Mannheim. Sie hatten zunächst von 66 Objekten gesprochen, aber es sind deutlich weniger. Die Reiss-Engelhorn-Museen verfügen in ihren Sammlungen über weniger als Raubkunst geltenden Exponate aus dem heutigen Nigeria als gedacht. Sie gehen nach neuesten Forschungsergebnissen derzeit von 29 oder 30 „Benin-Bronzen“ und ähnlichen Stücken aus. Details werden am Tag der Provenienzforschung am Mittwoch, 13. April, vorgestellt.
Tag der Provenienzforschung
- Zum „Tags der Provenienzforschung“ gewähren die Reiss-Engelhorn-Museen am Mittwoch, 13. April, um 18 Uhr im Florian-Waldeck-Saal im Museum Zeughaus C 5 Einblick in die Forschung. Eintritt frei.
- Fünf Wissenschaftler des Museums widmen sich in Kurzvorträgen ausgewählten Aspekten. Erstmals werden neue Erkenntnisse zu Benin-Objekten, den Sammlungen Bumiller und Thorbecke vorgestellt. Ein Vortrag behandelt Blut-Antiken auseinander, mit deren illegalem Verkauf Krieg und Terror finanziert werden.
- Zudem widmet sich ein neuer Audio-Podcast der Reiss-Engelhorn-Museen dem Umgang mit dem kolonialen Erbe. Im Gespräch mit Norman Schäfer gewähren Direktorin Sarah Nelly Friedland und Oussounou Abdel-Aziz Sandja einen Einblick ins Thema. Zu hören ist der von Roche unterstützte Podcast der Reihe „Culture after Work“ unter www.digital.rem-mannheim.de sowie auf allen gängigen Plattformen wie Spotify, Anchor FM, Google Podcasts und Apple Podcasts.
„Benin-Bronzen“ – das Wort steht meist stellvertretend für Kunstgut, das frühere Kolonialmächte raubten. 1897 hatten britische Truppen das afrikanische Königreich Benin überfallen. Sie plünderten den Königspalast und nahmen als Trophäen 500 Jahre alte Gusstafeln, Gedenkköpfe sowie Tier- und Menschenfiguren mit. Diese landeten später in Museen, aber oft auch im Kunsthandel.
Dass auch Mannheim solche Objekte in den 1920er Jahren ankaufte, ist lange bekannt, wenngleich immer angenommen wurde, dass es nicht viele Exemplare sind. Das ergab sich jetzt, gehen doch die Reiss-Engelhorn-Museen konsequent die Aufarbeitung der aus Kolonialzeiten stammenden Sammlungen an.
Keine Rückgabeforderung
Aus dem früheren Benin, dem heutigen Nigeria, besitze man „29 oder 30“ Objekte, so Sarah Nelly Friedland, Direktorin der Reiss-Engelhorn-Museen für Archäologie und Weltkulturen sowie Projektkoordinatorin der Aufarbeitung. „Bei einem Exponat sind wir uns noch nicht ganz sicher“, sagt Friedland. Sonst habe die Forschung gezeigt, dass „manche Objekte doch in der Kartei falsch zugeordnete waren, anderen Ethnien gehörten oder viel zu modern waren, um aus dieser Zeit zu stammen“, erläutert sie. Selbst bei den eindeutig als aus Niger stammend identifizierten Exponaten handele es sich nicht nur um Bronzen, sondern „auch um Stücke als Holz und Elfenbein, um Musikinstrumente, Skulpturen, Hocker“.
Die Mannheimer Objekte sollen nun, wie alle deutschen Benin-Bestände, in eine Datenbank aufgenommen werden, damit Forscher weltweit – und auch in den Heimatländern – einen Zugriff bekommen. Zwar hat der Gemeinderat ein Signal gegeben, dass die Stadt zur Rückgabe der Kunstobjekte bereit wäre. „Aber noch gibt es keine Rückforderungen“, so Sarah Nelly Friedland. Bislang konzentrierten sich die Gespräche der Nigerianer auf die fünf größten deutschen Museen mit großen Beständen aus dem früheren Benin.
Aber die 2013 begonnenen Forschungen der Reiss-Engelhorn-Museen zu ihrem kolonialen Erbe gehen weiter. Immerhin umfasst allein die Weltkulturen-Sammlung rund 40 000 Exponate aus fünf Kontinenten. Welchen Weg die Stücke ins Museum zurückgelegt haben, ist bisher oft nur lückenhaft dokumentiert. Gerne hätte Generaldirektor Wilfried Rosendahl die Provenienzforschung ausgebaut. „Wir haben bei der Stadt eine Stelle beantragt, um unsere Sammlungen gründlich untersuchen zu können“, sagt Friedland, „doch leider hat die Stadt das abgelehnt“, bedauert sie.
Immerhin zahlen Land und Stadt je zur Hälfte die auf zwei Jahre befristete Stelle eines Wissenschaftlers aus Togo, 1884 bis 1916 deutsche Kolonie, und damit von einem Vertreter eines Herkunftslandes. Oussounou Abdel-Aziz Sandja, Germanist und Kulturwissenschaftler, arbeitet seit einem Jahr an den Reiss-Engelhorn-Museen. Er sichtet, untersucht und digitalisiert zwei Sammlungen, die beide einen direkten Bezug zu ehemaligen deutschen Kolonialgebieten haben: Die eine geht auf Theodor Bumiller zurück, der im 19. Jahrhundert an Militärexpeditionen in (Deutsch-)Ostafrika teilgenommen hat, die andere brachten Frank und Pauline Thorbecke von ihrer Kamerun-Reise 1911 bis 1913 mit – etwa 2000 Exponate. Auch wenn man bei vielen Gegenständen nicht von einer rechtswidrigen Aneignung ausgeht, bleibt die Provenienz ungeklärt.
„Enorme Fleißarbeit“
In seinem ersten Forschungsjahr hat sich Oussounou Abdel-Aziz Sandja hauptsächlich der Bumiller-Sammlung gewidmet. „Das ist enorme Fleißarbeit mit den ganzen Listen, bei denen man die genauen Zuschreibungen und Beschreibungen vergleichen muss“, berichtet Sarah Nelly Friedland. Schon jetzt sei klar, dass die bisher angenommenen Zahlen nicht stimmen, weil etwa mal einfach „Speere“ verzeichnet seien, es aber offen blieb, ob es drei oder ein ganzes Konvolut sei. „Die Anzahl der Objekte ist wohl größer als wir dachten“, so die Direktorin. Man ging mal von 460 aus – vermutlich sind es doppelt so viele Teile.
Der Informationsverlust über die Jahrzehnte, als nur mit Karteikarten gearbeitet wurde, sei immens. Nach Ende der Forschungsarbeit sollen auch diese ganzen Objekte ins Internet gestellt und damit aus den Herkunftsgesellschaften abrufbar sein. Der Aufwand sei aber so groß, „dass wir für Signale vom Land dankbar sind, dass diese Stelle in ein drittes Jahr verlängert wird“, so Friedland.
Auch über die Bestände aus Niger und aus den zwei afrikanischen Sammlungen hinaus wollen die Reiss-Engelhorn-Museen mehr über ihre Sammlungen erfahren. Mit den Universitäten Düsseldorf und Mannheim laufen daher einzelne Projekte. So will Friedland mehr über den sogenannten „Ringtausch“ wissen, bei dem 1935 zuvor in Karlsruhe befindliche Bestände des badischen Staates nach Mannheim kamen – darunter waren Kunstwerke aus Afrika. Letztlich sei es aber nötig, dass über solche punktuellen Forschungsarbeiten hinaus „die Bestände komplett geprüft werden“, findet die Direktorin: „Dekolonialisierung ist eine Daueraufgabe,“ aber bislang hätten die Reiss-Engelhorn-Museen dafür kein festes Personal.
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