournee ging und wohin es nach Mannheim kam.

Von 
Peter W. Ragge
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Es steht im Schlossmuseum: Eines von zwei erhaltenen Porzellan-Nashörnern der Frankenthaler Manufaktur, das an die spektakuläre Nashorn-Tournee erinnert. © Markus Prosswitz / masterpress -

Mannheim. Es wird als „Wunder-Thier“ bezeichnet, durch das „meinem Hauß Heyl wiederfahren“ sei: So schwärmt Maria Barbara Endt, Wirtin der Gastwirtschaft „Zum Pfau“, von dem ungewöhnlichen Besuch. Sie lässt sogar eigens ein Werbeblatt drucken, von dem sich noch ein einziges Exemplar im Rijksmuseum Amsterdam erhalten hat. Nächste Woche wird es im Marchivum zu sehen sein. Das erinnert nämlich an diesen besonderen Star, der vor über 250 Jahren in Mannheim zu Gast ist: das Nashorn Clara.

„Es ist eine Sensation, welche die ganze Stadt in ihren Bann gezogen hat“, sagt Harald Stockert, der Direktor vom Marchivum. „Derartige Tiere waren den Zeitgenossen zwar aus Erzählungen und der Literatur bekannt, doch kaum ein Mensch in Mitteleuropa hatte bis dato eines gesehen“, so Stockert. Carla sei zu einem „länderübergreifenden Anschauungsobjekt und populären Medienphänomen“ geworden, erklärt der Marchivum-Chef, „ein regelrechter Hype“ habe um das Tier geherrscht.

Daran wird Stockert am Mittwoch, 24. September, um 18 Uhr mit einem Vortrag im Marchivum erinnern. Albrecht Manegold, in Mannheim geborener Ornithologe und Paläontologe sowie Kurator des Staatlichen Museums für Naturkunde Karlsruhe, erklärt, was es mit diesem Tier auf sich hat.

Spielgefährte für die acht Kinder

Das weibliche Panzernashorn kommt aus Indien. Als es etwa einen Monat alt ist, wird seine Mutter von Jägern getötet – in Assam, einer Hochgebirgsgegend des östlichen Himalayas. Der dortige Regent schenkt es 1738 Jan Abert Sichtermann. Der leitet den örtlichen Handelsposten der Niederländischen Ostindien-Kompanie (VOC) im damaligen Bengalen (heute Bangladesch und Indien). „Das Geschenk diente der Repräsentation wie auch wirtschaftlichen Interessen“, ordnet Stockert das in kolonialen Zusammenhang ein.

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Von artgerechter Haltung kann dann keine Rede sein. Sichtermann nimmt das Rhinozeros mit nach Hause und seine acht Kinder spielen damit. Sie sind es vermutlich auch, auf die der Name Clara zurückgeht. „Man kann sich gut ausmalen, dass in dieser Zeit einiges im Haus des Handelsrepräsentanten zu Bruch ging“, nimmt Stockert an. Doch es gibt auch andere Schilderungen. Im Buch „Claras Grands Tour“ schreibt Glynis Ridley, das Tier habe von Tellern gegessen und sich einen Weg zwischen den eleganten Möbeln bahnen können. Wie auch immer – nach zwei Jahren will Sichtermann das Nashorn loswerden. Aber in die Natur zurück kann es nicht, zu sehr ist es an Menschen gewöhnt.

1740 kauft es Douwe Jansz Mout, ebenso Niederländer und Kapitän eines für die VOC fahrenden Schiffes. Wie das Tier die 221 Tage dauernde Überfahrt bis Rotterdam überstanden hat, dazu gibt es unterschiedliche Angaben. Teils heißt es, man habe ihm Heu, Orangen und Brot zum Fressen gegeben, ferner Bier. „Auch soll die später verbriefte Liebe des Tiers zu Tabak und dessen Geruch auf der Überfahrt entstanden sein“, sagt Stockert.

Kaum im Sommer 1741 in Holland angekommen, sei das Nashorn „sofort eine Sensation“ gewesen. Mout nimmt seinen Abschied als Schiffskapitän und entschließt sich, mit Clara sein Geld zu verdienen und mit ihr um die Welt zu ziehen. Das tut er 17 Jahre lang mit einem eigens gebauten Reisewagen, der bis auf kleine Luken keine Blicke auf das Rhinozeros zulässt – denn dafür sollen die Leute ja zahlen. Um den Karren zu ziehen, braucht er zehn bis zwölf Ochsen oder Pferde. Zwei Tonnen etwa soll das Tier gewogen haben.

Zwei Exemplare aus Porzellan erhalten

„Eine spektakuläre Erscheinung war sie damals zweifelsohne“, ist Stockert überzeugt, denn ihre Größe von 1,70 Meter habe der durchschnittlichen Größe eines Menschen entsprochen. Schließlich hätten Nashörner im 18. Jahrhundert als „Königstiere“ gegolten, „um die sich Mythen und Legenden rankten“ und von denen die Menschen „keine Anschauung, sondern lediglich eine ungefähre Vorstellung hatten“, erklärt der Marchivum-Direktor. Aber während in anderen Ländern ausschließlich die jeweiligen Herrscher solche Tiere besitzen durften, sei in den Niederlanden der Privatbesitz exotischer Tiere erlaubt gewesen – weshalb der Kapitän zum fahrenden Tierschauunternehmer werden kann.

Drei große Touren sind überliefert, akribisch geplant. Douwe Jansz Mout schickt immer einen Boten voraus, der die Vorbereitungen trifft und Werbung macht. Kaiserin Maria Theresia in Wien ist so angetan von dem Nashorn, dass sie verfügt, Mout dürfe mit ihm im Reich frei herumreisen. Er wird sogar geadelt. König Ludwig XV. in Versailles will das Tier für seinen Privatzoo ankaufen. Ob Voltaire oder Marquise de Pompadour – alle sollen entzückt gewesen sein, in historischen Büchern ist von „Claramania“ oder „Rhinomanie“ die Rede. „Heute würde man den Hype als popkulturelles Phänomen bezeichnen“, ordnet Stockert das ein.

Kurfürst besucht das Nashorn

Im Herbst 1747 erreicht dieses Phänomen Mannheim. Ein bis zwei Wochen muss das Tier hier gewesen sein. Die genaue Zeit lässt sich in alten Ratsprotokollen ebenso wenig finden wie die Begründung, warum Mout nicht auf dem Marktplatz gastiert, sondern in einem kleinen Gasthaus in Q2, vermutlich im Hinterhof. Aber am 20. November 1747, das ist verbrieft, besichtigen Carl Theodor und Elisabeth Augusta das Tier. „Außergewöhnlich“ nennt Stockert, dass das Kurfürstenpaar „in ein Gasthaus kommt, das bislang nicht zu den ersten Adressen der Stadt gehörte“.

Es scheint ihm auch sehr gefallen zu haben. Carl Theodor beauftragt Hofbildhauer Peter Anton von Verschaffelt, Miniaturen des Nashorns in der Porzellanmanufaktur Frankenthal herzustellen. Zwei davon gibt es noch: Eine Clara mit Uhr, die in Carl Theodors Schlafgemach gestanden haben soll und die heute im Münchner Residenzmuseum steht, und ein Exemplar im Mannheimer Schlossmuseum.

1758 ist das Nashorn übrigens im Alter vor nur 20 Jahren in London gestorben – und keiner weiß, was aus dem Kadaver und aus dem Besitzer geworden ist.

Redaktion Chefreporter

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