Mannheim. Heute ist der Internationale Tag der Frauengesundheit: An diesem will KOSI.MA, das Kompetenzzentrum zu sexuell übertragbaren Infektionen Mannheim, Sichtbarkeit für das Thema der sexuellen Gesundheit von Frauen schaffen. „In unserer Arbeit stellen wir fest, dass es hier oft an Wissen fehlt oder Falschinformationen kursieren“, sagt Em Brett von KOSI.MA.
Über KOSI.MA
- KOSI.MA ist die Aidshilfe in Mannheim. Sie bietet Beratung, Prävention, Testung und Aufklärung zu den Themen HIV, sexuell übertragbare Infektionen (STI) und sexuelle Gesundheit.
- Träger von KOSI.MA ist Plus. Psychologische Lesben- und Schwulenberatung Rhein-Neckar e.V.
- Telefonische Beratung und Terminvereinbarung: dienstags 16 bis 18 Uhr, donnerstags 9 bis 11 Uhr, Telefon: 0621 33 93 94 78, Mail: info@kosima-mannheim.de
Viele Frauen wüssten zum Beispiel nicht, dass sich ihr Ausfluss im Laufe des Zyklus verändert. Geschehe das, denken viele an Krankheit. „Es gibt hier eine große Unsicherheit und ein fehlendes Kennen des eigenen Körpers“, so Brett. Oftmals würden die Betroffenen, wenn sie dann aber wirklich erkranken, ihre Beschwerden lange mit sich herumtragen. Sich niemandem anvertrauen, nicht zum Frauenarzt gehen. Und dadurch würde sich ihre Gesundheit noch mehr verschlechtern. Dass das Thema sexuelle Gesundheit und Sexualität von Frauen heutzutage noch immer mit Tabu und Scham behaftet ist, schlage sich auch hier nieder.
„Entgegen weit verbreiteten Annahmen leben Frauen aktiv vielfältige Formen von Sexualität“, sagt Em Brett. Das mache sie zu einer relevanten Zielgruppe für Präventionsangebote. Hier müsste vor allem auch in Frauenarztpraxen angesetzt werden. „Wir erleben oft, dass Frauen, die um die 50 oder 60 sind, sich mit Geschlechtskrankheiten infizieren“, beschreibt Brett. „Oder etwa nach einer Scheidung.“ Auch ältere Frauen lebten ihre Sexualität, auch sie müssten von den Gynäkologen proaktiv darauf angesprochen werden. Fakt sei aber, dass man diese Frage ab einem gewissen Alter oft auslasse. Allgemein sei es wichtig, dass in den Arztpraxen - egal bei welchem Alter der Patientin - öfter direkt und standardmäßig gefragt werde: „Wollen Sie einen Test machen?“
Der Schritt in die Praxis ist wichtig
Trudpert Schönig, Mannheimer Frauenarzt und Stellvertretender Bezirksvorsitzender Heidelberg-Mannheim des Bundesverbands der Frauenärzte , sagt: „Alles in allem ist es gut bestellt um die Frauengesundheit in der Region.“ Dennoch: Schönig beobachtet eine „Schere, die sich weiter öffnet. In Mannheim gab es ja gerade die Impfaktionen in Vierteln wie der Hochstätt. Auch weil man die Menschen dort anders schlecht erreicht“, sagt der Gynäkologe. „Das ist bei der Frauengesundheit ähnlich. In meiner Praxis erlebe ich beide Seiten der Schere sozialer Hintergründe. „Da ist die 21-Jährige, die 120 Kilogramm wiegt – und mit der ersten Schwangerschaft vorstellig wird. Und da ist die 38-jährige Akademikerin mit Doppelabschluss, 60 Kilogramm Gewicht, sehr informiert, die nun schwanger werden möchte.“
Viel Aufklärung über Frauengesundheit finde in Schule und Familie statt, so Schönig. Oder eben nicht. Und das werde dann zum Problem. „Ich bin schon froh, wenn jemand den Schritt in meine Praxis macht“, sagt er. „Damit ist schon viel gewonnen.“
Trudpert Schönig, Mannheimer Frauenarzt und Stellvertretender Bezirksvorsitzender für Heidelberg-Mannheim des Bundesverbands der Frauenärzte, sagt, dass es auch in dem Alter von 55 ähnlich wie mit 35 Jahren noch einmal einen „Gipfel“ gebe bei sexuellen Infektionen, etwa mit dem HPV-Virus. „Oft orientieren sich Frauen hier neu oder haben neue Partner“, so Schönig. In einer Frauenarztsprechstunde müsse allerdings immer - nicht nur in solchen Fällen - Vertrauen zwischen Patientin und Arzt aufgebaut werden, damit die Patientinnen auch frei über solche Themen sprechen, betont er. Dies gelinge meist durch langjährige Verbundenheit.
Wunsch: Mehr Unterstützung
„In der Frauengesundheit gibt es immer noch ein großes Potenzial für Verbesserung“, sagt Maxi Schmitt, Vorständin und Fachberaterin des Frauengesundheitszentrums Heidelberg. „Patriarchale Strukturen in der Gesellschaft und in der Schulmedizin“ verhinderten immer noch, „dass die Forschung in der Gendermedizin und die damit notwendige Veränderung in den Lehrplänen der Heilberufe passieren“, so Schmitt. Frauenprojekte wie ihres, aber auch Frauenhaus und Frauennotruf seien Vereine, „die sich solidarisieren, Unterstützung geben, konkrete Hilfen anbieten, Informationen liefern“. Man würde sich wünschen, „dass diese Arbeit in unserer Gesellschaft und bei den Vertretern der Städte mehr Unterstützung erfahren würde“, sagt Schmitt.
Die Krise mache deutlich, dass gesellschaftliche Errungenschaften in Gefahr geraten sind. Frauen seien an der Belastungsgrenze. Psychosomatische Symptome wie Schlafstörungen, Angststörungen, hormonelle Dysfunktionen würden ignoriert. Indes steige die Belastung durch Vergleiche durch soziale Medien, wo „ideale Körper“, Körperkult, Fitnesswahn, Selbstoptimierungszwang, Leistungsgesellschaft herrschten und Rollenansprüche dominierten. Dennoch: Feministische Aufklärungsarbeit sei präsenter, gesellschaftlicher Wandel spürbar.
Ohne Wertung über Sex reden
Em Brett betont indes die Wichtigkeit, dass auch ohne Wertung und sachlich über das Thema Sex und Verhütung gesprochen werde. Probleme gebe es auch, bei der Art und Weise wie nach Sexualität gefragt werde: Oft werde etwas vorweggenommen, wisse man aus den Beratungen bei KOSI.MA. Etwa, wenn die Frau in der Praxis die Frage, ob sie einen Partner habe, verneint. Dann ende hier oft das Beratungsgespräch. Doch kein Partner bedeutet eben nicht, keinen Sex. Oft werde auch ein bestimmter Lebensstil unterstellt, wenn die Frau sage, sie habe Sex mit mehreren Partnern. Oft traue sie sich dann nicht mehr, offen zu reden. „Was gut gemeint ist, ist oft wertend und unangebracht“, so Brett. Die gesellschaftliche Norm wirke wie ein Raster, durch das die Frau dann fallen könnte.
Allgemein müsse Aufklärungsarbeit zu Frauengesundheit ganz unterschiedlich sein und an verschiedensten Stellen ansetzen, so Brett. Man müsse lernen, ohne Scham zu sprechen, es bräuchte neue und innovative sexualpädagogische Konzepte. Und auch bei Jugenduntersuchungen oder anderen Vorsorgeuntersuchungen sollten die Schnittstellen zur Frauengesundheit angesprochen werden. Sachlich, aber offensiv, nicht ausschließlich mit Flyern und Broschüren.
Mut machen und Angst nehmen
Sara Y. Brucker ist Professorin und Geschäftsführende Ärztliche Direktorin am Department für Frauengesundheit an der Uniklinik Tübingen. Sie sagt: Frauengesundheit ist einmal eng verbunden mit medizinischen Fortschritten. Beispiele sind hier Therapien bei Brustkrebs. Oder vorbeugende Eingriffe. „Frauengesundheit ist aber auch eng verbunden mit gesellschaftlichen Bedingungen, und hier beständigem Wandel und auch neuen Bedrohungen ausgesetzt“, macht Brucker deutlich.
Aktuell führe dies die Pandemie vor Augen: Frauen litten vermehrt unter den psychosozialen Auswirkungen wie etwa ungünstigere Arbeitsmarktsituation, „mehr Arbeitslosigkeit, mehr häusliche Sorgearbeit, Anstieg häuslicher Gewalt“ – jeweils mit negativen Folgen. „Diese gesundheitlichen Folgen sind noch bei Weitem nicht ausgeleuchtet, teils kaum im Fokus“, sagt Brucker. Hier entstehe „eine Hypothek auf die Frauengesundheit der Zukunft“, so die Professorin.
An ihrem Institut gibt es interdisziplinäre Forschung mit dem Hauptziel, aufzuklären, zu forschen, zu enttabuisieren und das Wissen in die medizinische Lehre und auch in die Ausbildung der Hebammen zu geben. Ob Inkontinenz, Brustkrebs oder Endometriose – viele verbreitete Krankheiten und Frauenbeschwerden würden auch von den Frauen selbst tabuisiert, verständlicherweise, auch weil sie mit Verlust von Weiblichkeit und Attraktivität assoziiert seien. Vorsorgemöglichkeiten würden verdrängt und aufgeschoben.
„Wir wollen den Frauen hier Mut machen und die Angst nehmen“, so Brucker. Das sei ein sehr wichtiger Punkt der Prävention. Gestartet ist das Institut vor einigen Jahren, gefördert vom Land. Das Motto bis heute: Alle erreichen, Frauen über ihre Gesundheit aufklären: vom türkischen Verein über die Landfrauen bis zur Deutsche- Bank-Managerin.
„Zur sexuellen Gesundheit gehört einerseits die Prävention von sexuell übertragbaren Infektionen. Sexuelle Gesundheit basiert andererseits auf der selbstbestimmten Sexualität“, sagt Brett. Doch Frauen seien überdurchschnittlich oft von sexualisierter Gewalt inner- und außerhalb von Partnerschaften betroffen, verdeutlicht Brett auf der anderen Seite. „Sexuelle Übergriffe erschweren es, beim Sex präventiv handeln zu können.“ Und sie verletzen die Selbstbestimmung.
Eine Übergriffsform steigt an
Eine Zunahme eines bestimmten Übergriffs verzeichnete KOSI.MA im vergangenen Jahr: „Die Fälle von Frauen, die von Stealthing, also dem heimlichen Entfernen des Kondoms während des Geschlechtsverkehrs, betroffen waren, sind stark angestiegen.“ In der Beratung von KOSI.MA finden sich dann diese Frauen wieder und müssen mit den Folgen kämpfen, psychisch wie körperlich. Frauen seien nicht nur mehr von solcher Gewalt betroffen, hinzu komme dann noch das gesellschaftliche Tabu, über solche Erfahrungen zu sprechen. Maßnahmen sexueller Gesundheitsförderung müssten also auch darauf abzielen, sexualisierte Gewalt zu reduzieren und sich mit Betroffenen zu solidarisieren, sagt Brett.
HIV – auch ein Frauenthema
„Der Frauenanteil von HIV-positiven Menschen liegt weltweit bei rund 50 Prozent, in Deutschland steigt die Zahl der Neuinfektionen bei heterosexuellen Sexualkontakten in den letzten Jahren weiter an“, so Em Brett von der Beratungsstelle KOSI.MA. In Mannheim sehe man hier zwar keinen extremen Anstieg. Aber Frauen seien allgemein häufiger von Spätdiagnosen betroffen, was insofern relevant sei, als dass eine Therapie desto effektiver wirken kann, je früher sie begonnen wird. „Es ist vielen nicht bekannt, dass eine HIV-Therapie ein ,normales’ Leben mit der chronischen Infektion ermöglicht und HIV-positive Menschen unter wirksamer Therapie schwanger werden und gebären können“, so Brett. Und das ohne HIV auf das Kind zu übertragen. Mit Ausnahme des Kondoms sagten aber die HIV-Präventionsmethoden (zum Beispiel Femidom oder Schutz durch Therapie) den wenigsten etwas. see
Für sie müssten Ressourcen zur Verfügung stehen. KOSI.MA betont deshalb: „Unsere Beratung, Testung, Informationsveranstaltungen und Selbsthilfegruppen sind für alle Geschlechter offen.“ Zudem mache man frauenspezifische Angebote, etwa in Form von Präventionsmaterialien und Aufklärungstrainings.
Bei vielen Frauen scheitere sicherer Sex in der Praxis aber auch an der Nichtverfügbarkeit von Verhütungsmitteln - oder an den fehlenden finanziellen Mitteln, um sie zu kaufen. So etwa bei lesbischen Frauen, die für Safer Sex die sogenannten Lecktücher verwenden, erklärt Brett. Die sind nicht billig - und im Laden stehen sie nicht im Regal. Und sind damit genau so wenig sichtbar wie die Sexualität der Frauen dahinter.
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