Mannheim. Zur Einstimmung auf den großen Tag erklingt Musik im Ballhaus hinter dem Westflügel des Schlosses. 20 Jahre später geht es im Zuge der Koalitionskriege durch habsburgische Artillerie in Flammen auf und wird nie mehr aufgebaut. Aber am 14. August 1875 gibt es dort festliche „Abend-Unterhaltung“ mit einem Konzert der Kapelle der Badischen Leib-Dragoner.
Zur feierlichen Begrüßung „Seiner Königl. Hoheit des Grossherzogs“ formiert sich am 15. August in der Breiten Straße ein Festzug, angeführt von gleich drei Militärkapellen, der sich vom Rathaus in F 1 zum Schloss bewegt. Von dort geht es ans Rheinufer, wo 17 festlich geschmückte Dampfboote den Großherzog und die städtische Delegation aufnehmen. Stromabwärts fahren sie in das neue Hafenbecken, in dem es abends noch Wettfahrten von Rhein-, Neckar- und Ruhrschiffern gibt sowie ein Feuerwerk und bengalisches Feuer an der Rheinbrücke. So pompös wird vor 150 Jahren der Mühlauhafen - der damals aber noch nicht so heißt - eingeweiht.
Tipps für Besucher
Mühlauhafen: Der Mühlauhafen liegt parallel zum Rhein an der Nordwestecke der Quadrate beginnend Richtung Norden, eingerahmt von Fruchtbahnhofstraße und Werthallenstraße. Er ist jederzeit frei zugänglich.
Museumsschiff: Auf dem alten Raddampfer „Mainz“, der am Necakr unterhalb der Kurpfalzbrücke (Necakrvorlandstraße) liegt, richten Ehrenamtliche derzeit eine Ausstellung mit Modellschiffen und Informationen zur Schifffahrts- und Hafengeschichte ein. Zu den öffentlichen Führungen ist das Museumsschiff immer am 2. Sonntag im Monat von 14 bis 16 Uhr für Rundgänge und Vorführungen geöffnet, demnächst wieder am 10. August und am 14. September sowie am Samstag, 13. September, 18 bis 23 Uhr, zur Nacht des offenen Denkmals
Ausstellung zur Stadtgeschichte: Marchivum – Haus der Stadtgeschichte und Erinnerung, Archivplatz 1 (Dammstraße/Ecke Bürgermeister-Fuchs-Straße), 68169 Mannheim
Öffnungszeiten/Eintritt: Dienstag, Donnerstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, Mittwoch 10 bis 20 Uhr, am Montag geschlossen, an jedem Feiertag geöffnet außer 24. und 31. Dezember. Neun Euro, ermäßigt 4,50 Euro, Familienticket 20 Euro. pwr
Mannheim, rund 40.000 Einwohner groß, hat zu dem Zeitpunkt zwar längst einen Hafen. Bereits 1828 wird der Stadt ein zollbegünstigter Freihafen am Rhein bewilligt. Es handelt sich aber nur um eine Anlegestelle etwa auf Höhe vom heutigen Haus Oberrhein. 1834 bis 1840 entsteht das erste große Hafenbecken mit Zufahrt vom Rhein. Aber die Stadt wächst, Handel und Industrie bekommen immer stärkere Bedeutung, auch Rheintouristen aus ganz Europa steuern per Dampfschiff die Quadratestadt an. Daher entsteht der Wunsch nach Erweiterung.
Dafür bietet sich ein Areal an, wo das aufkommende Bürgertum seine Spaziergänge zu machen pflegt: westlich der Quadrate zwischen Neckar und Rhein. Ein beliebtes Ausflugsziel auf der Mühlauinsel stellt das Mühlauschlösschen dar, gelegen zwischen heutiger Rheinkaistraße und Fruchtbahnhofstraße. Der einstöckige Rokokobau verfügt lange über eine große, beliebte Außengastronomie, bis er 1894 für eine Hafenerweiterung weichen muss.
Zunächst heißt das neue Becken schlicht Hafenkanal. Erst ab etwa 1900 setzt sich für die neuen Anlagen die Bezeichnung Mühlauhafen durch, die anfangs gar nicht verwendet wird. Hanspeter Rings nimmt an, dass man die „schmerzliche Erinnerung an die einstige Idylle vermeiden“ und „deshalb den neuen Hafen nicht mit der zerstörten Mühlau in Verbindung bringen“ will. Doch das sei Spekulation, schränkt der Historiker ein, der für das Marchivum viele Jahre Mannheims Hafengeschichte erforscht hat.
Kriegsgefangene müssen Becken ausgraben
Der Baubeginn für den späteren Mühlauhafen fällt mit dem Deutsch-Französischen Krieg 1871/71 zusammen und gerät durch ihn anfangs etwas ins Stocken. Aber durch die Reichsgründung 1871 sowie die von Frankreich verlangten Reparationszahlungen kommt es zum Wirtschaftsaufschwung, weshalb die neuen Umschlaganlagen umso mehr benötigt werden.
Bei dem vom großherzoglichen Oberbaurat Franz Joseph Keller geleiteten, vom badischen Staat finanzierten Bauarbeiten kommen anfangs auch französische Kriegsgefangene zum Einsatz. Aber man merkt schnell, dass - anders als beim ersten Hafenbecken 1840 - Schaufel und Spitzhacke nicht mehr zeitgemäß sind, weshalb Dampfbagger anrücken. Sie heben das 120 Meter breite, 2100 Meter lange und parallel zum Rhein verlaufende Becken aus. Zusätzlich entsteht ein von der badischen Staatseisenbahn betriebener Güterbahnhof. Zudem wird zwischen 1874 und 1878 der 1300 Meter lange und 60 Meter breite Verbindungskanal zum Neckar angelegt und an seiner Südspitze mit dem Mühlauhafen verbunden. Damit können Rheinschiffe vom Norden her in das neue große Hafenbecken einfahren und es über die Kammerschleuse im Süden verlassen.
Durch den Hafen entwickelt sich Mannheim laut Hanspeter Rings „zu einem der größten Handels- und Industrieplätze Deutschlands in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts“. An den Ufern siedeln sich schnell Firmen an, wachsen imposante Lagerhäuser empor, werden Kräne errichtet, schleppen aber besonders Heerscharen von Sackträgern die Lasten. „Die schnurgeraden Kaianlagen des Mühlauhafens boten optimale Möglichkeiten zur Errichtung von Hallen - dem Mannheimer Handel war ein lukratives Bett bereitet“, verweist der Historiker auf viele Neubauten.
Knotenpunkt des Getreideweltmarktes
Zugleich ändert sich der Charakter der Ladung. „Nun stapelten sich an den Kais nicht mehr Kolonialwaren wie Kaffee, Kakao, Nelken und Rosinen, nun roch es nach Getreide, Kohlen und Petroleum“, so Hanspeter Rings. Vor allem die typischen Massengüter werden angeliefert. Mannheim entwickelt sich „zu einem Knotenpunkt des Getreideweltmarktes“, so Rings, dessen Produkte hier in zahlreichen Mühlen weiter verarbeitet werden.
Befinden sich am rechten, östlichen Ufer des Mühlauhafens die Lagerhäuser, Silos und Büros, so dominieren laut Rings am linken Ufer Holzverarbeitungsbetriebe und Kohlenhandel. Schließlich avanciert Mannheim „zur Hauptumschlagstelle für den Ruhrkohlenversand nach Südwest- und Süddeutschland, Österreich und der Schweiz“, so der Historiker, mit zahlreichen Kohlenhalden und Brikettfabriken.
Ferner entwickelt sich der Mühlauhafen zur zentralen Plattform für amerikanische Mineralöle, die über die Niederlande und den Rhein nach Mannheim gelangen. Bald reichen die Petroleumkeller der Mannheimer Lagerhaus-Gesellschaft nicht mehr. Schon aus Sicherheitsgründen wird daher die abgelegene Neckarspitze zur Lagerung genutzt, wo erst gewaltige Fasspyramiden entstehen und dann mit dem Aufkommen der Tankschiffe die – heute dort noch existierenden – Großtanks. Mannheim, so Hanspeter Rings, dürfte um 1880 „der erste Binnenhafen gewesen sein, der Tankschiffe löschte“.
Das alles lässt sich in Zahlen belegen. Liegt der Mannheimer Hafenumschlag 1865 bei 370.000 Tonnen pro Jahr, sind es 1875 über 770.000 Tonnen und 1880 schon mehr als eine Million Tonnen. „Im neuen Hafenbecken wimmelt es geradezu von Schiffen, von Frachtkähnen, aber auch Dampfschleppern“ schildert Rings das rege Leben im Mühlauhafen. Weil bereits in den 1880er Jahren die Uferplätze im Mühlauhafen belegt sind, gibt es Pläne für ein weiteres, zwischen Mühlauhafen und Rhein gelegene, längsgestrecktes Becken, die aber nie realisiert werden. Stattdessen entsteht 1907 der Industriehafen.
Neben seiner enormen wirtschaftlichen Bedeutung kommt dem Mühlauhafen um die Jahrhundertwende der Rang einer Sehenswürdigkeit zu, ist er Ziel von Ausflüglern und Touristen und wird genannt in Reiseführern, abgebildet auf Postkarten.
Ort der legendären Ruderregatta
Schließlich entwickelt er sich zu einer begehrten Sportstätte. Schon im März 1878 gründen die Amicitia und der Mannheimer Ruderclub von 1875 den Mannheimer Regattaverein, um gemeinsam Großveranstaltungen auszurichten. Im August 1878 startet erstmals die Oberrheinische Ruderregatta. Im Mühlauhafen gehen 20 Boote mit 88 Ruderern an den Start. Nach und nach wird der Zusammenschluss größer, treten die Mannheimer Rudergesellschaft Baden, die Ruderer von Rheinau, der Volkstümliche Wassersport Mannheim sowie Vereine aus Ludwigshafen und Frankenthal bei.
Zwar ist der Mühlauhafen eigentlich zu klein – er bietet nur eine Streckenlänge von 1875 Metern statt der für internationale Titelkämpfe eigentlich erforderlichen 2000 Meter. Doch eine geschickte Vereinsführung propagiert das als „Mannheimer Meile“. Da der Hafen abgesperrt werden kann und etwas windgeschützter als ein Fluss liegt, schätzen die Sportler ihn als idealen Platz fürs Regattarudern – zumal das Interesse des Publikums immer groß ist, die Ausrichter für eine gute Atmosphäre und Betreuung sorgen.
Olympiasieger und Weltmeister gehen daher gerne im Hafenbecken an den Start. Der Deutsche Ruderverband vergibt einige Male sogar nationale Titelkämpfe nach Mannheim. 10.000 Zuschauer bejubeln 1953 gleich zwei Mannheimer Boote im Finale, darunter der siegreiche Amicitia-Achter mit dem später bei Olympischen Spielen als Trainer so erfolgreichen Hans Bichelmeier am Steuer.
Es ist insbesondere Victor Beyer, der ab 1969 als Vorsitzender des Regattavereins die „Oberrheinische“ zu einzigartiger Blüte führt und sie zum wichtigsten Ruderertreff des Kontinents und zugleich zum Markenzeichen Mannheims ausbaut. Selbst als der Ostblock noch abgeschottet ist, schafft er es, Athleten aus diesen Ländern nach Mannheim zu bringen – und sie dürfen sogar in der Ludwig-Frank-Kaserne der Bundeswehr übernachten. Ende der 1990er Jahre erhält Mannheim indes zunehmend Konkurrenz. 2000 wird die „Oberrheinische“ eingestellt, aber weiter die „Oberrheinische Frühregatta“ mit dem Schwerpunkt auf Nachwuchsrudern ausgetragen. Im südwestdeutschen Raum ist dies die größte Veranstaltung dieser Art.
Mannheim als Vorreiter beim Containerterminal
Wirtschaftlich hat der Mühlauhafen nach wie vor eine enorme Bedeutung. Hafendirektor Uwe Köhn nennt ihn „ein Herzstück unseres Hafens, ein ganz wichtiger Bestandteil“. Das liegt insbesondere am Containerterminal, das 1968 in Betrieb gegangen und seither mehrfach erweitert worden ist. „Mannheim war da Vorreiter, es war die erste derartige Einrichtung in einem Binnenhafen“, betont Köhn.
Die inzwischen vier riesigen Portalkräne ermöglichen den sogenannten kombinierten Verkehr der drei Verkehrsträger Schiff, Lkw und Bahn. Dreimal wöchentlich fahren von hier Binnenschiffe mit Containern von und nach Antwerpen und Rotterdam, viermal wöchentlich Züge nach Bremerhaven und Hamburg, gar acht mal nach Rotterdam und einmal nach Wilhelmshaven. „Wir sind ein sehr wichtiges Drehkreuz für die Warenlogistik“, betont Köhn. Acht große Firmen seien daher hier ansässig sowie große Lager – und nicht nur das: Die Wasserschutzpolizei befindet sich im Mühlauhafen, der Liegeplatz vom Feuerlöschboot, das Dienstboot „Oberrhein“ und die Geräte der Wasserbauabteilung der Hafengesellschaft und auch die „Wichern“, von der aus die Evangelische Schifferseelsorge den Segen auf dem Wasser bringt.
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