Nach tödlichen Schüssen

Was Menschen auf der Schönau der Mannheimer Polizei vorwerfen

Bei der Mahnwache gegen Polizeigewalt am Mittwochabend auf der Schönau haben die Initiatoren rund 700 Teilnehmer gezählt. Gefordert wird, die tödlichen Schüsse am Tag vor Heiligabend umfassend aufzuklären

Von 
Steffen Mack
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Bei der Mahnwache am Tatort in der Johann-Schütte-Straße haben die Initiatoren am Mittwochabend ungefähr 700 Menschen gezählt. © Michael Ruffler

Mannheim. Grob geschätzt waren es mindestens 500 Menschen, die am Mittwochabend bei einer Mahnwache auf der Schönau gegen Polizeigewalt protestierten. „Wir haben sogar ungefähr 700 gezählt“, berichtet am Donnerstag Emrah Durkal. Als Stimme der Nachbarschaft und Vertrauter der Familie des getöteten Ertekin Ö. hat er eine heftig beklatschte Rede gehalten. Er fordert umfassende Aufklärung, warum der Polizeieinsatz am 23. Dezember derart eskaliert sei.

Durkal war dabei, als Ertekin Ö. mit einem Messer drei Beamten mit gezückten Schusswaffen entgegentrat, von mehreren Kugeln getroffen wurde und später starb. Zwar habe er Verständnis, wenn man sich in so einer Situation bedroht fühle, sagt Durkal. „Aber vier Schüsse waren definitiv zu viel“, zumal alle in die Brust gegangen seien. Sämtliche Versuche von Nachbarn und Familienangehörigen, die Situation zu deeskalieren, hätten Polizisten abgebügelt. Dabei habe der 49-Jährige einmal das Messer gesenkt und sei kurz davor gewesen, es abzugeben.

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Durkal will wissen, wieso unter den vielen Beamten keine für solche Situationen geschulten Kräfte gewesen seien. Und er fragt, wie er Kindern auf der Schönau noch erklären solle, dass die Polizei ihr Freund sei, nicht ihr Feind. Zur Mahnwache haben Jugendliche Plakate mitgebracht, auf denen etwa steht: „Sie sollen uns beschützen, nicht töten.“ Oder: „Wenn es Ertekin getroffen hat, kann es jeden von uns treffen.“

Polizeischüsse auf der Mannheimer Schönau: Großes Interesse in der Türkei

Aus dem Gemeinderat sind die Grünen Gerhard Fontagnier, Angelika Wendt sowie die Linken Dennis Ulas und Nalan Erol gekommen. Sie fordern ebenfalls rasche Aufklärung. Das tut am Tag darauf auch die SPD-Fraktion in einer Pressemitteilung.

Polizisten sind bei der Mahnwache nicht zu sehen. Sie hätten zugesagt, sich aus Pietätsgründen im Hintergrund zu halten, berichtet Durkal. Auffällig sei das große Medieninteresse vor allem in der Türkei, von dort seien viele Journalisten zum Tatort in der Johann-Schütte-Straße gekommen. Ertekin Ö. hatte einen entsprechenden Migrationshintergrund. Im Gegensatz zu mancher Rednerin will Durkal der Polizei nicht pauschal unterstellen, dass das bei dem Einsatz eine Rolle spielte.

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Durkal bestätigt, dass Ertekin Ö. polizeibekannt war. „Aber nicht wegen schwerer Straftaten.“ Er sei drogenabhängig gewesen, jedoch seit zwei Jahren clean. Der 49-Jährige habe unter schweren Depressionen gelitten, auch darüber sei die Polizei im Bilde gewesen. Schwer zu schaffen gemacht habe ihm Ärger mit dem Jugendamt. Der Verlust des Sorgerechts für seine zwei minderjährigen Töchter (insgesamt seien es drei) habe gedroht, zudem hätte er aus der Wohnung rausgemusst.

Erneute Demo gegen Polizeigewalt in Mannheim am Samstag

Die Familie habe die Mahnwache am Rande mitverfolgt, sagt Durkal, und sich über den großen Zuspruch gefreut. Am Samstag soll es am Plankenkopf (nicht wie zuerst geplant am Marktplatz) um 15 Uhr eine Kundgebung gegen Polizeigewalt geben. Dass in Mannheim nun zum dritten Mal in eineinhalb Jahren bei einem Einsatz ein psychisch Kranker getötet worden sei, lasse sich nicht wegdiskutieren, findet Durkal.

Er bestätigt auch den Bericht eines anderen Augenzeugen, wonach Beamte am Tatort Handys eingefordert hätten, um Videos zu löschen. Ein Sprecher des für die Ermittlungen zuständigen Landeskriminalamts hatte das am Vortag auf Anfrage eine „Fehlinformation“ genannt.

Redaktion Steffen Mack schreibt als Reporter über Mannheimer Themen

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