Mannheim. Zwölf Zentner Tannenreisig, geflochten um einen eigens von einem Statiker berechneten, geschweißten Rahmen von fünf Metern Durchmesser – es soll der größte Richtkranz sein, den die Bundesrepublik Deutschland bis dahin je gesehen hat: Vor 50 Jahren, am 10. April 1974, wird er von einem Kran am Collini-Center emporgezogen. Schon im Richtspruch klingen leise Zweifel an, ob das Bauwerk gelingen wird – 50 Jahre später steht zumindest mehr als die Hälfte des Komplexes leer und soll abgerissen werden.
Musiker spielen "Beton-Arie" zum Richtfest des Collini-Center
An dem Tag aber wird gefeiert, mit Blasmusik der Kapelle Kühner. „Beton-Arie“ nennen die Musiker eines ihrer Stücke, das sie am Fuße des riesigen, bis zu 95 Meter hohen Hochhauses am südlichen Neckarufer spielen. Am Richtkranz flattern 200 je vier Meter lange Bänder in den Stadtfarben. Auf einem mit Blumen geschmückten Balkon prosten sich drei Zimmerleute zu, preisen ihr Werk.
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„Tiefgemauert in der Erde, fest gebaut am Neckarstrand“, heißt es da. Aber außer Lob für Bauherren und Architekten sowie einem Seitenhieb auf Statiker („Die noch gerechnet haben, als wir längst bauten“) sagen die Männer nicht nur, ihr Bauwerk sei „eine Pracht, schließlich hat’s uns Freud gemacht!“ Auch der etwas skeptische Satz „Wird es gut sein oder nicht?“ ist zu hören.
Eigentlich sollte das Collini-Center höher gebaut werden
Aber Oberbürgermeister Ludwig Ratzel, seit 1972 im Amt, will das nicht hören. Die Freude am gelungenen Werk wolle er sich nicht vermiesen lassen, sagt er. Das Richtfest müsse das Ende von „Polemik und Demagogie“ bedeuten, fordert der Sozialdemokrat. Damit erinnert er daran, dass der Bau auf der Fläche des 1971 stillgelegten Depots der städtischen Straßenbahnen, das an den Neckarauer Übergang umzieht, lange heftigst umstritten ist.
Mitglieder der Jungen Union pinseln gar an den Bauzaun „Ratzel, Pahl & Schmucker – Mannheims Steuer-Schlucker“, werden von der Polizei erwischt – und Jahrzehnte später dennoch angesehene Stadträte und Bürgermeister. Immerhin gelingt es durch die kontroverse Diskussion (und einen nicht so stabilen Untergrund), dass das Projekt niedriger gebaut wird als gedacht – 32 (30 bewohnt, zwei Technik-Stockwerke) statt 50 Geschosse.
Das Collini-Center ist nach dem Geheimsekretär des Kurfürsten benannt
„Ratzel, Pahl & Schmucker“ – gemeint sind damit OB Ratzel, der führende SPD-Kommunalpolitiker Walter Pahl und Architekt Karl Schmucker, der den Komplex geplant hat. Nach seinen Plänen wird das Collini-Center von 1972 bis 1975 im Auftrag der „Beratungsgesellschaft für Gewerbebau“ Hamburg errichtet – weshalb beim Richtfest neben der Mannheimer Flagge auch die der Hansestadt weht. Die Firma gehört zur Unternehmensgruppe „Neue Heimat“, dem gewerkschaftseigenen Baukonzern, der in den 1980er Jahren spektakulär Pleite geht.
Als Namensgeber des Neubaukomplexes fungiert Cosimo Alessandro Collini (1727-1806). Der Vertraute Voltaires steigt zum Geheimsekretär am Hof von Kurfürst Carl Theodor auf, erhält den Titel eines Hofhistoriographen (Geschichtsschreibers), wird Gründungsmitglied der Kurpfälzischen Akademie der Wissenschaften und Direktor des Naturalienkabinetts im Schloss.
Collini-Center wird zum Richtfest mit dem Mannheimer Schloss verglichen
Mit dem Schloss wird der Neubau auch beim Richtfest verglichen. „Es ist – ohne Übertreibung – nach dem Schloss der größte zusammenhängende Baukomplex Mannheims“, sagt Oberbürgermeister Ratzel stolz, gebaut mit Blick auf die 1975 in Mannheim stattfindende Bundesgartenschau. Lothar Siegmund, Vorstandsmitglied der Gewerbebau, lobt die „signifikante Struktur“ des Baus und bezeichnet ihn als „Wahrzeichen Mannheims für das fortschrittliche Denken seiner Bürger und Verwaltung.“ In der Werbung ist lange von „Mannheims Wohnadresse Nummer eins“ die Rede.
Für das Wohn-Hochhaus gilt das auch. Die 515 Wohnungen sind in Privateigentum. Die Eigentümergemeinschaft bemüht sich um ständige Sanierungen, einen repräsentativen Eingangsbereich und ein gepflegtes Erscheinungsbild der vier Express-Aufzüge und des Lastenaufzugs. Es gibt einen Wach- und Hausmeisterdienst. Und die Anfangsphase, dass die Einzimmerapartments von Damen genutzt werden, die dort bestimmte Dienste anbieten, ist schon lange wieder vorbei.
Läden stehen schnell leer und Schwimmbad ist trockengelegt
Als schwierig erweist sich von Beginn an der zwölfgeschossige Bürotrakt. Gedacht für Arztpraxen, Anwaltskanzleien und andere gewerbliche Mieter, entschließt sich die Stadt noch vor Fertigstellung des Gebäudes zur Anmietung und kauft es 1984. Hier werden das Baudezernat und vor allem die technischen Ämter untergebracht – aber obwohl für Bauunterhaltung zuständig, unterlassen sie diese vor der eigenen Haustür.
Von ein paar toll besuchten Jazzkonzerten abgesehen, wird die Ladengalerie nie richtig angenommen. Bald stehen die Läden leer, und das Collini-Schwimmbad wird 1984 von der Stadt geschlossen. 1987 bis 1990 baut es eine Privatfirma zum „Karibikparadies Aqua sol“ um, es ist aber nur sechs Monate geöffnet, 1994/95 folgt ein erfolgloses Zwischenspiel als „Kurpfalz-Therme“.
Seit Dezember 2012 ist das städtische Bürogebäude von einem Gerüst umgeben, schützen Planen und Gitter Passanten vor möglicherweise herabfallenden Teilen. 2018 verlässt erst das Stadtarchiv (heute Marchivum) das Gebäude, 2021 erfolgt der Umzug aller anderen Ämter in das neue Technische Rathaus im Glücksteinquartier. Für das Bürohochhaus gibt es eine Abrissgenehmigung, aber der Investor hat davon noch keinen Gebrauch gemacht und sein Wohn-Projekt infrage gestellt.
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