Mannheim. Lange war es ein Rätsel, jetzt ist es gelöst: Warum ist der Grundstein des Nationaltheaters im September 2024 an einer ganz anderen Stelle in der Baugrube aufgetaucht als dort, wo er einst verlegt worden war? Schuld ist eine nie aufgeklärte Straftat, wie nun bei einer Ausstellung in der Ersatzspielstätte Oper am Luisenpark (Opal) zu sehen ist.
Bei Aushubarbeiten für die neuen Probenräume, die unterirdisch für das Theater geschaffen werden, war im September 2024 ein Bagger auf einen Behälter gestoßen, der sich als Teil vom Grundstein entpuppt hat. „Eine wunderbare Fügung!“, so Kulturbürgermeister Thorsten Riehle bei der Ausstellungseröffnung. „Keiner wusste, wo er vergraben war.“
Grundsteinlegung für das Nationaltheater Mannheim am 18. Juni 1954
Aber eine Anwohnerin aus der Hebelstraße meldete sich. Sie war an jenem 18. Juni 1954 dabei, als in einer festlichen Zeremonie der Neubau am Goetheplatz begonnen wurde. 10.000 Menschen, so heißt es in Berichten von damals, sollen dabei gewesen sein. „Jedenfalls weiß ich noch, dass es eine ganze Menge Leute waren“, so Gunhild Wille, die der Geschäftsführende Intendant Tilmann Pröllochs jetzt besonders begrüßte. Elf Jahre alt war sie damals, sie lebte mit ihrer Familie gegenüber vom Bauplatz. „Das war unser Spielplatz, Tennisbunker genannt“, sagt sie - denn über dem nach dem Zweiten Weltkrieg als Studentenwohnheim genutzten Tiefbunker befanden sich Tennisplätze. Warum sie alleine, ohne ihre Familie, bei dem großen Fest zuschaute, weiß sie nicht mehr - aber dass sie auf einer Wiese saß. „Die Reden habe ich mir bestimmt nicht mehr angehört“, sagt sie heute, aber an das Fest hat sie schon noch konkrete Erinnerungen.
Mannheimer Staatsanwaltschaft ermittelt im Grundstein-Fall vergeblich
Und sie half mit ihren Erinnerungen nun auch Nele Haller und Dominic Zerhoch von der Geschäftsstelle Generalsanierung des Nationaltheaters, als sie die Geschichte des Grundsteins erforschten. Denn dort, wo ein Bagger im September 2024 auf eine zerbeulte Blechkiste stieß, war er bei dem Fest sicher nicht vergraben worden. In den Akten stießen sie dann, so Haller, auf eine „kleine Sensation“. Da war nämlich auch ein Papier der Staatsanwaltschaft abgeheftet, eine Einstellungsverfügung.
Tatsächlich stellte sich heraus, dass im August 1954, wenige Wochen nach der Grundsteinlegung, die Deckenplatte des Grundsteins aufgebrochen worden war. Warum und von wem - das blieb ein Rätsel. „Die Täter wurden nie ermittelt, das Verfahren eingestellt“, so Nele Haller. Der Bauleiter habe die Zeitkapsel aber daraufhin an sich genommen und sie offenbar dann irgendwo im Boden versenkt. „Daher ist es nochmal spektakulärer, dass wir sie gefunden haben“, so Haller.
Neuer Grundstein geplant
Die Ausstellung ist bis Ende Juli jeweils vor Vorstellungen bei freiem Eintritt im Oberen Foyer von der Oper am Luisenpark (Opal) zu sehen. Die sind aber nur über Treppen erreichbar.
Danach soll die Ausstellung in das Theater auf Franklin wandern. Weitere Orte sind ebenso geplant.
Im Herbst soll in einem der im Zuge der Generalsanierung entstehenden neuen Anbauten am Goetheplatz eine neue Zeitkapsel eingelassen werden. Der Geschäftsführende Intendant Tilmann Prölochs hat die Bürger eingeladen, sich mit eigenen Ideen und Beiträgen einzubringen, was dort alles für die Ewigkeit festgehalten werden soll. Entsprechende Vordrucke und ein Briefkasten dazu gibt es in der Ausstellung, können aber auch so an das Theater gerichtet werden. pwr
Dass der Bauleiter Karl Wegerer „korrekt und energisch“ mit seinen Mitarbeitern umgegangen sei - auch das kann man nun nachlesen. Ein Zeugnis für ihn fand sich ebenso in der Zeitkapsel des Grundsteins wie Spielzeithefte, Programmhefte, die Sonderausgabe der „Mannheimer Hefte“ zum 175-jährigen Bestehen des Nationaltheaters, zwei Verwaltungsberichte der Stadt und der Gemeinderatsbeschluss zum Neubau sowie Zeitungen und ein Mannheimer Adressbuch. All das ist jetzt ausgestellt, auch die Baupläne für den Umbau der ehemaligen Liselotteschule zum Sitz der Intendanz und Werkhaus. Warum aber ausgerechnet die Baupläne für das neue Nationaltheater selbst fehlen, „das konnten wir nicht klären“, so Nele Haller. Aber die Urkunde des Grundsteins ist im Original zu sehen, in der die Zerstörung des alten Nationaltheaters in B3, die Entscheidung zum Neubau und das bürgerschaftliche Engagement ausdrücklich gewürdigt werden.
Das tut auch die Ausstellung. Sie schlägt die Brücke vom alten 1775 bis 1779 auf B3 errichteten Nationaltheater, das in der Bombennacht vom 5. auf 6. September 1943 ein Raub der Flammen wurde. Aber schon 1945, wenige Monate nach Kriegsende, spielte das Nationaltheater wieder - im alten Kino „Schauburg“ in K1. Um den Standort eines Neubaus gab es in den 1950er Jahren heftige Diskussionen, und die Mehrheit der Bürger plädierte eigentlich für den Unteren Luisenpark oder N6/N7. Auch der Friedrichspark, der Schneckenhof vom Schloss oder der „Weiße Sand“ am Neckarufer, wo heute die Berufsschulen stehen, standen zur Debatte, bis die Entscheidung für den Goetheplatz fiel.
Generalsanierung des Mannheimer Theaters soll 2028 beendet sein
Zunächst war aus Kostengründen aber sogar eine Fusion der Theater Mannheim und Heidelberg erwogen worden. Dagegen wendete sich die Gesellschaft der Freunde, die 1952 gegründete Vorläuferin der Freunde und Förderer des Nationaltheaters. Sie initiierte dann 1952 eine Tombola und 1956 nochmal eine Tombola für den Wiederaufbau des Nationaltheaters. Hauptgewinne waren ein Pelzmantel und Autos, insgesamt 1,2 Millionen D-Mark kamen so zusammen.
Die Grundsteinlegung war dann „an einem ungewöhnlich heißen Tag“, so Dominic Zerhoch, und der Andrang so groß, dass für den inneren Bereich des Festaktes Einlasskarten ausgegeben werden mussten. „Es bekamen aber nicht alle eine Zugangsberechtigung, insbesondere einige Ehefrauen nicht, und einige Leute mussten stehen. Das fanden nicht alle so lustig“, so Zerhoch unter Bezugnahme auf alte Akten, in denen sich auch dazu Beschwerden finden.
Doch rückblickend wertet Kulturbürgermeister Riehle das alles als Bekenntnis der Bürger zu ihrem Nationaltheater. Immerhin hätten zum Zeitpunkt des Baus 1954 bis 1957 noch Menschen in Bunkern gewohnt, „aber die Mannheimer wollten ihr Theater wieder haben“. Es sei auch ein für die damalige Zeit und bis heute modernes Theater. „So hat man sich damals ein Theater vorgestellt, und es funktioniert auch immer noch, es ist nicht alt in seiner Funktion“, betonte Riehle. Nur die Technik müsse erneuert, neuen Arbeits- und Brandschutzvorschriften entsprochen werden. „Aber es geht vorwärts“, sagt er, und in der Spielzeit 2028/29 kehre das Nationaltheater auch an den Goetheplatz zurück.
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