Gesundheit

Welche Geschlechtskrankheiten in Mannheim auf dem Vormarsch sind

Der Blick auf die Daten des Gesundheitsamts verheißt nichts Gutes. Scheinbar längst vergessene Sex-Infektionen steigen in Mannheim rapide. Besonders zwei Krankheiten bereiten Sorge. Woran liegt das? Und was plant die Stadt jetzt?

Von 
Lea Seethaler
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Condom in white background © Getty Images/iStockphoto

Mannheim. Mannheim ist im Vergleich mit deutschen Großstädten besonders stark von sexuell übertragbaren Infektionskrankheiten betroffen. Wie das Gesundheitsamt auf Anfrage mitteilt, gibt es in Mannheim bei HIV, Tuberkulose, Hepatitis B und C sowie Syphilis im Vergleich zu bundesweiten Inzidenzen überwiegend „überdurchschnittlich hohe Fallzahlen und Inzidenzen“.

Die Inzidenz - also die Zahl der Fälle pro 100 000 Einwohner - an HIV-Erstdiagnosen lag 2022 in Mannheim bei 10,9 im Vergleich zur bundesweiten Inzidenz von 3,9. Zur Einordnung: Frankfurt hat in diesem Zeitraum eine Inzidenz von 5,4, Karlsruhe von 6,5. Außerdem stieg die HIV-Inzidenz in Mannheim zuletzt stetig.

HIV ist heute unter Therapie nicht ansteckend

Eigentlich ist es heute medizinisch möglich, HIV zurückzudrängen. HIV ist unter Therapie nicht mehr ansteckend. Zum Safer Sex 3.0 im HIV-Kontext gehört die Präexpositionsprophylaxe (kurz: PrEP). Durch Einnahme von Medikamenten können auch HIV-Negative mit substanziellem Risiko die Übertragungswahrscheinlichkeit präventiv stark senken. Krankenkassen zahlen die Therapie.

In Mannheim berät die Beratungsstelle KOSI.MA zu PrEP. Sie ist auch Anlaufstelle für Beratung und Tests bei Sex-Infektionen und HIV. Auch KOSI.MA-Leiter Marc Fischer kennt die gestiegenen Zahlen in der Stadt. Er sagt: „Es besteht Handlungsbedarf.“

Eine aidsfreie Welt in einem Jahrzehnt: Was ist eine Fast Track City?

Der globale Verbund aus mittlerweile rund 300 Städten des Fast-Track-Cities-Netzwerk arbeitet daran, noch in diesem Jahrzehnt die Welt von Aids zu befreien. Motto: Eindämmen, bevor es sich weiter ausbreitet.

Bisher sind in Deutschland nur drei Städte FTC: Berlin, Bochum und Frankfurt. Darüber hinaus verpflichten sich FTC auch zum Kampf gegen HIV-assoziierte Gesundheitsprobleme wie Tuberkulose, virale Hepatitis, andere sexuell übertragbare Infektionen, psychische Erkrankungen und Suchterkrankungen sowie deren soziale Ursachen.

FTC sollen darauf hinwirken, dass Stigmatisierung und Diskriminierung von HIV und damit assoziierten Gesundheitsproblemen beendet werden, diese Menschen gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben können und bei politischen Entscheidungen berücksichtigt werden. see

Aber warum sind sie hier so hoch, auch verglichen mit anderen Großstädten? Fischer sagt, dass auch viele Menschen aus dem Umkreis, etwa von der Bergstraße, nach Mannheim kommen, um sich testen zu lassen. „Das spielt auch in die Zahlen mit rein.“ Zudem sagt Fischer: „Wir haben in Mannheim viele Locations, wo Sexualität positiv, sehr bejahend, gelebt wird.“

Fischer weiter: „Und wir haben auch eine große queere Community in Mannheim.“ Besonders für die queeren Menschen und ihre Bedürfnisse will KOSI.MA Ansprechpartner sein. Der Testbedarf in der Stadt sei weiterhin hoch - egal bei welcher Personengruppe, betont Fischer.

Syphilis-Zahlen in Mannheim steigen

Außerdem sei Mannheim eine Stadt, in der viele Studierende leben. Zudem eine Stadt, in der es viele Sexarbeitende gebe. Außerdem gebe es auch viele Sexclubs oder -kinos. Fischer fasst sich kurz: „Der Bedarf, dass Mannheim seine Versorgungslandschaft und Testungsmöglichkeiten den Gegebenheiten anpasst, ist da.“

Während hohe Hepatitis-B- und -C-Zahlen hier laut Gesundheitsamt auch von einer Änderung der Meldepflicht kommen, verzeichnet die Stadt noch bei einer anderen Krankheit einen sprunghaften Anstieg. „In den vergangenen Jahren ließ sich - nicht nur in Mannheim, sondern deutschlandweit - ein Anstieg der Syphilis-Fallzahlen feststellen, besonders bei Männern“, so das Gesundheitsamt.

HIV und andere Krankheiten beeinflussen sich ungünstig

Ursächlich für diesen Anstieg werde „ein verändertes Risikoverhalten bei Sexualkontakten“ diskutiert, „wofür wiederum ursächlich die verbesserten Therapiemöglichkeiten und die Möglichkeit der PreP zum Schutz vor einer HIV-Infektion gesehen werden“, heißt es. Das Gesundheitsamt betont auch: „In Kombination können HIV und Syphilis sich gegenseitig ungünstig im Krankheitsverlauf beeinflussen.“ Das gilt auch für Tuberkulose und Hepatitis B und C, sogenannte mit HIV assoziierte Krankheiten.

HIV steigt bei heterosexuellen Kontakten und bei Drogengebrauchenden

Die Zahl der HIV-Infektionen in Deutschland ist in den letzten 15 Jahren zurückgegangen. Darauf weist die Aidshilfe in einem Statement hin. 2022 haben sich rund 1900 Menschen infiziert. „1000 HIV-Neuinfektionen (53 Prozent) betreffen demnach Männer, die Sex mit Männern haben (MSM). Der seit 2007 beobachtete Rückgang geht vor allem auf diese Gruppe zurück“, heißt es.

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„In den letzten drei Jahren blieb die Zahl der Neuinfektionen bei MSM stabil“, so die Aidshilfe. Rund 520 Menschen (27 Prozent) hätten sich bei heterosexuellen Kontakten infiziert, davon 310 Frauen (16 Prozent) und 210 Männer (11 Prozent). Zudem heißt es, dass bei rund 370 Menschen (19 Prozent) HIV durch intravenösen Drogenkonsum übertragen wurde. In beiden letztgenannten Gruppen meldet das Robert Koch-Institut seit einigen Jahren einen leichten Anstieg.

Mannheim will Fast Track City werden

Indes wollen sich weltweit stark von HIV betroffene Städte verbünden: Durch das Konzept Fast Track City (FTC). „Fast Track“ bedeutet „schnell aufspüren“. Ziel der FTC: In einer Stadt sollen 95 Prozent HIV-Betroffener unter Therapie sein. Von dieser Anzahl soll wiederum bei 95 Prozent der Menschen kein Virus mehr im Blut nachweisbar sein. Außerdem sollen 95 Prozent der Infektionen erkannt sein.

Größtes Problem: Stigma

Mannheim will nun FTC werden. Die Fraktionen von Grünen, SPD und LI.PAR.Tie forderten das bereits vor ein paar Jahren in Anträgen. Auch das Gesundheitsamt sieht anhand der aktuellen Zahlen „dringenden Handlungsbedarf“. Die Infrastruktur in Einrichtungen und Organisationen seien da, es fehle nur ein Netzwerk.

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Großes Ziel von FTC ist auch, HIV zu entstigmatisieren. Marc Fischer sagt: „Diskriminierung und Stigmatisierung sind das größte Problem.“ Er und sein Team werden Anfang 2024 in Gespräche mit anderen Vereinen, Einrichtungen und kommunalen Vertretern führen, um die genauen Anforderungen und erste Konzepte für eine FTC auszuarbeiten. „Dann werden wir auch sagen können, wie viel es etwa kosten wird. Wir haben aus den Fraktionen beim Thema bisher sehr viel positives Feedback erhalten“, zeigt sich Fischer zuversichtlich.

Redaktion Redakteurin und Online-Koordinatorin der Mannheimer Lokalredaktion

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