Mannheim. 1281,5 Kilometer Luftlinie trennen Mannheim von der neuen Partnerstadt Czernowitz. 1281,5 Kilometer, die Chris Rihm und Markus Sprengler Anfang Juni zurücklegen wollen, um Solidarität vor Ort auszudrücken und sich über notwendige Hilfe zu informieren. Nachdem der Ältestenrat des Gemeinderats einen Besuch einer offiziellen Delegation abgelehnt beziehungsweise verschoben hat, wollen die Grünen-Stadträte privat reisen - und ziehen deshalb den Ärger der Fraktionen auf sich.
Zwar stellt Thorsten Riehle klar, dass sich die SPD zu Privatreisen eigentlich „nicht äußern“ wolle. Bei den Plänen gehe es aber „um weitaus mehr“, erklärt der Fraktionsvorsitzende: Der unausgesprochene Vorwurf, die Stadt plane keine offizielle Reise. „Beide Kollegen vergessen offensichtlich, dass der Entschluss dem einstimmigen Votum aller Fraktionen folgt.“ Eine Reise sei „einstimmig abgelehnt“ und zudem besprochen worden, „sie durchzuführen, sobald keine Reisewarnung mehr besteht“.
Das hatte auch die Stadt in Aussicht gestellt. „Der erneute Versuch, den Gemeinderat und die Verwaltung zu einer Delegationsreise zu drängen, lässt deshalb das Grundverständnis für demokratisch getroffene Entscheidungen völlig vermissen“, sagt Riehle. „Da beide zur Grünen-Fraktion gehören und sich so in den Kontext der repräsentativen Demokratie stellen, bleibt die Frage, ob sie an der gemeinsamen Verantwortung noch Interesse haben.“ Indes hält es Birgit Reinemund, Vorsitzende der FDP/MfM-Fraktion, für „erstaunlich“, dass „zwei Grüne-Stadträte meinen“, die Vereinbarung im Ältestenrat „durch persönlich motivierte Alleingänge umgehen zu müssen“.
Auch die Li.PAR.Tie-Fraktion ist skeptisch. „Es ist fraglich, inwieweit der Besuch zweier Stadträte beim Bürgermeister einer Partnerstadt wirklich als Privatreise angesehen werden kann“, erklärt deren Vorsitzender Denis Ulas. Es könne der „falsche Eindruck entstehen“, dass etwa kein Interesse einer offiziellen Delegation an einer Reise bestünde.
Mehrere Fraktionen werfen dem Duo vor, sich profilieren zu wollen. „Wir sind der Auffassung, dass man mit einer solchen öffentlichkeitswirksamen Show nichts erreicht“, erklärt CDU-Fraktionschef Claudius Kranz. Riehle kritisiert, dass die Stadträte die Pläne öffentlich gemacht haben: „Es könnte der Eindruck entstehen, dass es ihnen in erster Linie nicht um die Sache selbst, sondern um öffentliche Aufmerksamkeit und das persönliche Geltungsbedürfnis geht.“ Ähnlich argumentiert die AfD-Fraktion. „Wir glauben, dass die medial aufbereiteten Reisevorbereitungen darauf hinweisen, dass es den Kollegen darum geht, Aufmerksamkeit auf ihre Person zu lenken“, erklärt deren Vorsitzender Bernd Siegholt.
Vergeudung von Ressourcen?
Viele äußern die Sorge, Ressourcen könnten vergeudet werden. Die Verwaltung habe „genügend andere Probleme als uns zu begrüßen“, sagt Holger Schmid, Fraktionsvize der Mannheimer Liste. Riehle spricht gar von „überflüssigen touristischen Führungen von zwei Stadträten“, die Ressourcen verschwenden würden.
Thomas König kann die Aufregung nicht nachvollziehen. „Die Stadträte sind keine Beamte und reisen in keinem Dienstverhältnis, sondern privat“, erklärt der an der Uni Mannheim forschende Politikwissenschaftler. „Ob der Bürgermeister sie empfängt oder nicht, ist erstmal Sache der Partnerstadt.“ Es gäbe „relativ viele“ Politikerinnen und Politiker, die in die Ukraine reisen. „Das wird gutgeheißen und als ein Akt der Solidarität empfunden.“ Weil die Reise von Rihm und Sprengler privat und nicht aus öffentlichen Mittel finanziert wird, könne man „sowohl rechtlich als auch inhaltlich nichts dagegen sagen, wenn Politiker ihre Solidarität bekunden wollen“.
Was sagt die Grünen-Fraktion? Man habe sich „ausgetauscht“. Aber: „Eine offizielle Reise bei bestehender Reisewarnung kommt aktuell nicht in Frage.“ Die „seit längerem bestehenden privaten Pläne der Fraktionsmitglieder“ seien bekannt, „erfolgen aber nicht im Auftrag der Fraktion“, heißt es. „Mit wem sich Markus Sprengler und Chris Rihm auf ihrer Reise treffen, wird von uns als Fraktion nicht bewertet.“
Die Kritisierten verweisen darauf, dass sie sich politisch und privat seit Beginn des Kriegs „vielfältig“ und „täglich“ in der Ukrainehilfe engagieren und dass ihre Reisepläne bereits seit dem Frühjahr bestünden - noch bevor der Gemeinderat für eine Partnerschaft votiert hatte. Buchungen, die der Redaktion vorliegen, belegen das. „Nach der offiziellen Aufnahme von Czernowitz als Partnerstadt hatten wir es für sinnvoller gehalten, aus der Privatreise eine offizielle Delegationsreise zu machen und den Oberbürgermeister darüber in Kenntnis gesetzt“, erklären sie. Eine solche Reise sei wegen „vielfältiger Bedenken“ gescheitert. „Wir erkennen das an“, sagen beide und betonen, „Verständnis für die Gegenpositionen“ aufzubringen.
Die Kritik bezeichnen Sprengler und Rihm als „teilweise wenig sachlich“. Es werde versucht, Pläne „nicht nur schlechtzureden, sondern uns persönlich anzugreifen und zu diskreditieren“. Statt die Reise anschließend zu bewerten, würden vorab „unlautere Motive“ unterstellt. „Das ist ein weiterer Beweis für parteipolitisches Geplänkel und Unwissenheit“ über Pläne und Gespräche. In der Fraktion hätten sie auch „Zustimmung erfahren“. Fraktionsvize Gerhard Fontagnier sagt auf Nachfrage: „Es gab durchaus auch positive Stimmen für die Reisepläne, aber keine formelle Abstimmung.“
Indes kündigen Rihm und Sprengler an, in einer Gruppe zu reisen. Unter anderem würde sie Cem Cetin begleiten. Der Mannheimer Unternehmer engagiert sich seit Kriegsbeginn in der Ukrainehilfe. Mit weiteren Personen stehen die Stadträte demnach in Kontakt.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Stadträte und Stadt Mannheim müssen an einem Strang ziehen!