Mannheim. Es sind 35 heutige Din A 4-Seiten, ehe das kurfürstliche Siegel folgt. Und das alles dient dem Zweck, „damit Mannheim wiederum in Stand gebracht und erbauet werden möge“. So formuliert es Kurfürst Johann Wilhelm am 31. Oktober 1698 und erlässt damit neue Stadtprivilegien. Das Datum gilt als dritte Stadtgründung nach der Erbauung der Festung 1606/07 sowie dem 1652 verfassten Papier, das Mannheim nach den verheerenden Folgen des Dreißigjährigen Kriegs wiederauferstehen lässt.
Damals ist die Stadt seit 1622 weitgehend unbewohnt. 1649 kehrt Kurfürst Karl Ludwig (1617-1680) in die Kurpfalz zurück, die ihm im Westfälischen Frieden wieder zugesprochen worden wird. Er residiert in Heidelberg, will aber die Festung Friedrichsburg wieder aufbauen. Doch die ursprünglichen Einwohner sind entweder tot oder geflüchtet. Also will er Zuwanderer gewinnen, „…ehrliche Leut von allen Nationen“, wie er in Deutsch, Niederländisch und Französisch schreibt. „Die 19 Artikel umfassenden Stadtprivilegien zählen zu den modernsten Stadtverfassungen im Deutschland des 17. Jahrhunderts“, so Angelika Dreißigacker vom Marchivum.
Keine Leibeigenschaft mehr
Maßgebliche Formulierungen gehen auf den Mannheimer Stadtdirektor Henri Clignet (1607-1683) zurück. Neben der Abschaffung der Leibeigenschaft und des Zunftzwangs winken Neubürgern eine 20-jährige Steuerbefreiung sowie ein kostenloser Bauplatz, lediglich mit einem jährlichen Zins. Besonders ungewöhnlich für die damalige Zeit ist die Offenheit gegenüber allen Religionen, worauf viele Menschen aus französischsprachigen Gebieten (besonders Hugenotten), Flandern, Holland, der Schweiz oder Italien einwandern und gemeinsam die Stadt aufbauen.
Aber leider nur für kurze Zeit: Der Pfälzische Erbfolgekrieg von 1688 bis 1697 bedeutet die zweite Zerstörung Mannheims. „Brulez le Palatinat“ (Brennt die Pfalz nieder!) hat der „Sonnenkönig“ Ludwig XIV. seinen Generälen befohlen, und das tun sie mit enormer Brutalität, wie sich aus im Marchivum erhaltenen Schilderungen und Ratsprotokollen ergibt. Von Mannheim sowie vielen Städten und Dörfern der Region lassen sie nur Berge von Schutt und verkohlten Balken übrig. Häuser, Wälle, Gräben und Bollwerke - alles überrannt und niedergebrannt, oft sogar mehrfach. Gleich zu Beginn des Krieges wüten die französischen Soldaten das erste Mal in Mannheim und ziehen im April 1689 erstmal weiter. Da sind die Bewohner der Stadt schon fast alle geflohen, teils bis in weit entfernte Gebiete. So gestattet der brandenburgische Kurfürst Friedrich III., dass sich etwa 200 kurpfälzische Familien in Magdeburg ansiedeln.
Auch nach Halle, Stendal, Frankfurt und Hanau fliehen Mannheimer, nach Eberbach und sogar bis zu 400 nach Weinheim. Ein paar Offizielle - Stadtschultheiß, Stadtschreiber, Ratsherren - können sich auch in die Stadt am Neckar retten.
Der Herrscher droht
Die Mannheimer würden gerne zurück. Die Franzosen verbieten es jedoch und drohen im Mai 1689, alle zu töten, die versuchen, in den Trümmern zu hausen. Die Soldaten unter General Ezéchiel de Mélac wollen nicht nur auf Dauer die Festung schleifen, sondern auch keine Behausungen auf dem Gelände dulden. Und weil einige unerschrockene Bürger doch bauen, marschieren im August wieder Truppen ein und reißen nieder. Mehrfach folgen auf neu entstehende Häuser Überfälle von der anderen Rheinseite. Mannheim und die Festung, so die Franzosen, sollen nie mehr besiedelt werden.
Aber dann schließen die Franzosen und das Heilige Römische Reich Deutscher Nation mit seinen zahlreichen Verbündeten („Wiener Allianz“) im Oktober 1697 in der holländischen Gemeinde den Frieden von Rijswijk. Noch ehe der Vertrag unterzeichnet ist, im September 1697, fordert Johann Wilhelm in einer Proklamation, seine geflüchteten Landeskinder mögen nun bitte zurückkehren. Wer das nicht binnen fünf Monaten tue, dem drohe der Verlust seines Vermögens und seiner Grundstücke. Die sind aber überwiegend so verwüstet, dass der Aufruf ohne große Wirkung bleibt.
Das ärgert den Kurfürsten - auch wenn er selbst keineswegs als Vorbild fungiert, sondern in Düsseldorf bleibt. Von dort erlässt er im März 1698 das Edikt, das den Wiederaufbau an alter Stelle genau regelt. Doch trotz des kurfürstlichen Aufrufs, die Notsiedlung „Neu-Mannheim“ auf dem Gebiet der heutigen Neckarstadt zu verlassen, zögern die Bewohner. Mehrfach wiederholt er daher seine Forderung und verbindet sie mit der Drohung, die Neu-Mannheimer würden sonst als Landbewohner angesehen - nicht mehr als privilegierte Stadtbürger.
Große Steuervorteile
Und er zeigt, dass und wie ernst er es meint - mit dem Wiederaufbau am alten Ort und mit seiner Forderung, und erlässt am 31. Oktober 1698 neue Stadtprivilegien, mit denen er an die von 1652 anknüpft, teils noch weiter geht. Der „durchlauchtigste Fürst und Herr“, wie es in dem kostbaren Papier heißt, will damit alles tun, damit „die durch französ. Grausamkeiten zerstöre Statt Mannheim wieder zu besserer Aufnahm möge gebracht werden“. Die „wohlgelegene Statt an den schiffreichen Ströhmen, dem Rhein und Neckar“ solle von allen, die sich im Exil befinden, wieder errichtet werden.
Dafür wolle er ihnen „verschiedene Gnaden und Freyheiten“ zubilligen, sie sollen etwa „zu ewigen Tagen befreit von aller Dienstbarkeit und Leibeigenschaft“ sowie von der Pflicht zur Zahlung von kurpfälzischen Wasser- und Landzöllen enthoben sein. Für 30 Jahre verspricht der Regent Steuervorteile (er werde Mannheimer „erträglicher schätzen“ als andere Städte), auch die Wein- und Biersteuer werde „erträglicher sein“, er sagt Brennholz zu sowie „die Macht zu jagen und zu fischen, ausgenommen das hohe Wild“ und das Fischen in den Gewässern, aus denen die kurfürstliche Küche „mit Fischen versehen wird“.
Rheinzoll für die Stadt
Von ganz besonderer Bedeutung sind erneut die konfessionelle Gleichberechtigung sowie die Zunft- und Gewerbefreiheit, ebenso die Ermächtigung des Stadtrats, Schulden aufzunehmen und Rheinzoll zu kassieren. Die Konfessionsfreiheit bedeutet, dass Bewohner nicht den Glauben des Regenten annehmen müssen. Es ist eine Einladung an alle, sich in Mannheim niederzulassen. „Damit wird Zuwanderung ein elementarer Baustein, um die Stadt zu neuer Blüte zu führen“, hat es der frühere Marchivum-Direktor Ulrich Nieß formuliert, als das Marchivum 2021 die Mannheimer Migrationsgeschichte aufarbeitete und dabei bewusst bei den Zuwanderern anfing, die schon im 17. Jahrhundert der Quadratestadt zu neuer Blüte verholfen haben.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-wie-der-kurfuerst-vor-325-jahren-den-wiederaufbau-mannheims-regelte-_arid,2141394.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html
[2] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/heidelberg.html