Übergriffe - Heimliches Entfernen des Kondoms während des Sex gefährdet Frauen / Polizei: Hohe Dunkelziffer nicht ausgeschlossen / Juraprofessorin: Rechtliche Einordnung als Straftat umstritten

Kondom beim Sex entfernt: Mehr Stealthing-Fälle in Mannheim

Von 
Lea Seethaler
Lesedauer: 
(Symbolbild) © dpa

Wie die Beratungsstelle KOSI.MA berichtet, haben Fälle von Stealthing, also dem heimlichen Entfernen des Kondoms beim Sex gegen den Willen der Partnerin, in Mannheim zugenommen. Den betroffenen Frauen, die in der Beratung davon berichteten, würde oft viel später bewusst, wie sehr ihre Grenze durch dieses heimliche Vorgehen überschritten worden ist, berichtet Em Brett von KOSI.MA. Die Frauen realisierten erst in der Beratung zum Test auf Geschlechtskrankheiten, dass ihnen sexuelle Gewalt angetan wurde. „Es ist gut, dass sie sich testen lassen“, betont Brett. Denn die Übertragungswahrscheinlichkeit einer Geschlechtskrankheit vom Mann auf die Frau nach ungeschütztem Sex ist nach WHO-Angaben wesentlich höher als umgekehrt.

Die Beratungsstelle KOSI.MA vermittelt die Frauen dann an Stellen und Vereine wie „Wildwasser“, eine Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt an Frauen und Mädchen. Brett kann nur vermuten, womit der Anstieg des Stealthing zu tun haben könnte. Eine Möglichkeit sei, dass durch die vermehrte mediale Aufmerksamkeit Nachahmer animiert wurden, sagt sie. Zudem tausche sich eine Art Szene intensiv im Netz zum Vorgehen aus.

Beamte beobachten Lage

Das Phänomen Stealthing ist indes beim Polizeipräsidium Mannheim als solches bekannt. „Einen eigens hierfür bekannten Tatbestand gibt es nach derzeitiger Gesetzeslage nicht“, sagt Kriminaloberkommissarin Jenny Elsberg auf Anfrage. Strafbare Handlungen, bei denen der Verdacht des Stealthing bestehen und zur Anzeige gebracht würde, mündeten in aller Regel in andere Tatbestände des Sexualstrafrechts. Deshalb wird Stealthing „nicht eigens in der polizeilichen Kriminalstatistik erfasst“.

Beim Polizeipräsidium Mannheim wurde Stealthing in den vergangenen Jahren jedoch kaum zur Anzeige gebracht, berichtet Elsberg. „Im letzten Jahr wurde lediglich ein Fall bekannt, bei dem der konkrete Verdacht des Stealthing bestand.“ Da die Personen in der Regel heimlich handelten, könne aber nicht ausgeschlossen werden, dass die Dunkelziffer höher liegt und nicht jeder Fall auch bei der Polizei bekannt wird. Wegen der sehr geringen Fallzahlen, habe daher beim Präsidium bislang kein Anlass zur Initiierung einer Präventivarbeit bestanden. Nichtsdestoweniger sei man jedoch auch in Bezug auf die mediale Berichterstattung, entsprechend sensibilisiert und beobachte die Entwicklung zu dem Phänomen „aufmerksam“, so Elsberg. „Sollte zukünftig ein erhöhtes Anzeigeverhalten beim Polizeipräsidium Mannheim festgestellt werden, werden wir selbstverständlich mit einem entsprechenden Präventionsangebot reagieren.“

Mehr zum Thema

Kommentar Frauengesundheit: Noch viel zu tun

Veröffentlicht
Kommentar von
Lea Seethaler
Mehr erfahren
KOSI.MA

Sexuelle Frauengesundheit: Mannheimer Beratungsstelle will aufklären

Veröffentlicht
Von
Lea Seethaler
Mehr erfahren
Serie „Gesichter der Gewalt" (Teil 2)

Gewalt während der Geburt: Traumatherapie statt Mutterglück

Veröffentlicht
Von
Lea Seethaler und Lisa Uhlmann
Mehr erfahren

„Die rechtliche Einordnung von Stealthing als Straftat ist umstritten“, sagt indes die Mannheimer Strafrechtsprofessorin Anne Schneider. „Die neuere Rechtsprechung ordnet Stealthing allerdings als strafbares Verhalten ein.“ Insbesondere hätten zwei Obergerichte, also Gerichte, die in letzter Instanz entscheiden, Männer wegen Stealthing verurteilt.

Angewendet wird in diesen Fällen der § 177 Abs. 1 StGB, sexueller Übergriff. Geschlechtsverkehr ohne Kondom wird von den Gerichten als sexuelle Handlung gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person eingeordnet, „sofern feststeht, dass dem Geschlechtsverkehr nur unter Verwendung eines Kondoms zugestimmt wurde“, erklärt Schneider.

Die Gegenansicht, die sich für Straflosigkeit ausspricht, stelle darauf ab, dass dem Geschlechtsverkehr „an sich“ zugestimmt wurde und nur über einen Nebenaspekt, die Verwendung des Kondoms, getäuscht wurde. Was für die Annahme eines entgegenstehenden Willens nicht ausreiche, so Schneider. Ein sexueller Übergriff nach dem oben genannten Paragrafen wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft, beschreibt die Professorin. „Eine Geldstrafe kommt also nicht in Betracht. Geht man bei Stealthing von einer Vergewaltigung aus, liegt die Freiheitsstrafe sogar zwischen zwei und 15 Jahren.“ Bislang hätten die wenigen Gerichte, die zur Entscheidung berufen waren, die Anwendung des sogenannten Regelbeispiels verneint, also Stealthing nicht als Vergewaltigung eingeordnet, sondern in den jeweiligen Fällen trotz Penetration eine Ausnahme von § 177 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StGB gemacht.

Das sei je „eine Einzelfallentscheidung, kann also in einem anderen Fall anders entschieden werden“, verdeutlicht sie.

Redaktion Redakteurin und Online-Koordinatorin der Mannheimer Lokalredaktion

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen