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Peter W. Ragge zur fehlenden Finanzierung der Aufarbeitung

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Peter W. Ragge
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Rituelle Masken aus Nigeria, Figuren aus dem Kongo, ein Thron aus Kamerun, Speere und Perlenschmuck, Ahnenschädel und Symbole des Häuptlingskults von Südseevölkern – bis weit in die 1990er Jahre hat man das in den Reiss-Engelhorn-Museen bestaunen können. Man fand das spannend und exotisch, sprach von „Völkerkunde“ und hielt es stolz für einen Beweis von Weltläufigkeit, dass Mannheim Tausende Kunst- und Ritualobjekte von, wie es so schön im Katalog steht, „außereuropäischen Kulturen“ zeigen kann. Schließlich hatte schon Kurfürst Carl Theodor angefangen, das zu sammeln.

Problembewusstsein? Das gab es viele Jahrzehnte nicht. Dass viele dieser Objekte von in der Kolonialzeit unterdrückten, ausgebeuteten Völkern stammten, ihnen oft einfach gestohlen wurden, hat man als „das war halt so“ hingenommen – oder gar nicht realisiert. Es überwog der – arrogante – westeuropäische Blick, dass das ja alles Belege dafür seien, wie sehr doch die eigene Menschheitsentwicklung den Ureinwohnern überlegen sei.

Erst seit ein paar Jahren ist die deutsche Museumslandschaft sensibel für das Thema Raubkunst. 2008 erfolgte in Mannheim die Umbenennung in „Museum Weltkulturen“ und der Verzicht auf das Wort „Völkerkunde“. Inzwischen spricht man mit distanziertem Unterton von Exponaten aus „kolonialen Kontexten“, wo noch vor ein paar Jahren mit großem Selbstbewusstsein darauf hingewiesen wurde, was für tolle Schätze man habe.

Das ist inkonsequent

Natürlich hat kein Mannheimer Museumsdirektor – weder die heutige Generation noch die Vorgänger – diese Objekte gestohlen. Die Schenkungen und Ankäufe 1917, in den 1920er Jahren und 1935 sind nach damaligem Recht und Rechtsverständnis völlig korrekt gelaufen. Aus heutiger Sicht indes muss man die Herkunft hinterfragen, weil die Stücke durch unrechtmäßige Aneignung zur Kolonialzeit in den europäischen Kunsthandel oder die Privatsammlungen gekommen sind.

Diese Aufarbeitung ist enorm aufwendig – umfasst doch allein die Weltkulturen-Sammlung der Reiss-Engelhorn-Museen rund 40 000 Exponate aus fünf Kontinenten, meist verzeichnet höchstens auf uralten Karteikarten. Politisch-gesellschaftlich wird die Aufarbeitung, die ja als Vorstufe für eine Rückgabe zu sehen ist, immer vehementer gefordert. Bis auf ein paar Forschungsprojekte und Zeitverträge ist die Politik aber nicht bereit, dafür die nötigen Stellen dauerhaft zu finanzieren. Das ist inkonsequent.

Nun kann man der Meinung sein, dass es derzeit wichtigere Aufgaben für die öffentliche Hand gibt. In der Tat hat die Corona-Pandemie nicht nur enorme Lücken in die Etats gerissen, sondern enorme Defizite der Krisenvorsorge der Verwaltung gezeigt. Hier nachzubessern ist sicher dringend. Der Ukraine-Krieg und die Folgen werden die öffentlichen Kassen noch viel, viel mehr belasten als derzeit absehbar. Insofern kann man zu dem Ergebnis kommen, dass die Aufarbeitung von Museumsgut aus kolonialen Kontexten jetzt warten muss. Auch viele andere, als wünschenswert bezeichnete Themen werden Kommunen, Länder und Bund sicher nicht mehr wie bisher bedienen können. Langsam wird es aber Zeit, dass die Politik, jenseits des aktuellen Krisenmanagements, das auch offen und ehrlich kommuniziert und zugibt.

Redaktion Chefreporter