Mannheim. Die Empörung unter Mannheimer Hausärztinnen und Hausärzten über die Rationierung des Biontech-Impfstoffs ist groß. „Das ist eine Riesenkatastrophe“, sagt eine medizinische Fachangestellte von den Hausärzten am Markt in Neckarau. „Man kann die Zulieferung des Biontech-Impfstoffs nicht einfach drosseln, das ist ein Ding der Unmöglichkeit.“ Die Praxis bietet drei Mal in der Woche Corona-Impfungen an, täglich kommt das Team auf 80 bis 100 Impfungen. „Wenn die Patienten, die bislang Biontech erhalten haben, nun erfahren, dass sie als Booster einen anderen Impfstoff, nämlich Moderna, bekommen sollen, wird die Verärgerung groß sein.“
Für die Ärzte und medizinischen Fachangestellten bedeutet das: noch mehr Gespräche, noch mehr Aufklärung. Darüber, dass Moderna genauso gut und sicher wirkt wie Biontech und dass die Dosen, die Deutschland noch eingelagert hat, Mitte des ersten Quartals 2022 zu verfallen drohen und deshalb nun vermehrt für Booster-Impfungen zum Einsatz kommen sollen. Doch eine Impfkampagne lebt vom Vertrauen. Werden plötzlich Impfstofftypen geändert, sorgt das zwangsläufig für Unruhe. „Eigentlich hatten wir uns nach Engpässen Anfang November gefreut, dass es jetzt mehr Biontech gibt“, seufzt die Sprechstundenhilfe. Nun heißt es wieder: Geduld haben, freundlich sein. „Das ist manchmal schwierig.“
"Wir könnten von morgens bis abends impfen"
Sabine Füllgraf-Horst sieht einen riesigen Verwaltungsakt auf sich sowie das gesamte Team von der Hausärztlichen Gemeinschaftspraxis am Lanzgarten auf dem Lindenhof zukommen. „Mit 30 Dosen Biontech kommen wir nicht weit“, sagt die Hausärztin. Nun müsse bei jedem vereinbarten Impftermin geprüft werden, ob Moderna als Alternative überhaupt infrage kommt. Denn zugelassen ist der Impfstoff erst für Menschen ab 18 Jahren, außerdem hat die Ständige Impfkommission (Stiko) empfohlen, unter 30-Jährige generell nicht mit Moderna zu impfen, da der Impfstoff in sehr seltenen Fällen Entzündungen von Herzmuskel und Herzbeutel auslösen kann. „Eine Katastrophe“, sagt Füllgraf-Horst, wenn sie auf den Impfplan blickt, den die Praxis nach der politischen Forderung „impfen, impfen, impfen“ prall gefüllt hat. „Theoretisch könnten wir von morgens bis abends impfen, aber es gibt ja auch noch andere kranke Menschen.“
Auch bei den Hausärzten am Rosengarten liegen die Nerven blank. „Wenn wir jetzt weniger Biontech bekommen, sieht das schlecht aus“, betont eine medizinische Fachangestellte. Sie fürchtet, Impfwillige könnten abspringen, wenn sie erfahren, dass sie mit einem anderen Impfstoff als Biontech geboostert werden sollen. Auch müsse sich die Praxis künftig anders organisieren. Da Moderna bei der Booster-Impfung nur in halber Dosis verabreicht wird, lassen sich aus einer Ampulle 20 Spritzen aufziehen. Bei Biontech wird mit der vollen Dosis geboostert, das heißt pro Ampulle sind es wie bisher sechs Spritzen. Die Haltbarkeit aufgezogener Spritzen liegt bei maximal sechs Stunden, sind nicht genug Impfwillige da - bei Moderna also 20 -, muss der Rest weggeworfen werden. „Das hinzukriegen, wird nicht einfach sein.“
„Die Leute verstehen die Welt nicht mehr“, meint eine medizinische Fachangestellte der Kinderarztpraxis von Stefanie Schwarz-Gutknecht. Die Praxis bietet Corona-Impfungen für Kinder und Erwachsene an. Sie sieht nun wieder viel Aufklärungsarbeit auf sich zukommen. „Das geht aber kaum, wenn man eigentlich doch boostern oder impfen soll.“ Gar nicht darüber nachdenken will sie, was in der Praxis los ist, wenn demnächst auch Fünf- bis Elfjährige gegen Corona geimpft werden können. Die USA haben Biontech für diese Altersgruppe bereits zugelassen, die Entscheidung der europäischen Arzneimittelbehörde EMA wird in den kommenden Tagen erwartet. „Ein Chaos“, sagt sie. Doch dann muss sie auflegen. Die Praxis ist voll.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Jens Spahn sorgt mit Moderna für totales Chaos