Mannheim. Wie auch immer die von brodelnden Gerüchten umwaberte Zukunft des Collini-Bürotraktes aussehen mag: Ob der Abriss kommt oder nicht - unabhängig davon drängt sich die Frage auf: Was wird aus jener Stahlbetonsäule mit antiker Seele, die Rudi Baerwind an einem März- Sonntag anno 1981 still und heimlich mit Motiven aus der griechischen Mythologie bemalt hat? Auch ohne Auftrag entwickelte „Oedipus Rex“ (so der Titel) eine künstlerische Tragweite, die den Neckar-Standort des Technischen Rathauses überdauern sollte. Eine Spurensuche.
Rückblick: Der Collini-Wohnturm, damals Mannheim höchstes Gebäude, und der angegliederte Bürotrakt sind seit sechs Jahren bezogen, als der Mannheimer Maler Rudi Baerwind beschließt, im Zimmer 504 des Stadtplanungsamtes die dort prangende Stahlsäule heroisch zu gestalten. Mit dem damals 71-Jährigen trifft sich „MM“-Kulturredakteur Joachim Hemmerle vor dessen Kunstwerk, das einige Tage zuvor entstanden ist - als die Behördenräume wie sonntags üblich verwaist gewesen sind. Ein befreundeter Mitarbeiter soll Einlass gewährt haben.
Baerwind verewigte „Oedipus Rex“auf der 2,40 Meter hohen Säule keineswegs als griechischen Helden. Vielmehr verraten dessen Züge „kurpfälzischen Einfluss“ schreibt Hemmerle 1981 und sinniert: „Dieser thebanische Herrscher könnte zwischen Rheinau und Sandhofen ein hellenisches Spezialitätenrestaurant führen.“
Motiv als ironische Anspielung auf Mannheims Regierende
Zeitsprung: Kunsthistorikerin Ursula Dann, die 2010 zum Autorenteam eines Buches über Rudi Baerwind aus Anlass dessen Geburtsjahres 1910 gehört, ist überzeugt: Der Maler hat „die farbenfrohe und auch ein wenig unheimliche Begegnung mythischer Gestalten und surrealer Mischwesen“ nicht von ungefähr nach jenem tyrannischen altgriechischen König genannt, den das Schicksal zum Vatermörder machte.
Schließlich ist „Oedipus Rex“ als Opern-Oratorium von Strawinsky und Cocteau in Baerwinds Zweit-Heimat Paris uraufgeführt worden. Außerdem widmete sich Pasolini filmisch der Tragödie um den scheiternden Herrscher. Und die hat ebenfalls den Mannheimer Maler bewegt, als dieser sich Mitte der 1950er mit einem Mosaikentwurf am Wettbewerb zur Wandgestaltung des neuen Nationaltheaters beteiligte. Ursula Dann geht davon aus, dass der berühmt-berüchtigte Sohn der Stadt, der mit seinem „dionysischen Hunger nach Leben faszinierte wie aneckte“, ein Jahr vor seinem Tod bewusst ein nüchtern-amtliches Ambiente auswählte, um „seine Kunst der informellen Gesten und provokanten klassischen Mythen spontan zu verwirklichen“. Womöglich sei die Säule eine ironische Anspielung auf Mannheims Regierende gewesen - „Baerwind wäre es zuzutrauen“, so Ursula Dann, die sich mit Leben und Werk des als „Kulturmotor“, aber auch „Enfant terrible“ geltenden Malers intensiv beschäftigt hat.
Natürlich gibt es 1981 nicht nur Jubel-Kommentare über die eindeutig zweideutigen Gestalten aus den Tiefen griechischer Mythologie, die im fünften Collini-Stockwerk die Neckarufer-Nord-Bebauung am anderen Ufer im Blick haben. Klaus Elliger, inzwischen pensionierter Leiter des Fachbereichs Stadtplanung, erzählt gern, dass er bei seinem Einzug ins Collini ganz bewusst den Raum mit der Baerwind-Säule gewählt hat. Wenn er über „Oedipus Rex“ als langjährigem „Zimmergenossen“ spricht, kommt er regelrecht ins Schwärmen und auch ein bisschen darüber ins Rätseln, was dem Maler wohl durch den Kopf gegangen sein mag, als er im Technischen Rathaus ohne Honorar und obendrein heimlich zu Pinsel und Farbe griff.
Baerwinds Werk im Collini-Hochhaus soll erhalten bleiben
So mannigfach sich der Journalist Hemmerle, die Kunsthistorikerin Dann und der Architekt Elliger zu der Baerwind-Säule äußern, sind sie sich einig: Das antiken wie aktuellen Geist verströmende Monument für „Kunst im Bau“ (statt üblicherweise „Kunst am Bau“) gelte es zu erhalten - was auch immer mit dem Collini-Bürokomplex geschieht.
Erfreulicherweise lässt die Deutsche Wohnwerte als Besitzerin des Gebäudes auf Anfrage wissen: „Selbstverständlich sind wir uns der Bedeutung des Künstlers und seiner Werke bewusst.“ Das klingt jedenfalls nicht nach einem düsteren Schicksal, wie es „ Oedipus Rex“ beschert war.
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