Mannheim. Petra Braun hat nicht lange überlegt. Schon kurz nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine sei ihr klar geworden, dass es nur zwei Alternativen gebe, erzählt sie: „Entweder du sitzt weiter abends heulend vor dem Fernseher - oder du versuchst, den Menschen zu helfen.“ Andere Frauen in der Runde stimmen zu, bei ihnen sei es ähnlich. Insgesamt neun sind zum Treffen mit dem „Mannheimer Morgen“ in einer Käfertaler Flüchtlingsunterkunft gekommen. Eigentlich ein bisschen viele für ein Gespräch. Aber sie scheinen sich in nahezu allen Punkten einig zu sein. Wobei natürlich auch möglich wäre, dass eine Frau einer anderen vielleicht auch mal nur aus Höflichkeit nicht widerspricht. Sie wirken in den rund eineinhalb Stunden jedenfalls sehr harmonisch miteinander.
Evelyn Drott ist seit Mitte März dabei, als die ersten Flüchtlinge in der (sonst von Rettungssanitätern während der Ausbildung genutzten) Herberge ankamen. „Die waren teilweise von ihrer Flucht völlig traumatisiert“, erinnert sie sich. Besonders ans Herz gewachsen sei ihr gleich ein achtjähriger Junge, der mit einigen Brocken Englisch gefragt habe, ob er ihren Hund streicheln dürfe. Abends sei sie von den ganzen Eindrücken, dem vielen Bettenbeziehen und, und, und völlig überdreht gewesen. Zurück auf dem Lindenhof, habe sie davon ihrer Gassi-Bekannten Katja Kost berichtet. So kam die auch dazu. Jetzt sitzt sie mit am Tisch und organisiert nebenbei auf ihrem Smartphone einen Besuch auf einem Second-Hand-Kleidermarkt.
Lehrerin als Dolmetscherin
Fast alles, was die rund 100 hier dauerhaft untergebrachten Flüchtlinge brauchen, haben die Frauen über persönliche Kontakte aufgetrieben. Allein die Schulranzen für die - insgesamt 38 - Kinder seien schon ein gewaltiger Aufwand, sagt Sandra Aepfelbach. Und mit der Ausstattung sei es ja noch keineswegs getan. Gerade habe sie etwa einer Mutter mit einer für den Unterricht benötigten Lern-App geholfen.
Zumal nur wenige ukrainische Kinder hier das Glück haben, an eine Lehrerin wie Olga Gotjur zu geraten. Die ist 2015 selbst aus der Ukraine nach Deutschland gekommen, arbeitet an der Johannes-Kepler-Schule und ist dort wie ehrenamtlich privat seit Ausbruch des Kriegs als Dolmetscherin extrem gefragt. Das mache sie sehr gerne, sagt sie. Die enorme zeitliche Belastung merkt man ihr nicht an. Ebenso wenig wie die große Sorge um ihre noch im Kriegsland verbliebene Familie. Deren Stadt im Süden des Landes sei von Russen besetzt, gerade hätten sie dort als neues Zahlungsmittel den Rubel eingeführt.
Noch eine weitere Frau mit ukrainischen Wurzeln sitzt mit am Tisch: Elina Brustinova, Vorsitzende des Stadtjugendrings. Sie lebt seit mehr als 20 Jahren in Mannheim. Zusammen mit ihrer Kollegin Lena Gerber organisiert sie in der Unterkunft Bastel- und Spielenachmittage. Dort gebe es für sie alle unverändert mehr als genug zu tun, um den Flüchtlingen ihren Alltag hier zu erleichtern, berichten die Frauen.
Was halten sie von Kritik, dass jetzt sehr viel mehr für die Menschen aus Ukraine getan werde als bei der großen Flüchtlingswelle 2015/2016? „Damals bin auch mit am Hauptbahnhof gestanden“, sagt Drott. „Aber das kann man einfach nicht mit heute vergleichen.“ Auch hier zeigen sich die Frauen einig: Ihre Anteilnahme sei diesmal sehr viel stärker. Weil es sich um einen nicht mehr für möglich gehaltenen Krieg mitten in Europa handele, aber auch, weil nicht in erster Linie alleinreisende junge Männer kämen, sondern fast nur Frauen und Kinder. Zu denen könnten sie viel leichter einen persönlichen Bezug aufbauen. Gerber meint, sie sehe zwar schon kritisch, dass damals einiges deutlich schlechter gelaufen sei. Aber dass es jetzt viel besser klappe, sei doch positiv. Auch Anja Katarina Berg findet, diese Debatte müsse man eher führen, wenn es umgekehrt wäre.
Dann geht es noch für ein Gruppenbild in die Kleiderkammer. Die war eines der ersten Projekte der Frauen. Mittlerweile haben sie fünf Ukrainerinnen in Eigenregie übernommen. Das klappe hervorragend, heißt es. Und für die Ehrenamtlichen gibt es ja noch reichlich andere Betätigungsfelder.
Dass die allermeisten Menschen, die ihnen da ans Herz wachsen, allerdings am liebsten so bald wie möglich wieder in die Heimat wollen, ist den Helferinnen klar. Gotjur sagt, eine ihrer Schülerinnen sei bereits wieder mit der Familie zurück zum Vater gereist. Die Mutter habe ihr zur Begründung gesagt: „Mein Mann stirbt eher, wenn ich mich nicht mehr um ihn kümmere, als im Krieg.“ Einige Frauen in der Runde lächeln, als käme ihnen das nicht völlig unbekannt vor.
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