Zeitreise

Was es mit der Kurpfalzachse auf sich hat

Seit 275 ist der Schwetzinger Schlossplatz vollendet. Er stellt den Mittelpunkt der Achse zwischen den Bergen Königstuhl und Kalmit dar, welche die gesamte Region durchzieht.

Von 
Peter W. Ragge
Lesedauer: 
Die Achse führt zum Königstuhl und war früher eine Lorbeerbaumallee: Blick vom Dach des Schwetzinger Schlosses in Richtung Schlossplatz/Carl-Theodor-Straße. © Dorothea Lenhardt

Schwetzingen. Dieser Weg, er hat etwas Erhabenes. So soll es auch sein. Die breite Carl-Theodor-Straße in Schwetzingen, die durch den Schlossplatz hindurch zur kurpfälzischen Sommerresidenz führt, stimmt so richtig ein auf das, was einem dann erwartet: die perfekte barocke Planerie, die nicht nur den dem Schloss vorgelagerten Platz und den Garten dahinter umfasst. Der absolutistische Bauwille manifestiert sich vielmehr weit darüber hinaus und markiert eine eindrucksvolle Achse quer durch die Kurpfalz, vom Königstuhl bis zur Kalmit.

„Eine der wichtigsten Landmarken der Kurpfalz“ nennt sie Wolfgang Schröck-Schmidt,, Kunsthistoriker bei den Staatlichen Schlössern und Gärten in Schwetzingen. Als „Basis Palatina“ bezeichnet sie einst Christian Mayer, nicht nur kurfürstlicher Hofastronom, sondern auch verantwortlich für die Landvermessung der Kurpfalz. Ob früher als Kutschen-Strecke oder heute als Radschnellweg - die Kurpfalzachse hat eine Bedeutung über Jahrhunderte hinweg.

Als Burg („Veste“) und kleines Wasserschloss ist die Schwetzinger Residenz bereits ab 1350, also seit 675 Jahren, nachgewiesen. Der Zerstörung im Dreißigjährigen Krieg folgt der Wiederaufbau ab 1656 durch Kurfürst Karl I. Ludwig. Er residiert zwar im (damals kleineren, aber noch intakten) Heidelberger Schloss, aber er braucht Schwetzingen für seine Geliebte.

Ein schneller Weg zur Geliebten

Zuvor hat er sich mit seiner Frau Charlotte von Hessel-Kassel völlig zerstritten. Sie lässt ihn nicht mehr in ihr Schlafgemach, er beschreibt sie öffentlich als widerwärtig, halsstarrig, verdrießlich. Dafür schwärmt er für Luise von Degenfeld, eine seiner Hofdamen („schön, sanftmütig“), auf die seine Frau wiederum 1658 einen Mordanschlag verübt. Karl Ludwig bringt Luise daher im Schloss Schwetzingen unter. Er heiratet sie später auch „zur linken Hand“; sie ruht in der Gruft der Mannheimer Konkordienkirche.

Zwischen seinem Schloss in Heidelberg und dem Wohnsitz seiner Geliebten in Schwetzingen, so ordnet der Kurfürst 1658 an, soll querfeldein ein gerader, für Kutschen schnell zu befahrender Weg angelegt werden. Das zahlt er sogar aus seiner Privatschatulle. Er lässt die Straße mit abschließbaren Schlagbäumen gegen unbefugte Benutzung absperren und mit schattenspendenden Nussbäumen bepflanzen. Es ist der erste Schritt zur Kurpfalzachse.

In der Barockzeit wächst ihr neue Bedeutung zu. Nach der Zerstörung im pfälzischen Erbfolgekrieg 1689 lässt Kurfürst Johann Wilhelm das Schwetzinger Schloss 1698 bis 1717 als Jagdschloss wieder auf- und ausbauen. Seine Frau ist Anna Maria Luisa de Medici – weshalb der nördliche Torpfosten des Ehrenhofs mit dem Wappen der Medici versehen ist. „Es war der Wille des Kurfürsten, die Achse Königstuhl-Kalmit mit dem Wiederaufbau des Schlosses nicht nur neu zu beleben, sondern sie auch symbolträchtig auszustatten“, so Schröck-Schmidt. In jener Zeit entsteht der heutige Durchgang des Erdgeschosses vom Ehrenhof in den Garten, aber viel mehr als eine Erweiterung des Gebäudes passiert dann doch nicht.

Tipps für Besucher

Adresse: Schloss und Schlossgarten Schwetzingen, Schloss Mittelbau, 68723 Schwetzingen.

Eintritt: Schlossgarten 9 Euro, ermäßigt 4,50 Euro, Familien 22,50 Euro (Sommerpreise). Eintritt Schloss und Schlossgarten Erwachsene 12 Euro, Ermäßigte 6 Euro, Familien 30 Euro

Öffnungszeiten: Schlossgarten bis 25. Oktober täglich 9 bis 20 Uhr, letzter Einlass 19.30 Uhr. Die Besichtigung der Innenräume des Schlosses ist nur mit Führung möglich.

Führungszeiten: bis Oktober für 60-minütige Führung Montag bis Freitag 11 bis 16 stündlich, Samstag, Sonn- und Feiertag 10.30 bis 17 stündlich (bei Bedarf halbstündlich).

Lichterfest: Am Samstag, 19. Juli finden keine Führungen statt. Der Schlossgarten schließt um 12 Uhr und öffnet ab 17 Uhr zum Lichterfest mit Illumination des Gartens, Live-Musik und Showeinlagen auf 15 Plätzen, historischen Informationen durch Ralf Wagner. Erwachsene an der Tageskasse 28 Euro, Kinder 5-17 Jahre zehn Euro

Anreise: Zug bis Bahnhof Schwetzingen, von dort zehn Minuten zu Fuß, oder Bus 711 ab Mannheim bis Schlossplatz. Mit dem Auto über die B 36 zum Parkplatz am Alten Messplatz in 300 Metern Entfernung. pwr

Sein Nachfolger Carl Philipp verkracht sich mit den Heidelbergern und beschließt daher 1720, die Residenz nach Mannheim zu verlegen. Bis er die 1731 beziehen kann, lebt er teils in Mannheim in einem Palais in R 1, teils in Schwetzingen. Unter ihm wird der Garten vergrößert und geometrisch gegliedert. Zudem lässt er die Straße nach Heidelberg zu einer Allee mit Maulbeerbäumen ausbauen - zur Produktion von Seide. Diese Allee diene „der Repräsentation und zur Verbildlichung der Tradition der Machtzentren der Alten Residenz und der Sommerresidenz“, so Schröck-Schmidt. Zudem habe die kurpfälzische Regierung damit ihre Fortschrittlichkeit zeigen können, gilt der Anbau von Maulbeerbäumen und der Aufbau eigener Seidenmanufakturen doch seinerzeit als sehr modern.

Erst unter Kurfürst Carl Theodor, der ab 1742 regiert, blüht Schwetzingen aber so wirklich auf – nicht nur als prächtige Sommerresidenz, sondern als faszinierendes Gesamtkunstwerk aus Gebäuden und Gartenkunst, Wasserkunst, Skulpturen und kultureller Nutzung, wozu der ganze Hofstaat und das Hoforchester jährlich im Frühjahr nach Schwetzingen übersiedeln.

Im Stil einer Inszenierung am Theater

In Carl Theodors Ära wird der Schlossgarten 1749 vom Renovator Jean Baptist Krönert, einem Landvermesser, mit einem Raster überzogen und so einheitlich angelegt. „Das Ganze wurde an der Achse Königstuhl-Kalmit ausgerichtet und schließlich auf den Jagdstern und den Schlossplatz ausgedehnt“, so Wolfgang Schröck-Schmidt.

Diese Achse nennt auch Joachim Kresin „das städtebaulich bestimmende Element der Sommerresidenz Schwetzingen“. Nach Angaben des Schwetzinger Stadtarchivars ist es Carl Theodor, der beschließt, entlang dieser Achse quasi eine neue Stadt zu bauen. Zwischen den mittelalterlichen Siedlungskernen, dem Oberdorf im Süden und dem Unterdorf im Norden, stehen nur ein paar Häuser. Das Areal vor dem Schloss ist weitgehend frei, wird landwirtschaftlich genutzt.

Hofbaumeister Alessandro Galli da Bibiena schafft dann am Ende der Achse der Maulbeerbaumallee mit der Anlage des Marktplatzes, dem heutigen Schlossplatz, eine Verbindung zwischen Schloss sowie dem Schwetzinger Ober- und Unterdorf. „Der Schlossplatz verschmolz so mit dem Ehrenhof zu einer Einheit“, sagt Schröck-Schmidt.

Der Markt könne dem Schloss einen „überaus ansehnlichen Prospekt“ abgeben, so der Hofbaumeister 1750 zum Kurfürsten. Bibiena sei es „gelungen, ganz im Stil einer Inszenierung, die er als Bühnenbildner und Theaterarchitekt zur Perfektion gebracht hatte, den Ehrenhof des Schlosses mit dem Markt zu einer Einheit zusammenzufügen“, findet Stadtarchivar Joachim Kresin.

Anmeldung Newsletter "Topthemen am Abend"

„Die auf dem Reißbrett entstandene Neustadt sollte Siedlungswillige aus der Umgebung anlocken“, so Kresin. Aber auch fünf alteingesessene Familien erhalten hier ihre neue Heimat, deren Häuser dem ebenso vor 275 Jahren abgeschlossenen Bau des nördlichen Zirkelhauses weichen müssen. Als südliche Begrenzung entsteht nach Plänen von Artilleriemajor L‘Ange eine Kaserne für die kurfürstliche Leibgarde zu Pferde - 1833 geräumt und in fünf Wohnhäuser aufgeteilt.

Die wenigen alten Häuser am Schlossplatz habe man damals abgebrochen, repräsentative Neubauten errichtet. Ein Bau liegt Carl Theodor besonders am Herzen, so Ralf Wagner, Konservator der Staatlichen Schlösser und Gärten für Schloss Schwetzingen. Es ist das 1748 von Bibiena errichtete Gebäude für Jesuitenpater Franz Joseph Seedorf, Erzieher und Beichtvater des Kurfürsten. Nach dessen Tod 1758 logieren die Staatsminister Freiherr von Zettwitz und Graf Christian Reichsgraf von Oberndorff hier, ehe es ab 1818 als Gasthof und Hotel „Goldener Hirsch“ dient und heute als „Palais Hirsch“ der Stadt für repräsentative Zwecke.

Hier geht es direkt weiter Richtung Kalmit: Blick vom Dach des Schwetzinger Schlosses in Richtung Schlossgarten. und Pfälzer Wald. © Dorothea Lenhardt

Viele Musiker der Hofkapelle und im Theater auftretende Künstler hätten im Sommer in Häusern am Schlossplatz Quartier bezogen, weiß Ralf Wagner. Auch von Friedrich Schiller sei überliefert, dass er einst auf der Fahrt zu der Uraufführung seiner „Räuber“ in Mannheim am 12. Januar 1782 am Schlossplatz übernachtet hat. „Die Uraufführung hätte er fast verpasst“, so Wagner, denn der Dichter trinkt und flirtet wohl etwas zu viel.

1759 verleiht der Kurfürst Schwetzingen das Marktrecht. „Das ist groß gefeiert worden mit einem Schäferspiel auf dem Platz“, so Wagner. Allerdings muss zuvor der zu tief liegende Platz mit 4000 Wagen Sand und Erde aufgeschüttet werden. „Nach Mannheimer Vorbild umfasste man 1767 die angelegen Baumalleen mit Planken, mit eichenen Brettern, befestigt an Steinpfosten“, ergänzt Kresin.

Idee lebt in Radschnellweg weiter

Die damalige symmetrische Bauweise hat sich letztlich bis heute erhalten, seit 275 Jahren. 2011 hat es die Stadt geschafft, durch eine Verkehrsberuhigung, Natursteinpflasterung und eine vierreihige Baumallee die Verbindung von Stadt und Schloss zu verstärken. Seine besondere barocke räumliche Wirkung entfaltet der 10.000 Quadratmeter große Platz seither noch mehr.

Aber erst wenn man nun – gedanklich oder tatsächlich - weiter nach Westen geht, entsteht die komplette Linie zwischen dem 567 Meter hohen Königstuhl und dem mit knapp 674 Metern höchsten Berg der Pfalz, der Kalmit. Das Schloss genau auf dieser Achse zu platzieren, betone laut Schröck-Schmidt „den geopolitischen Machtanspruch der Kurfürsten“ aus dem wichtigen Geschlecht der Wittelsbacher und den Zusammenhalt auf beiden Seiten des Rheins.

Für den Beichtvater des Kurfürsten gebaut: das Palais Hirsch. © Dorothea Lenhardt

Aber die Achse nach dem Schlossgarten noch fortzusetzen, das gelingt erst 1757 - und zwar einem Musiker, „ausgerechnet“, wie Ralf Wagner amüsiert anmerkt. Denn tatsächlich ist es der Hofmusiker Johann Michael Quallenberg, der die Idee für eine Sternallee in der Schwetzinger Hardt hat. Der Klarinettist bekommt tatsächlich den Auftrag von Kurfürst Carl Theodor, im Wald westlich vom Schlossgarten einen Zirkel als Jagdgebiet zu schaffen - nach dem Vorbild vom Karlstern im Käfertaler Wald in Mannheim. Zur Einweihung 1759 darf seine Schwiegermutter dort Getränke ausschenken. Dann übernimmt Gartendirektor Nicolas de Pigage die Zuständigkeit und legt eine Allee an – heute teils nachvollziehbar anhand der Bundesstraße nach Hockenheim.

Einige Jahrzehnte lebt der Gedanke der Kurpfalzachse in der 1873 betriebenen Bahnlinie Heidelberg-Schwetzingen-Speyer weiter, aber 1967 wird sie eingestellt. Doch über die Symmetrien innerhalb von Schwetzingen hinaus wird die Idee der Achse nun in den Planungen für einen Radschnellweg entlang der Trasse der alten Maulbeerallee nach Heidelberg wieder aufgegriffen.

Redaktion Chefreporter

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke